Der Kampf gegen Armut, die Schaffung von Aufstiegschancen und Chancengleichheit, sowie eine gerechte Verteilung von Vermögen gehören zum Kern unserer politischen und inhaltlichen Arbeit. Eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, eine Gesellschaft der Solidarität untereinander und ein starker Sozialstaat gehören zu unseren Idealen. Was ist Altersarmut und wie kann sie bekämpft werden? Was können wir gegen prekäre Beschäftigung tun? Hat Armut ein Geschlecht und wie sieht die Genderperspektive aus? Was ist Mobilitätsarmut und wie kann diese bekämpft werden? Insbesondere die Corona-Pandemie hat erneut gezeigt: Krisen wirken wie ein Brennglas auf bereits vorherrschende Problemfelder. Die Anzahl der Menschen, die vom Jobcenter betreut werden, hat sich enorm erhöht, Alleinerziehende kämpfen mit einer auffallenden Belastung und psychische Probleme haben sich für viele Menschen zu einem nicht zu bewältigenden Ballast entwickelt.
Armut im Alter In den letzten Jahren steigt die so genannte Altersgefährdungsquote bei Menschen über 65 kontinuierlich an. Frauen sind dabei überdurchschnittlich stärker betroffen als Männer, was sich auch an den Zahlen der Bezieher*innen der Grundsicherung belegen lässt. Junge Menschen haben öfters weniger Vertrauen in die gesetzliche Rente. Ein Grund dafür ist ein immer weiter sinkendes Rentenniveau. 1990 lag dieses noch bei 55%, aktuell nur noch bei 48, 1%. Berechnungen schätzen, dass es bis 2032 weiter auf nur noch 44,9% sinken wird. In dem negativen Zusammenhang steht vor allem der Mindestlohn, der wenngleich dieser Erkenntnis vor allem für Frauen eine Besserstellung in der Arbeitswelt bedeutete, insofern sie überdurchschnittlich oft im Niedriglohnsektor zu finden sind. Dieser lag im Januar 2020 bei 9,35€ die Stunde. Der Schwellenwert für die Armutsgefährdung lag im Jahr 2018 bei einem Verdienst von 1062€ pro Monat. Mehrere Studien belegen, dass ein schlechter Lohn sich am ehesten direkt auf eine geringere Rente auswirkt. Es muss ein gesetzliches Rentensystem her, welches von einer breiteren Masse der Bevölkerung so angenommen wird, ob jung oder alt. Es müssen ein stabiles und menschenwürdiges Rentenniveau und keine weiteren Erhöhungen der Rentenaltersgrenze sichergestellt werden. Umniedrige Renten am effizientesten aufwerten zu können, muss der Mindestlohn dabei kontinuierlich so angepasst werden, dass er im Alter eine Rente über der Grundsicherung garantiert. Dies soll mit einer Stärkung der Tarifbindung und einer Begrenzung von Leih- und Zeitarbeit sowie einer Abschaffung von Minijobs” einhergehen. Erwerbminderungsrenten (EM) werden beantragt, wenn man wegen Krankheit nicht mehr arbeiten kann. In Deutschland gelten ca. 1,8 Millionen Menschen als solche Erwerbsminderungsrentner, welche jedoch nur bei 795€ liegt und bei zusätzlichen Abschlägen von bis zu 10,8% nachweislich nicht zum Leben ausreicht. Als Folge davon bezieht fast jeder sechste EM-Rentner eine Grundsicherung, Tendenz steigend. Die logische Konsequenz daraus kann nur lauten, die Abschläge für EM-Renter abzuschaffen und die Bestandsrente generell zu verbessern. Die beste Vorbeugung lautet hierbei eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um Altersarmut vorzubeugen.
