Der Jusos-Bundeskongress möge beschließen:
Der 2. russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat uns im vergangenen Jahr in vielerlei Hinsicht nachhaltig geprägt und uns angeregt bisherige Positionen, beispielweise zur Lieferung von Waffen in Kriegsgebiete, zu hinterfragen sowie zu verändern. Das ist im Anblick der Unterstützung und unserer Solidarität gegenüber der Ukraine bei ihrem Kampf um Souveränität und der Verteidigung gegen den russischen Überfall auch zwingend notwendig.
Darüber hinaus hat der Krieg und die damit verbundene „Zeitenwende“ massive Folgen für unsere internationale Politik. Wir schauen zunehmend stärker auf die Interessen und Wahrnehmung unserer Partner:innen in Mittel- und Osteuropa. Damit bekommt diese Region, über die in den letzten Jahrzehnten häufig hinweggeschaut wurde, die Relevanz, die sie auch vorher schon verdient hätte. Unsere Fehler in der vergangenen Russlandpolitik müssen zur Konsequenz haben, dass wir nicht nur kurzfristig im Rahmen der Sicherheitspolitik stärker auf Länder in Mittel- und Osteuropa schauen, sondern auch dauerhaft unsere Verbindungen zu ihnen in allen Politikbereichen stärken. Gerade aufgrund der gemeinsamen Geschichte der sowjetischen Beeinflussung haben wir die notwendigen Anknüpfungspunkte, das zu tun und gleichzeitig das nach wie vor unkritische Narrativ gegenüber Russland in Teilen der Bevölkerung der ostdeutschen Bundesländer zu durchbrechen. Das ist die gelebte Verantwortung unseres internationalistischen Selbstverständnisses.
Neben der Verteidigung einer souveränen Ukraine, unterstützen wir auch den Freiheitskampf der Menschen in Belarus. Seit August 2020 demonstrieren Menschen gegen die gefälschten Wahlen und für ein demokratisches Belarus unter der Führung von Swjatlana Zichanouskaja. Wir sind den Menschen verpflichtet, konsequente politische Maßnahmen zu veranlassen sowie die belarussische Diaspora in ihrem Widerstand gegen Machthaber Lukaschenka zu stärken.
Die mittel- und osteuropäischen Länder haben eine Geschichte, die mit unserer ostdeutschen eng verbunden ist. Gemeinsam waren wir über 45 Jahre hinweg im Einflussbereich der Sowjetunion. Gemeinsam haben wir unter der antidemokratischen Hegemonie und den Einschränkungen gelitten. Dennoch unterscheidet sich der heutige Umgang mit diesem gemeinsamen Erbe sehr. Wenn wir von den Ländern Mittel- und Osteuropas sprechen, sind wir uns dessen bewusst,dass wir von einer sehr vielfältigen, unabhängigen und individuellen Region sprechen, welche nicht verallgemeinert werden darf oder über einen Kamm geschert werden sollte. Wir sind uns auch dessen bewusst, dass der Geschichtseinfluss und die Rolle bzw. das geschichtliche Erbe Deutschlands ein bedeutendes Thema in vielen Gesellschaften der Region bis heute spielt. In diesem Zuge setzten wir uns auch für mehr Bewusstsein darüber innerhalb der deutschen Gesellschaft sowie Völkerverständigung ein.
Während es im Großteil der Staaten östlich der ehemaligen DDR große Ablehnung gegen Russland und das russische Regime gibt, finden wir in Ostdeutschland weiterhin eine hohe Affinität und wenig kritische Auseinandersetzung mit der autokratischen Entwicklung der Russischen Föderation in den letzten Jahren. Wir müssen uns daher zukünftig sowohl in diesem Land als auch in dieser Partei stärker kritisch damit auseinandersetzen und die vergangenen Jahre aufarbeiten. Insbesondere Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten von der wirtschaftlichen Kooperation ohne Konditionalität oder Anknüpfung an politische Veränderungen profitiert und ist selten unseren Partner*innen auf Augenhöhe begegnet. Die universelle Verfügbarkeit russischen Gases hat zu großen Standortvorteilen geführt, während wir damit die Voraussetzung für eine noch stärkere Bedrohungslage unserer mittel- und osteuropäischen Nachbarn gesorgt haben.
