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Beschlussarchiv

C7 2021
Der (gar nicht so) neue Teil des Prekariats

Beschluss C7: Der (gar nicht so) neue Teil des Prekariats

Wir fordern:

  1. Eine ständige Ausfinanzierung der Hochschulen und Universitäten. Da die gegenwärtige Praxis der Finanzierung des Wissenschaftsbetriebs durch Drittmittelprojekte eine bürokratische Ressourcenverschwendung ist, die der Grundlagenforschung, dem wissenschaftlich präzisen Arbeiten und der Innovation im Weg steht, fordern wir:

Eine vollständige Aufhebung des Kooperationsverbotes zwischen Bund und Ländern um zielgerichtete Forschungsfinanzierung zu erleichtern. Eine Reduzierung der Drittmittelfinanzierung – bei gleichzeitiger Erhöhung der Grundfinanzierung von Forschungseinrichtungen und Universitäten. Eine Überwindung von privaten Drittmittelinvestitionen an öffentlichen Forschungseinrichtungen, um die Freiheit der Forschung zu erhalten. Die Schaffung von Forschungseinrichtungen mit allen wissenschaftlichen Freiheiten und großzügigen finanziellen Mitteln, losgelöst von ständiger Kontrolle von Erfolgen und Profitabilität, zur Versammlung von führenden Wissenschaftlerinnen welche auf ihren Fachgebieten und interdisziplinär zivile Forschung nach Grundregeln wissenschaftlicher Ethik für eine freiere und gerechtere Gesellschaft betreiben. Eine Abschaffung der Exzellenzinitiative zur Forschungsförderung. Die finanziellen Mittel sollen stattdessen für die bedingungslose Ausfinanzierung von Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen verwendet werden. Eine Abkehr der Beurteilung von wissenschaftlichem Erfolg anhand von rein quantitativen Größen im Allgemeinen. Bei den immer weiter steigenden Zahlen an Veröffentlichungen, Konferenzen und Konferenzbeiträgen, ist eine Qualitätssicherung und -beurteilung meist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Eine Erhöhung der Investitionen und Zuschüsse für frei zugängliche Veröffentlichung von Forschungsergebnissen und Rohdaten, um wissenschaftlichen Austausch zu stärken und Forschung dadurch zu beschleunigen. Hierbei sollen kleine und sozial- und geisteswissenschaftliche Fachgebiete genauso berücksichtigt werden, wie große und MINT- Fachgebiete. Wissenschaftlerinnen sollten nicht im Wettbewerb gegeneinander antreten, sondern vereint die Forschung vorantreiben. Die Bereitschaft dafür wird aber durch den Wettbewerb um Fördergelder eingeschränkt.