Darüber hinaus zahlen einige Gruppen von Erwerbstätigen nicht in die gesetzliche Rentenversicherung mit ein, da dort andere Pensionssysteme vorherrschen. Daher bekräftigen wir unsere Forderung nach einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einzahlen. Immer noch leben wir einer Gesellschaft, in der 5% der Bevölkerung so viel besitzen wie die restlichen 95%. Um diese Schere zwischen Arm und Reich zu schließen braucht es eine effektive Vermögenssteuer, eine stärkere Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen, eine Einführung einer Finanztransaktions- und Digitalsteuer und natürlich eine öffentliche und grundlegende Diskussion darüber, ob unsere aktuellen sozialen Sicherungssysteme, welche sich fast allein nach dem Einkommen orientieren, noch zeitgemäß sind. Unternehmensgewinne kommen wegen der Digitalisierung immer stärker von einer sinkenden Anzahl von Beschäftigten, welche jedoch ausschließlich ins Rentensystem einzahlen und somit disproportional belastet werden. Um dem entgegenzuwirken, müssten der Steueranteil im Rentensystem entweder erhöht oder schlichtweg komplett neue Grundlagen für Sicherungssystem geschaffen werden, welche nicht nur die Rente betreffen. Zahlreiche Studien sind sich einig, dass Altersarmut zusammen mit der Armutsgefährdungsquote unter den aktuellen Bedingungen weiter zunehmen wird. Zeitgleich steigt auch die Anzahl der Einkommensmillionäre, welche weniger Steuern zahlen als noch zuvor. Steuergelder, die wir dringend für die Refinanzierung unseres Rentensystems bräuchten. Eine Anhebung des Reichensteuersatzes und intensivere Bekämpfung von Steuerhinterziehung sind nur einige Beispiele, wie wir den aktuellen Trend entgegenwirken könnten.
Deshalb fordern wir:
Armut ist migrantisch
Deutschland ist ein Einwanderungsland, denn jede*r fünfte Einwohner*in kann eine eigene oder über mindestens ein Elternteil über eine mitgebrachte Migrationsgeschichte erzählen. Mehr als die Hälfte dessen besitzt sogar den deutschen Pass. Dass aber strukturelle Benachteiligungen nicht vor einem Stück Papier Halt macht, wird besonders bei Menschen mit Migrationsgeschichte klar. Ein großer Teil der Eltern- und Großeltern dieser Menschen kam im Zuge der Anwerbeabkommen in die junge Bundesrepublik. Zwischen 1955 und 1968 waren insgesamt 9 solcher Abkommen zwischen Deutschland und Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Marokko, Südkorea, Portugal, Tunesien und dem ehemaligen Jugoslawien abgeschlossen. Bei einem Anwerbestopp 1973 gab es bereits ca. 4 Millionen sogenannter Gastarbeiter*innen in Deutschland. Dessen Arbeitsplätze zeichneten sich durch ein niedriges Qualifikationsniveau aus, welche niedrige Sprachkenntnisse erforderte, aber auch unterdurchschnittliche Bezahlung und Sicherheiten zur Folge hatte. Bei wirtschaftlichen Rezessionen waren dies die ersten Arbeitsplätze, welche abgebaut wurden.
Eine Besetzung dieses Arbeitsmarktsektors durch Migrant*innen bedeutete für deutsche Arbeiter*innen, dass sie in höher qualifizierte und besser bezahlte Positionen aufsteigen konnten. Gastarbeiter*innen wurden als billige Arbeitskräfte vor allem in der Industrie eingesetzt und trugen somit maßgeblich zum sogenannten Wirtschaftswunder der Bundesrepublik bei. Wenig sichtbar in der Darstellung der sogenannten Gastarbeit*innen sind Frauen, obwohl die Rekrutierung von Arbeitsmigrantinnen einen zentralen Bestandteil der deutschen Anwerbepolitik bildete. Sie arbeiteten in der Textil-, Bekleidungs-, Nahrungs- und Genussmittelindustrie und insbesondere auch in der großen Zahl an gesundheitsschädlichen Arbeitsplätzen in der Elektrotechnik und der Eisen-/Metallindustrie. Dabei wurden sie wesentlich schlechter bezahlt als die männlichen Arbeitsmigranten und deutsche Frauen. In den 60er und 70er Jahren erfolgte der Familiennachzug von „Gastarbeiterinnen“, später auch die der Kinder. Gastarbeiterinnen leisteten vor allem unbezahlte Care-Arbeit im Haushalt und waren nebenbei auch in „gering qualifizierten Berufen“, wie in der privaten Gebäudereinigung tätig. Dies bedeutete häufig auch eine sehr geringe oder sogar gar keine Einzahlung in das Rentenversicherungssystem, ebenso fehlte in den meisten Fällen auch das Einkommen für eine private Altersvorsorge.