Deutschland befindet sich bei der Neuausrichtung der europäischen Politik in einer historisch besonderen Position, die wir als solche begreifen und nutzen sollten. Als Staat, durch den über 40 Jahre lang die unüberwindbar scheinende Grenze zwischen dem „Osten“ und dem „Westen“ verlief, sollten wir diese historische Erfahrung nutzen, um eben diese immer noch in den Köpfen existierenden Grenzen aufzubrechen. Anstatt sich weiterhin als Vertreter der „alten“ „west-“europäischen Staaten zu verstehen, sollte Deutschland als Teil Zentraleuropas Brückenbauer*in sein, um gemeinsam mit unseren Partner*innen in Zentraleuropa, eine gemeinsame europäische Politik zu formulieren. Damit das europäische Projekt weiterhin gelingt, braucht es eine ausgewogenere Europapolitik. Dafür müssen die Erfahrungen und Lebenswirklichkeiten Ostdeutschlands eine größere Rolle spielen. Deutsche Europapolitik muss mehr als die Deutsch-Französische Freundschaft sein. Europa bedeutet für uns auchenge Kooperation und Austausch insbesondere mit unserenöstlichen Nachbar*innen. Gemeinsam wollen wir mit guten Lösungen auf Herausforderungen unserer Zeit für die Europäische Union vorangehen und gemeinsam dazu beitragen unsere Demokratie zu verteidigen. Dabei müssen wir gerade die existierenden multilateralen Formate wie die Ostseeparlamentarierkonferenz, den demokratischen Ostseeraum insgesamt, die Nachbarschaftsstrategien der Bundesländer und Kommunen, oder auch die Euroregionen als Projekte eines zusammenwachsenden Europas stärken. Dazu gehört auch endlich wieder ein Treffen in diesem Rahmen auf Ebene der Regierungschef:innen. Auch das Weimarer Dreieck bietet trotz aller politischen Schwierigkeiten ein Format, in dem es möglich ist, gemeinsam Lösungen für eine Zukunft der EU zu finden. Das darf uns allerdings nicht davon abhalten Haltung zu Fragen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit klar zu adressieren. Partner*in auf Augenhöhe zu sein, heißt Kritik klar anzusprechen. Deswegen ist die Anwendung des Konditionalitätsmechanismus richtig und geboten. Aber auch wir können uns nicht von unserer Verantwortung freisprechen. Auch wenn die finanziellen Reparationsforderungen der polnischen Regierung derzeit Mittel populistischer Stimmungsmache sind, dürfen wir die zugrundeliegenden Probleme nicht ignorieren. Deutschland muss sich seiner Verantwortung als Täter*in im Zweiten Weltkrieg bewusst sein und sich an Gedenkprojekten, historischer Aufarbeitung und Entschädigungen für Zwangsarbeiter*innen in Zukunft stärker beteiligen und Orte der Begegnung schaffen und fördern. Deutschland und auch unsere Partei muss sich dessen bewusst werden, dass nicht nur aufgrund der Geschichte, sondern auch der vergangenen aber aktuellen Europapolitik insbesondere gegenüber Polen sowohl in der dortigen politischen Landschaft als auch immer noch in der Gesellschaft große Ressentiments gegenüber Deutschland vorherrschen. Wir müssen uns daher nicht nur auf eine Politik auf Augenhöhe bilateral und auf europäischer Ebene einsetzen, sondern auch die gesellschaftliche Aussöhnung, vor allem zwischen der Jugend, entschlossener und aktiver vorantreiben - auch um gegen rechte Narrative in Polen anzukommen.
