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Beschlussarchiv

B3 2022
Das politische Streikrecht erkämpfen

Antrag B03: Das politische Streikrecht erkämpfen

Verglichen mit anderen Demokratien und vor allem mit anderen westlichen
Industriestaaten fällt auf, dass die Bundesrepublik Deutschland ein erheblich
restriktives Streikrecht hat. Von den 27 Staaten der Europäischen Union +
Großbritannien, ist der politische Streik nur im vereinigten Königreich, Österreich
und Deutschland illegalisiert. Ein Verbot ist indes nirgendwo festgeschrieben. Auch
mit den Illegalisierungen von Beamtenstreiks, Blockaden, Boykotts, dem Streikverbot
durch die christlichen Kirchen, der Einengung von Streikmöglichkeiten nur auf
tarifvertraglich regelbare Ziele und den Einschränkungen bei Sympathiestreiks, sind
Defizite in unserer politischen und wirtschaftlichen Demokratie verankert.
Wir fordern daher eine Streikrecht gemäß dem Art. 23 der allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen, den Übereinkommen 87 und 98 der
Internationalen Arbeitsorganisation und dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen
Sozialcharta zu verankern.
Streiks sind für uns eine gewerkschaftlich organisierte Form kollektiver Konflikte
zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen. Wir fordern die Legalisierung
dieser Streiks, auch wenn sie nicht auf den Abschluss eines Tarifvertrages abzielen.
Auch diese Art der Arbeitsniederlegung sind für uns legitime Formen der politischen
und wirtschaftlichen Partizipation von Arbeitnehmer:innen.
Darüber hinaus fordern wir §160 SGB III abzuschaffen, damit zukünftig Arbeiter:innen,
welche in Streiksituationen von der sogenannten kalten Aussperrung betroffen sind
wieder Anspruch auf ALG I erheben können. Wir fordern die vollumfängliche Abschaffung
des kirchlichen Arbeitsrechts und des Tarifeinheitsgesetzes, da aus diesen auch und
vor allem dem Arbeitskampf Nachteile erwachsen.
Die Schwäche des deutschen Streik- und Arbeitskampfrechts ist gerade während der
letzten Monate ganz frappierend zum Vorschein gekommen. Nicht jede Branche kämpft nur
für sich und nicht jede Branche hat gleich günstige Voraussetzungen für den
Arbeitskampf. So wären 7-wöchige Streiks (mit denen die IG Metall in den 80ern die
35-Stunden Woche durchgesetzt hat) in der Kranken und Altenpflege kaum denkbar und
würden ganz erheblich die Gesundheit dritter beeinflussen. Die Aufgabe jeglicher
Forderung und die schiere Abhängigkeit von übermächtigen Arbeigeber:innen bzw.
Trägerorganisationen kann aber nicht der Weg nach vorne sein.
Im Kollektivarbeitsrecht gilt der Dritte Weg der Kirche, der Streiks als Mittel der
in Art. 9 III GG gesicherten Tarifautonomie wegen des ,,Dienst am Nächsten‘‘
verbietet und sie stattdessen durch Kommissionen gesichert sieht, die paritätisch mit
Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden besetzt sind. Nach einem Urteil des
Bundesarbeitsgerichts müssen Kirchen nunmehr sicherstellen, dass Gewerkschaften in
den Prozess eingebunden werden. Ver.di wies jedoch zurecht darauf hin, dass die
Entscheidungen der Kommission nicht bindend sind, sondern lediglich Richtlinien
darstellen, die in jeden Individualarbeitsvertrag ausdrücklich einbezogen werden
müssen. Auch die Bildung eines Betriebsrats ist in kirchlichen Einrichtungen nicht
möglich (§ 118 II BetrVG).
Und ist von Nächstenliebe - auf die die Kirche ihr Streikverbot stützt - nicht auch
umfasst, Menschen nicht in prekären Arbeitsbedingungen zu beschäftigen? Die
gesetzliche Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Kirche
(Art. 140 GG iVm Art.137 III WRV) ist nach 1945 umgedeutet worden und wird erst seitdem als Kirchenprivileg ausgelegt. So waren etwa Streiks der kirchlichen Beschäftigten in der
Weimarer Republik üblich. Derart absolut, wie von der Kirche dargestellt, kann das
Selbstbestimmungsrecht mithin gar nicht sein. Erwähnenswert ist auch, dass in
christlich-konservativeren Ländern als Deutschland - wie Spanien oder Italien - ein
solches Sonderarbeitsrecht und die damit einhergehenden Loyalitätspflichten nicht
gelten. Hier drängt sich die Frage auf, ob es - wie von der Kirche wiederholt
vorgebracht - aus religiöser Sicht tatsächlich so weitreichender Vorschriften zur
Wahrung der kirchlichen Glaubwürdigkeit und Erfüllung ihres religiösen Auftrags in
Einrichtungen der sozialen Infrastruktur bedarf. Wir wollen daher nicht nur den
solidarischen Streik ermöglichen, was den Gewerkschaften und der arbeitenden
Bevölkerung einen gewaltigen Hebel zur unmittelbaren Verbesserung der
Arbeitsbedingungen verschafft. Wir wollen auch den politischen Streik in Deutschland
endlich auf eine rechtlich sichere Grundlage stellen.