Letztendlich hat dies eine besondere Benachteiligung von Migrant*innen gegenüber deutschen Arbeitnehmer*innen mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zur Folge, welche sich auch nicht durch das Gefälle zwischen den Geschlechtern aufwiegt: Migrantisierte Männer sind gegenüber weißen Frauen nicht im Vorteil, wenn es um sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätzegeht, obwohl sie Männer sind. In der 2. Generation der Migrant*innen änderte sich diese Rolle oft grundlegend, da mit dem Abschluss des deutschen Schul- und Ausbildungssystems oft leicht bessere Startbedingungen in den Arbeitsmarkten gegeben waren. Doch trotzdem herrschten vergleichsweise geringere Bildungschancen für Schüler*innen mit Migrationshintergrund, welche vor allem für Frauen* ein fehlender Aufstieg vom Niedriglohnsektor bedeutete. Nachdem die Zuwanderung in den 70er - und 80er-Jahren abgenommen hatte, stieg sie in den 1990er Jahren wieder. Hintergründe waren u.a. der Jugoslawienkrieg, die Zuspitzung der Lage im kurdischen Teil der Türkei und die Öffnung der Grenzen für Spätaussiedler*innen aus der ehemaligen Sowjetunion.
Die Arbeitsmigration nach Deutschland änderte sich in den letzten Jahren durch die Gesetzeslage bezüglich der neuen Mitgliedsstaaten der EU. So kamen viele Arbeitsmigrant*innen seit Beginn des neuen Jahrtausends aus Polen 2004, Bulgarien und Rumänien 2007, Kroatien 2013 (Arbeitnehmerfreizügigkeit). Dazu kommen die Geflüchteten aus den Krisenregionen Afghanistan, Pakistan, Syrien, die bislang nur zum Teil auf dem Arbeitsmarkt angekommen sind. Insgesamt zeigt sich, dass die Armutsgefährdung innerhalb der Gruppe der Eingewanderten stark variiert. Besonders von Armutsrisiken betroffen, sind Personen, die im mittleren bis späten Erwachsenenalter nach Deutschland gekommen sind, eine geringe Aufenthaltsdauer haben, geringe deutsche Sprachkenntnisse haben, aus den ehemaligen sogenannten „Gastarbeiterländern“ oder Drittstaaten außerhalb der EU kommen und/oder keinen deutschen Berufsabschluss haben. Wenn verschiedene Faktoren gleichzeitig betrachtet werden, zeigt sich, dass vor allem Migrant*innen, die schon mehr als 25 Jahre in Deutschland leben, aus EU-Ländern stammen, über eine Berufsausbildung verfügen und mit Personen ohne Migrationshintergrund zusammenleben in geringerem Maße von Armutsrisiko betroffen sind. Jedoch zeigt sich auch unter günstigen Voraussetzungen wie einem geringen Alter bei Einwanderung, hoher Aufenthaltsdauer oder sehr guten Deutschkenntnissen immer noch eine höhere Armutsgefährdung als in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Bei Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2016 bei 28,0 Prozent, die Armutsgefährdungsquote in Deutschland insgesamt bei 15,7 Prozent.
