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Beschlussarchiv

B4 2022
Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern – Lehren aus \#ichbinhanna ziehen

Antrag B04: Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft verbessern – Lehren aus #ichbinhanna ziehen

Die Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler*innen müssen deutlich verbessert
werden. Das gilt sowohl für die Universitäre, wie auch für die Außeruniversitäre
Forschung. Die Arbeitsbedingungen für junge Wissenschaftler*innen (Promovierende und
Post-Docs) sind schlecht. Als das Bundesministerium für Bildung und Forschung ein
Informationsvideo zum WissZeitVG veröffentlichte mit der Aussage, das WissZeitVG
verhindere die “Verstopfung” von Stellen und die “Fluktuation fördere die
Innovationskraft”, war die Empörung unter wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen groß,
der Hashtag #ichbinhanna wurde ins Leben gerufen. Leider argumentiert aber die
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) aktuell bei ihren Vorschlägen zur Änderung des
WissZeitVG dennoch genau so. Zur Realität des wissenschaftlichen Personals (von
Doktorand*innen bis Juniorprofessor*innen) gehören:

  • unbezahlte Überstunden pro Woche Kettenbefristungen
  • oft nur Verträge über einige Monate
  • oft Vollzeit arbeiten, aber nur eine halbe oder 2/3 Stelle haben
  • unsicheres Privatleben

    Eine wissenschaftliche Karriere endet nach 12 Jahren befristeter Verträge, wenn keine
    Festanstellung oder Professur erreicht wurde. Durch die schlechten Arbeitsbedingungen
    und die fehlende Planbarkeit ist Vereinbarkeit von Beruf und Familie kaum gegeben.
    Dies ist auch der Grund, warum nur 27% der W2-Professuren von Frauen besetzt sind,
    während der Frauenanteil bei Promotionen noch 45% beträgt.

    Befristungen:

    Dazu bedarf es einer Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Bundesebene, das
    Kettenbefristungen maximal eingrenzt und eine Befristungsquote von unter 35%
    gewährleistet und die aktuelle geltende maximale Beschäftigungsdauer von 12 Jahren
    muss fallen, um einen leistungsfähigeren Mittelbau zu ermöglichen und mehr
    Flexibilität und Sicherheit in der Lebensplanung von jungen Akademiker*innen zu
    gewährleisten. Dazu müssen Qualifizierungsziele und Mindestvertragslaufzeiten
    gesetzlich vorausgesetzt werden.

    Promovierende:

    Promovierende brauchen Arbeitsverträge, die ihnen genug Zeit zum Promovieren
    ermöglichen. Wir fordern Mindestlaufzeiten von mindestens vier Jahren für
    Erstverträge in der Promotionsphase. Dabei ist besonders die zeitliche und
    finanzielle Berücksichtigung von Elternzeit, Krankheits-, Angehörigenpflegezeiten,
    Lehre oder administrativen Aufgaben wichtig. Langfristig sollen die
    Vertragslaufzeiten, orientiert an der durchschnittlichen Promotionsdauer, auf sechs
    Jahre angehoben werden. Die Lehrtätigkeit von Promovierenden soll grundsätzlich auf
    maximal 2 Semesterwochenstunden begrenzt sein.

    Post-Docs:

    Die Anzahl der befristeten Postdoc Stellen muss reduziert und gleichzeitig die Anzahl
    der unbefristeten Stellen für Forschende und Lehrende ausgebaut werden. Das
    Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen muss die Möglichkeit
    sicherstellen, dass mit der Entscheidung zum Post-Doc auch die Entscheidung für eine
    akademische Laufbahn verbunden ist. Um den meist jungen Post-Docs Planungssicherheit
    zu geben, brauchen wir grundsätzlich eine Entfristung nach der Promotion,
    insbesondere bezüglich Daueraufgaben. Eine Befristung soll nur dann möglich sein,
    wenn eine Anschlusszusage geregelt ist. Das bedeutet, dass sofern die vereinbarten
    Entwicklungsziele von den Post-Docs eingehalten werden, Post-Docs die zugesagte
    Entfristung enthalten. Im Übrigen soll eine weitere Anstellung an der selben
    Universität nur in einem unbefristeten Verhältnis erfolgen dürfen. Im Post-Doc
    Bereich sollten die Grundsätze „keine Befristung für Daueraufgaben“ und „keine
    Befristung ohne Dauerperspektive“ gelten
    Wir fordern, dass mindestens drei Viertel der Arbeitszeit von Promovierenden für ihre
    Qualifikation festgeschrieben wird. In der Praxis haben Promovierende während ihrer
    Arbeitszeiten oft nicht ausreichend Zeit, sich ihrer eigenen wissenschaftlichen
    Arbeit zu widmen. Dadurch ist es in vielen Fällen gar nicht möglich, dass die
    Promotion in der dafür vorgesehenen Zeit erreicht wird. Bei einer Teilzeitstelle wird
    dennoch erwartet, dass Promovierende mindestens Vollzeit arbeiten bzw. ihre Promotion
    in ihrer “Freizeit” schreiben. Für uns ist das ein Beispiel für die Umgehung von
    Tarifverträgen. Wir fordern stattdessen 100% Lohn für 100% Arbeit! Dies darf von den
    Hochschulen nicht umgangen werden. Außerdem fordern wir, die Durchsetzung von
    Arbeitsschutz wie z.B. Arbeitszeiterfassung auch in der Wissenschaft und Vergütung
    der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit statt Teilzeitstellen, bei denen in Vollzeit
    gearbeitet wird.