2. Befristungen den Kampf ansagen. 100% Lohn für 100% Arbeit. Befristete Verträge, bei denen die Befristung unumgänglich und nachvollziehbar begründet ist, müssen mindestens eine Laufzeit von zwei Jahren haben. Wir wollen Dauerstellen für Daueraufgaben und damit einhergehend die flächendeckende Abschaffung sachgrundloser Befristungen. Solange es noch Drittmittelfinanzierung gibt, gibt es auch in diesen Drittmittelprojekten viele Beschäftigte, die weiterhin ihre Stellen haben werden. Ihnen gegenüber gibt es keine Rechtfertigung, ihre faktischen Dauerstellen nicht mit einem dauerhaften Vertrag zu versehen. Darüber hinaus müssen auch Beschäftigte in Drittmittelprojekten endlich einen Anspruch auf Vertragsverlängerung haben, wenn Elternzeit in Anspruch genommen wird. Deshalb muss die familienpolitische Komponente im WissZeitVG entsprechend ausgestaltet sein. Das akademische Leben darf keine Aneinanderreihung von Befristungen sein. Promotion und PostDoc sind jedoch Ausbildungsphasen einer akademischen Laufbahn. Auch wenn diese nur Wegpunkte in einer akademischen Karriere sind, darf daraus nicht automatisch eine Befristung der Beschäftigungsverhältnisse folgen. Die Dauer und Ausgestaltung dieser “Ausbildungszeiträume” muss individuell an die Forschenden angepasst werden, Beschäftigungsverhältnisse während der Promotion sollten dabei aber immer mindestens über die gesamte Länge der Regelstudienzeiten am jeweiligen Fachbereich abgeschlossen werden. Für die Zeit danach muss voll ausgebildeten jungen Wissenschaftler*innen eine langfristige akademische Perspektive schon während der Ausbildungsjahre aufgezeigt werden. Die strukturellen Möglichkeiten für eine unbefristete Weiterbeschäftigung müssen gewährleistet sein. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) in seiner jetzigen Form bietet dafür keine Lösungen, sondern hat das Problem der akademischen Kettenbefristung in ein Problem der plötzlichen Arbeitslosigkeit Hochqualifizierter nach 12 Jahren wissenschaftlicher Ausbildung transformiert. Um die akademischen Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern, bedarf es einer umfassenden Novellierung des WissZeitVG im Rahmen einer grundlegenden Umgestaltung von Finanzierung und Strukturierung von Forschung und Lehre. Wir fordern, dass mindestens drei Viertel der Arbeitszeit von Promovierenden für ihre Qualifikation festgeschrieben wird. In der Praxis haben Promovierende während ihrer Arbeitszeiten oft nicht ausreichend Zeit, sich ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Dadurch ist es in vielen Fällen gar nicht möglich, dass die Promotion in der dafür vorgesehenen Zeit erreicht wird. Bei einer Teilzeitstelle wird dennoch erwartet, dass Promovierende mindestens Vollzeit arbeiten bzw. ihre Promotion in ihrer “Freizeit” schreiben. Für uns ist das ein Beispiel für die Umgehung von Tarifverträgen. Wir fordern stattdessen 100% Lohn für 100% Arbeit. Dies darf von den Hochschulen nicht umgangen werden. Promovierende brauchen Arbeitsverträge, die ihnen genug Zeit zum Promovieren ermöglichen. Wir fordern Mindestlaufzeiten von 3 Jahren für Erstverträge in der Promotionsphase. Dabei ist besonders die zeitliche und finanzielle Berücksichtigung von Elternzeit, Krankheits-, Angehörigenpflegezeiten, Lehre oder administrativen Aufgaben wichtig. Die Lehrtätigkeit von Promovierenden soll grundsätzlich auf maximal 2 Semesterwochenstunden begrenzt sein. Die Anzahl der befristeten Postdoc-Stellen muss reduziert und gleichzeitig die Anzahl der unbefristeten Stellen für Forschende und Lehrende ausgebaut werden. Das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen muss die Möglichkeit sicherstellen, dass mit der Entscheidung zum PostDoc auch die Entscheidung für eine akademische Laufbahn verbunden ist. Um den meist jungen PostDocs Planungssicherheit zu geben, brauchen diese eine Mindestvertragslaufzeit von 5 Jahren und eine weitere Anstellung an der gleichen Universität kann nur in einem unbefristeten Verhältnis erfolgen.

3. Gute Arbeit auch für Studierende Studentische Hilfskräfte leisten einen wichtigen Beitrag für Lehre und Forschung an den Hochschulen. Um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten, müssen auch studentische Beschäftigte in die Personalvertretungsgesetze der Länder aufgenommen werden. Wissenschaftler*innen sowie studentische Beschäftigte haben außerdem einen Anspruch auf tarifvertraglichen Schutz. Wir fordern daher, in Bezugnahme auf das Templiner Manifest der GEW (Gesellschaft für Erziehung und Wissenschaft), die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Flächentarifverträge des öffentlichen Dienstes auf alle Beschäftigten in Lehre und Forschung. Unbefristete Arbeitsverträge für Studierende bei Finanzierung aus Haushaltsmitteln oder bei Einsatz im Lehrbetrieb. Nichtbezahlung in vorlesungsfreien Zeiten und jahrelange Kettenbefristung bei gleichbleibender Tätigkeit müssen der Vergangenheit angehören! Die Aufhebung der Beschäftigungshöchstdauer von sechs Jahren für Studierende. Diese Regelung betrifft insbesondere Studierende, die mit der Beschäftigung an der Hochschule ihr Studium finanzieren und daher schon zu Beginn ihres Studiums eine Tätigkeit aufnehmen. Studierende, die länger für ihr Studium benötigen und auf ihre Anstellung angewiesen sind, müssen auch die Möglichkeit haben weiterhin an der Hochschule angestellt sein zu können. Für studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte schließen wir uns den Forderungen der bundesweiten TVStud-Bewegung an. Hierzu zählen insbesondere ein existenzsichernder Mindestlohn, Urlaubsansprüche und eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mindestvertragslaufzeiten sowie Mitbestimmung in der Organisation des universitären Betriebes.