Besondere Situation von Geflüchteten: Ohne an dieser Stelle noch näher darauf eingehen zu können, ist festzustellen, dass Geflüchtete, je nach Aufenthaltsstatus, inzwischen mehr auf dem Arbeitsmarkt mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Ausbildung angekommen sind. Allerdings ist die sogenannte Arbeitsmarktintegration keineswegs zu romantisieren, denn allein im Lohnverhältnis zwischen Geflüchteten und der Gesamtbevölkerung sind deutliche Disparitäten von ca. 44 Prozent aufzufinden. Sie landen trotz guter Qualifikationen häufig im unterbezahlten Helferbereich und sehr oft in der Leiharbeit. Etwa 76 Prozent der Geflüchteten mit Vollzeitjob arbeiten im Niedriglohnbereich. Diese Erwerbsarmut führt dazu, dass die Arbeitnehmer*innen auf aufstockende Lohnersatzleistungen angewiesen sind und weniger Möglichkeiten zur sozialen Teilhabe in Anspruch nehmen können. Auf ihre späteren Renten hat das katastrophale Auswirkungen. (DGB Arbeitsmarkt aktuell Nr. 03/01.08.2019 und DGB Arbeitsmarkt 2.8.2019)
Deshalb fordern wir:
Armut ist weiblich
Verschiedene Studien und Untersuchungen zeigen schwarz auf weiß, was uns allen bereits bewusst ist. Vor allem Frauen* sind von Armut betroffen. Dies betrifft in vielen Fällen alleinerziehende Mütter und macht auch vor dem Alter nicht Halt. Die Gründe, warum vor allem Frauen von Armut betroffen sind, sind sehr vielfältig und hängen oftmals mit ihrer zu kurzen oder von großen Lücken betroffenen Erwerbstätigkeit zusammen. Hierzu zählt unter anderem, dass vor allem Frauen ihre Erwerbstätigkeit beispielsweise aufgrund von Kindererziehung unterbrechen oder sie in Teilzeit beschäftigt sind, da sie den größten Teil der Carearbeit, wie zum Beispiel der Pflege von Angehörigen, neben ihrem Job zu bewältigen haben. Des Weiteren besteht die Problematik, dass pflegende Vollzeitbeschäftigte derzeit keine Form der Anerkennung ihrer Leistung erfahren. Bislang müssen folgende Bedingungen erfüllt sein, um durch die Pflege von Angehörigen Rentenpunkte erhalten zu können: Die Gepflegten müssen mindestens den Pflegegrad 2 haben. Die Pflege muss vom MDK (Medizinischer Dienst) der Krankenversicherung als notwendig festgestellt worden sein. Weiterhin muss die zu pflegende Person Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung haben. Die pflegende Person muss in Deutschland, der Schweiz oder im europäischen Wirtschaftsraum wohnhaft sein. Die Pflege muss mindestens 10 Stunden in häuslicher Umgebung ausgeübt werden, aufgeteilt auf mindestens zwei Tage in der Woche. Und schließlich darf die pflegende Person nicht mehr als 30 Stunden in der Woche arbeiten. Genau diese Punkte erachten wir als ungerecht und unrealistisch, denn auch Menschen, die über 30 Stunden in der Woche arbeiten, bringen Zeit für die Pflege von Angehörigen auf. Auch das geforderte Minimum von 10 Stunden, aufgeteilt auf mindestens 2 Tage der Woche, wird hierbei erreicht oder sogar überschritten. Es ist realitätsfern anzunehmen, dass Vollzeitbeschäftigte neben ihrer Arbeit keine Zeit mehr dafür aufbringen müssen, ihre Angehörigen zu pflegen. Es ist unfair, dass es diesen Menschen bislang nicht möglich ist, dadurch Rentenpunkte zu sammeln. Deshalb muss sichergestellt werden, dass auch die Pflegeleistung, die Vollzeitbeschäftigte erbringen, vollumfänglich bei der Sammlung von Rentenpunkten angerechnet wird. Immerhin leben in Deutschland etwa 4,1 Millionen anerkannte Pflegebedürftige. Ungefähr ¾ von ihnen werden zu Hause von Angehörigen und teilweise mit der zusätzlichen Hilfe eines Pflegedienstes gepflegt. Die Pflegebedürftigen haben meist eine eingetragene Hauptpflegeperson. Etwa die Hälfte der pflegenden Angehörigen reduziert ihre Arbeitszeit nicht. Tagtäglich sind also mehrere Tausend Vollzeitbeschäftigte von den bisherigen Regelungen ausgeschlossen, die dazu führen würden, Rentenpunkte für ihre geleistete Pflege zu erhalten.