    Studentische und Wissenschaftliche Hilfskräfte

    Studentische Hilfskräfte leisten einen wichtigen Beitrag für Lehre und Forschung an
    den Hochschulen. Um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, müssen auch
    studentische Beschäftigte in die Personalvertretungsgesetze der Länder aufgenommen
    werden. Wissenschaftler*innen sowie studentische Beschäftigte haben außerdem einen
    Anspruch auf tarifvertraglichen Schutz. Wir fordern daher, in Bezugnahme auf das
    Templiner Manifest der GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft), die
    Ausdehnung des Geltungsbereichs der Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes
    auf alle Beschäftigten in Lehre und Forschung. Unbefristete Arbeitsverträge für
    Studierende bei Finanzierung aus Haushaltsmitteln oder bei Einsatz im Lehrbetrieb.
    Nichtbezahlung in vorlesungsfreien Zeiten und jahrelange Kettenbefristung bei
    gleichbleibender Tätigkeit müssen der Vergangenheit angehören! Zudem fordern wir die
    Aufhebung der Beschäftigungshöchstdauer von sechs Jahren für Studierende. Diese
    Regelung betrifft insbesondere Studierende, die mit der Beschäftigung an der
    Hochschule ihr Studium finanzieren und daher schon zu Beginn ihres Studiums eine
    Tätigkeit aufnehmen. Studierende, die länger für ihr Studium benötigen und auf ihre
    Anstellung angewiesen sind, müssen auch die Möglichkeit haben weiterhin an der
    Hochschule angestellt sein zu können. Wir solidarisieren uns mit der bundesweiten
    TVStud-Bewegung sowie deren lokalen Basisgruppen an den Hochschulen und schließen uns
    ihren Forderungen an. Hierzu zählen insbesondere ein existenzsichernder Mindestlohn,
    Urlaubsansprüche, eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mindestvertragslaufzeiten,
    Mitbestimmung und demokratische Teilhabe durch Personalräte für studentische
    Beschäftigte sowie regelmäßige Lohnerhöhungen durch die Anbindung an die
    Lohnsteigerungen im TVL. Nicht jede*r erhält die Möglichkeit, eine Stelle als
    studentische oder wissenschaftliche Hilfskraft an den Hochschulen zu finden. Daher
    gilt unsere Unterstützung auch diejenigen, die unter vergleichbaren oder schlechteren
    Bedingungen in der freien Wirtschaft arbeiten. Wir fordern, in Zusammenarbeit mit den
    Gewerkschaften, Beratungsstellen für außerhalb den Hochschulen beschäftigte Studierende an den Hochschulen einzurichten.

    Demokratisierung des Hochschulbetriebs: Weg von Lehrstühlen und
    hin zu einer Department-Struktur
    Langfristig fordern wir die Abkehr vom Lehrstuhlprinzip und die Etablierung von
    Department-Strukturen an den Hochschulen. An Lehrstühlen ist die Entscheidungsmacht
    allein auf eine*n Professor*in konzentriert. In Kombination mit der besonders
    strengen Hierarchie sowie der viel zu niedrigen Anzahl von nicht männlichen
    Professuren und Lehrstuhlinhaberschaften, begünstigt das Lehrstuhlprinzip
    patriarchalen Machtmissbrauch. Außerdem erschwert es insbesondere für FINTA und
    Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu Forschungsprojekten und höheren
    Hochschulämtern. Wir stehen für demokratische Hochschulen, an denen wissenschaftliche
    Mitarbeiter*innen, Professor*innen, nichtwissenschaftliche Mitarbeiter*innen und
    Studierende paritätisch an Mitbestimmung teilhaben. Department-Strukturen haben aus
    unserer Sicht das Potential, mehr Menschen und besonders den Betroffenen spezifischer
    Diskriminierungserfahrungen endlich die Entfaltungs- und Teilhabemöglichkeiten
    bereitzustellen, die sie schon lange verdient haben. Damit der Wissenschaftsbetrieb
    ein gerechter Raum für alle Menschen, wird, fordern wir ergänzend zu der Etablierung
    der Department-Strukturen zielgerichtete Antidiskriminierungs- und Förderprogramme,
    die aktiv und unter Berücksichtigung intersektionaler Diskriminierungserfahrungen auf
    die Verringerung bestehender Ungleichheiten hinwirken.
    Um Arbeitnehmer*innen auch an Universitäten eine flexible und freie Familien- und
    Lebensplanung zu ermöglichen, muss es ein Recht auf echte Teilzeit, und, wo möglich,
    ein Recht auf Home-Office geben.
    Letztlich müssen auch Personalvertretungen im wissenschaftlichen Bereich gestärkt
    werden, mit dem Ziel den Personalräten in den Mitbestimmungsgesetzen auf Landesebene
    die Befugnisse eines Betriebsrats zu geben, um die Durchsetzung der Rechte
    wissenschaftlichen Personals sicherzustellen.