4. Höchstbefristungsdauer abschaffen – endlich auch in der Universität.

5. Dauerstellen für Daueraufgaben, wie beispielsweise die Lehre. Des Weiteren fordern wir: Eine Minimierung der Verwaltungstätigkeit für Forschende. Der Akademische Karriereweg mit einer fortschreitenden Entfernung von Forschung und Entwicklung hin in Administrative Positionen kann nicht der einzig finanziell logische sein. Dafür müssen Arbeitsverträge entfristet werden und eine gerechte Bezahlung für Wissenschaftler*innen in allen Stufen ihrer Karriere garantiert werden.

  1. Durchsetzung von Arbeitsschutz wie z.B. Arbeitszeiterfassung auch in der Wissenschaft und Vergütung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit statt Teilzeitstellen, bei denen in Vollzeit gearbeitet wird

  2. Das Umgehen von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung durch Stipendien muss beendet werden. Auch Tätigkeiten mit Qualifizierungszielen, wie z.B. eine Promotion, stellen eine Arbeit für die Hochschule oder Universität dar und müssen entsprechend mit einer Einstellung als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen verbunden sein. Die Finanzierung wissenschaftlicher Tätigkeiten über Stipendien verhindert, dass Nachwuchswissenschaftlicher*innen in die Renten- und Arbeitslosenversicherung einzahlen können und setzt sie damit dem hohen Risiko aus, nach dieser Tätigkeit direkt auf Hartz IV angewiesen zu sein.

  3. Bis ein solcher Wandel erfolgt ist, müssen Promotionsstudent*innen als ordentliche Studierende im Sinne des SGB anerkannt werden, für die die Krankenversicherungspflicht gilt und die Möglichkeit, die gesetzliche Krankversicherung der Student*innen zu nutzen. Aktuell müssen sich Promotionsstipendiat*innen „freiwillig“ krankenversichern und den Versicherungsbeitrag daher vollständig selbst zahlen.