Aber auch die Verdiensthöhe ist ein essentieller Punkt. Denn noch immer beträgt die Gender Pay Gap in Deutschland 21%. Dies liegt zum einen daran, dass Frauen noch immer diskriminiert werden und im Durchschnitt 6% weniger Gehalt für die gleiche Tätigkeit erhalten als Männer, aber auch an der Berufswahl. Denn vor allem häufig von Frauen dominierte Berufe werden deutlich schlechter bezahlt und somit ist der durchschnittliche Bruttoverdienst einer Frau 4,44€ pro Stunde niedriger, als der eines Mannes. Obwohl diese Berufe eine hohe Bedeutung für die Gesellschaft besitzen und systemrelevant sind, wie uns vor allem in der derzeitigen Coronapandemie gezeigt wird, gehören diese frauendominierten Berufe unter anderem im Einzelhandel oder der Pflege zu den am schlechtesten bezahlten Berufen. Um Frauen nun vor Armut in jedem Alter zu schützen, müssen wir also unter anderem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, Carearbeit grundsätzlich gerechter verteilen, geleistete Carearbeit als Arbeitsleistung anerkennen, eine höhere Entlohnung von Frauen schaffen und mehr Frauen bei der Berufswahl für männerdominierte und bereits besser bezahlte Branchen unterstützen und sie dementsprechend auf den verschiedensten Ebenen fördern. Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, dass überholte, veraltete, konservative Rollenverteilungen und Familienmodelle gesamtgesellschaftlich kritisiert werden und da die Gefahr von Armut betroffen zu sein viel höher ist, wenn man nicht der „bürgerliche Kleinfamilie“ entspricht, müssen all diese staatlichen Ungerechtigkeiten wie beispielsweise das Ehegattensplitting sofort abgeschafft werden.
Unsere Forderungen:
Armut ist Ostdeutsch
Mehr als 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution muss immer noch konstatiert werden, dass die ostdeutsche Gesellschaft durch politische und gesellschaftliche Frakturen gezeichnet ist, die sich von denen im Rest der Bundesrepublik unterscheiden. Mit der Transformation in eine kapitalistische Gesellschaft gingen Vermarktlichung und neue ökonomische Freiheiten mit einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit einher. Eine Arbeiter*innengesellschaft mit faktischer Beschäftigungsgarantie wurde in kürzester Zeit ein Ort massiver Massenarbeitslosigkeit. Quasi über Nacht hatte der Betrieb als Hort der sozialen Integration seine Funktion verloren. Arbeitslosigkeit wurde in Ostdeutschland zum Kollektivschicksal und die Folgen dessen sind heute auch noch über Generationen spürbar. In dieser Zeit wurde eine Gesellschaft, die Arbeitslosigkeit nur aus Erzählungen kannte, das erste Mal mit der kapitalistischen Realität von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert. Fast jede*r Zweite in Ostdeutschland wurde in dieser Zeit mit Arbeitslosigkeit konfrontiert, fast jede*r Dritte arbeitete nach der Wende nicht mehr im erlernten bzw. gleichen Job. Die Arbeitslosigkeit erreichte Höchstwerte von bis zu 20 %. Gleichzeitig verlor Ostdeutschland in dieser Zeit viele Menschen, auch vor allem Frauen, die in Westdeutschland ihre soziale Lage zu verbessern suchten. Ebenfalls verzeichnete die Geburtenrate einen Knick, der sich erst Mitte der 2000er Jahre zu stabilisieren begann.
Heute begegnen wir in Ostdeutschland einer überalterten Gesellschaft. Nach Arbeitslosigkeit und Marktumbau in den 90er Jahren und der damit einhergehenden Entstehung einer neuen, anderen Art des Prekariats folgten in den 2000er Jahren Hartz IV und Niedriglohnpolitik. Heute stehen die ostdeutschen Bundesländer im Maßstab einer kapitalistischen Gesellschaft besser da. Industriearbeit gibt es (von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich) wieder mehr und ökonomisch ging es viele Jahre aufwärts. Dennoch steht es vor allem bei der sozialen Mobilität schlecht. In allen höheren Berufsgruppen und durch alle Branchen hinweg sind die Ostdeutschen in Ostdeutschland unterrepräsentiert. Die Hoffnung, dass westdeutsche Chef*innen ostdeutschen Nachwuchs in die Führungsetagen nachziehen, bestätigte sich nicht. Die Überschichtung der Sozialstruktur von West nach Ost, die mit den Transfereliten aus Westdeutschland begann, setzt sich in vielen Bereichen einfach fort. Das hat auch spürbare Auswirkungen auf die Kumulierung von privatem und unternehmerischem Kapital. Erbschaften gibt es in dieser Gesellschaft häufig nur in der Verbindung mit Schulden. Eigentum ist in den meisten Fällen westdeutsch. Löhne, Renten und Tarifbindung sind weiterhin weit unterhalb des westdeutschen Niveaus. Es bleibt weiter viel zu tun!
Des Weiteren ist ein kostenloser ÖPNV und eine höhere Taktdichte inklusive Nachtverkehr notwendig, um den ÖPNV für alle attraktiver zu machen. Zu einem attraktiven ÖPNV für alle gehört für uns natürlich auch Barrierefreiheit im gesamten Netz, für die wir uns einsetzen werden. Radfahren fördert nicht nur die Gesundheit, es ist auch emissions- und geräuschlos. Nicht zu vernachlässigen ist ebenso der geringe Flächenverbrauch im Vergleich zum Auto. Aber auch Radfahrern muss die notwendige Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden. Die ausschließliche Fokussierung auf den motorisierten Individualverkehr führte auch dazu, dass Radfahren insbesondere in großen Städten unattraktiv und stellenweise gefährlich ist. Aus diesem Grund fordern wir einen Ausbau des Radnetzes sowie Radschnellwege in den Städten und für den ländlichen Raum.
Ein attraktives ÖPNV- und Radnetz schafft Anreize weg vom Auto. Weniger motorisierter Individualverkehr erhöht die Lebensqualität in der Stadt, in dem es Lärm- und Umweltbelastung und Platz für mehr Grünflächen ermöglicht. Unter nachhaltiger und sozialer Mobilität verstehen wir auch den Ausbau von Sharing-Modellen. Vor allem in Großstädten gehören Carsharing oder Bike Sharing längst zum Stadtbild. Um zu verhindern, dass die Anbieter rein auf den wirtschaftlichen Faktor setzen, fordern wir einen staatlichen bzw. kommunalen Anbieter, der sämtliche Verkehrsmittel umfasst. Wir setzen uns für leises und umweltfreundliches Fliegen sowie die strikte Beibehaltung des Nachtflugverbotes ein. Smarte und nachhaltige Mobilität, die gleichzeitig sozial und gerecht ist, erfordert einen Ausbau der Infrastruktur für ÖPNV-Nutzer, Radfahrer und Nutzer von Sharing-Modellen. Für uns ist Mobilität ein Grundrecht, bei der ein wirtschaftliches Denken der Betreiber fehl am Platz ist. Wir sehen es als Aufgabe des Staates und der Kommunen an, Mobilität für alle gesellschaftlichen Schichten und an jedem Ort deutschlandweit zu ermöglichen.