#IchbinHanna

Seit Monaten erzählen Wissenschaftler*innen auf Twitter unter dem Hashtag #IchBinHanna von ihren prekären Beschäftigungsverhältnissen. Auslöser war ein Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In diesem wurde das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (im Weiteren WissZeitVG) erklärt. Die Situation von Wissenschaftler*innen unterhalb der festangestellten Professor*innen wird geradezu verklärt. Nach Vorstellung des Ministeriums (und des WissZeitVG) sollen Wissenschaftler*innen sechs Jahre bis zur Promotion und weitere sechse Jahre als Post-Doc oder Juniorprofessor*in erhalten, um dann nach spätestens (!) 12 Jahren eine Professur auf Lebenszeit zu erhalten – oder rauszufliegen aus der Wissenschaft. Oder wie das Ministerium es in dem kritisierten Video bezeichnet: Damit diejenigen, die keine der immer weniger werdenden Professuren erhalten, nicht das System „verstopfen“ für „den Nachwuchs“. Das Ministerium hat das Video mittlerweile nach massiver Kritik von Wissenschaftler*innen vor allem auf Twitter (und so langsam auch in der ein oder anderen Zeitung) gelöscht. Schauen wir in die Tweets mit dem #IchBinHanna, so wird schnell deutlich, dass die Arbeit dieser Wissenschaftler*innen unter dem WissZeitVG weitaus prekärer ist als es das Ministerium in Video und Antwort beschreibt. Es wird berichtet von Verträgen, die halbjährlich, mit viel Glück jährlich, verlängert werden. Viele könnten sicherlich gegen die kettenvertragsmäßige Beschäftigung klagen – doch wer klagt dagegen, wenn man weiterbeschäftigt werden will, solche Verfahren längere Zeit dauern und die Wissenschaftskarriere schon mühselig genug ist? Des Weiteren wird berichtet, dass unbezahlte Überstunden geleistet werden, um Lehre und Forschung gleichermaßen an den Universitäten am Laufen zu halten. Und: Wir reden hier nicht (nur) von jungen Promovierenden, sondern vom gesamten (!) akademischen Mittelbau (!). Von den Dozierenden, die die Lehre – gerade in den unteren Semestern – mit Seminaren und Übungen aufrechterhalten. Übrigens: Vor- und Nachbereitung meist unbezahlt. Kommunikation und Besprechung von Arbeiten ebenso in der Freizeit. Oder man sieht es anders: Forschung in der Arbeitszeit – Lehre in der Freizeit. Der Wissenschaftsbetrieb ist somit geprägt von stetigem Leistungsdruck, mangelnder Freizeit und existenziellen Unsicherheiten. In diesen Strukturen haben es insbesondere Menschen, die ohnehin strukturelle Benachteiligung erfahren – beispielsweise Frauen, Erstakademiker*innen, BIPoC oder Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen – ungleich schwieriger. Eine Erkrankung, eine Schwangerschaft oder anfallende Care-Arbeit zwingen nicht selten insbesondere Frauen zum Ausstieg aus der wissenschaftlichen Karriere. So bleibt eine Tätigkeit in der Wissenschaft exklusiv Wenigen vorbehalten, die ökonomisch abgesichert sind – diverse Perspektiven bleiben systematisch außen vor.

Ein weiterer Punkt, der weniger unter #ichbinhanna, aber ebenso zur sich drastisch verschlechternden Situation der Universitätslandschaft führt: Kürzungen in Millionenhöhe an Hochschulen und Universitäten. Seit einigen Monaten werden in Folge der Corona-Pandemie und deren Bewältigung von diversen Landesregierungen Kürzungen an Universitäten und Hochschulen (FHs u. HAWs) vorgenommen. Wehren können sich diese kaum. Dabei sollten in öffentlichen Hochschulen, die maßgeblich dazu beitragen auch in Zukunft qualifizierte Fachkräfte für Industrie, Wirtschaft und gesellschaftsrelevante Berufe auszubilden, externe Wirtschaftskrisen keine Nachteile für die Finanzierung der Hochschulen bedeuten. Was sind die Folgen? Die KW- Vermerke kehren zurück, Lehrstühle älterer Professor*innen werden nach Eintritt in die Rente der jetzigen Lehrstuhlinhaber*innen nicht neubesetzt. Heißt aber auch: Mitarbeiterstellen, wissenschaftliche MA oder Verwaltungsstellen wie Sekretärinnen fallen ebenso mit Renteneintritt der Professor*innen weg. Dadurch fallen ganze Studiengänge weg.

Sowohl diese Kürzungen als auch das WissZeitVG führen zu einer massiven Verschlechterung des Wissenschafttsstandortes Deutschland. Deshalb liegt die Lösung der unter #IchBinHanna beschriebenen Arbeitsbedingungen einzig in der Ausfinanzierung der Hochschullandschaft – und nicht in einem Zurückziehen des Staates und Kürzungen. Die Kürzungen betreffen alle Bereiche der Hochschullandschaft. Viele Verwaltungsstellen werden nurbefristet und oft durch Drittmittelanträge konstruiert. Die Studierendenanzahl wächst kontinuierlich, jedoch werden die Anzahl der Stellen in Lehre und Verwaltung nicht darauf angepasst.