Der wiederholte russische Angriff auf die Ukraine hat auch in diesem Land im letzten Jahr die europapolitische Debatte bestimmt. Vor allem die AfD reproduziert dabei klar russische Narrative und dient damit als nützliche Helferin der Propaganda Moskaus. Diese Rhetorik kennen wir auch aus anderen rechtsradikalen Parteien in Europa. Hier zeigt sich: Die europäische Rechte ist gut vernetzt und versuchen unsere liberale Demokratie zu delegitimieren sowie ihre nationale und menschenverachtende Agenda umzusetzen. Dem stellen wir uns klar entgegen. In diesem Zusammenhang lohnt es sich differenzierter auf Deutschland zu schauen. Während in Westdeutschland 63 % die Unterstützung der Ukraine mit der Lieferung von Waffen befürworten, sind es im Osten Deutschlands nur 40 %. Auch in der politischen Debatte erleben wir regelmäßig, wie die Unterstützung der Ukraine infrage gestellt wird. Der sächsische Ministerpräsident fällt dabei mit besonders fragwürdigen Aussagen und wenig Sachkenntnis auf. Unter anderem fabuliert er immer wieder vom „Einfrieren des Krieges“ und fordert Nord Stream wieder zu reparieren. Er schadet damit nicht nur dem Ansehen Sachsens in der Welt und speziell bei unseren wichtigen Partner*innen in Mittel- und Osteuropa, sondern propagiert auch russischen Erzählungen, wie der Verhandlungsbereitschaft Russlands. Diese Narrative dürfen wir nicht unwidersprochen stehen lassen. Das russische Regime zeigt immer wieder, dass es nicht bereit ist zu verhandeln und für die Erreichung ihrer Kriegsziele weiterhin Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in der Ukraine begeht. Unsere Antwort darauf kann also nur klar sein: Wir unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf um Souveränität und auf ihrem Weg in die Europäische Union. Dazu gehört für uns neben der kontinuierlichen finanziellen und humanitären Hilfe auch die Lieferung von Waffen. Aber auch, wenn der Krieg eines Tages beendet ist, wird die Ukraine Hilfe brauchen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die Ukraine sich von diesem schrecklichen Krieg erholtund Teil unserer Europäischen Gemeinschaft werden kann. Notwendig dafür wird unter anderem ein Wiederaufbauprogramm sein. Daran sollte sich Deutschland stark beteiligen. Auch die Regionen und Kommunen sollten ihren Teil dazu leisten. Mit neuen Städtepartnerschaften, verstärktem Austausch und wirtschaftlicher Kooperation.
Auch sicherheitspolitisch hat sich in den letzten Monaten vieles verändert. Für uns ist klar: wir nehmen die Sicherheitsbedürfnisse und auch die Ängste unserer osteuropäischen Nachbar*innen ernst. Der Überfall auf die Ukraine hat gezeigt, wie real sie sind. Während wir vor über einem Jahr noch dachten, ein Krieg inmitten von Europa sei nicht mehr möglich, sind wir im letzten Jahr Zeug*innen des Gegenteils geworden. Die Gefahr ist real. Konsequenz daraus muss sein, dass wir unsere Sicherheitspolitik in Europa stärken. Jedoch nicht die nationale Aufrüstung aller Einzelstaaten. Wir stehen weiterhin zu der Forderung einer gemeinsamen europäischen Armee, zugunsten nationaler Abrüstung. Nur so werden wir unsere zukünftige Sicherheit gut organisieren können. Es ist in einem Bündnis wie der Europäischen Union nicht sinnvoll, 27 Armeen zu stellen, in der jede*r jede Fähigkeit besitzen muss. Wir bekennen uns klar zur Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Europäischen Verteidigungspolitik (GSVP).
Um gemeinsam erfolgreich zu sein, braucht es gemeinsame Verbindungen, die wir stärker fördern müssen. Dabei spielen die Grenzregionen in unserem Land eine wichtige Rolle. Um den Grenzregionen auch die verbindende Wirkung zu verleihen, die ihnen nachgesagt wird, gilt es vor allem Vereine und Organisationen, die grenzübergreifende Begegnungen schaffen und vor Ort Vorurteile abbauen, von politischer Ebene zu unterstützen. Weiterhin muss den grenzübergreifenden „Euroregionen“ eine größere Relevanz und Bedeutung zugesprochen werden. Diese stellen eine gute Möglichkeit dar grenzübergreifende Zentren aufzubauen, die sowohl territoriale als auch mentale Grenzen verschwinden lassen. Vergleichen wir die deutsch-tschechischen bzw. polnischen Region mit der deutsch- französischen Grenze, sehen wir, dass, auch wenn viel bereits zusammengewachsen ist, in der Kooperation noch eine Menge Potenzial liegt. Deshalb ist es wichtig, zivilgesellschaftliche Institutionen wie den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und andere gesellschaftliche Partner stärker zu fördern. Hier entstehen im alltäglichen Leben viele wichtige Verbindungen untereinander. Außerdem ist es zwingend notwendig, am gegenseitigen Verständnis im ganz engen Sinne zu arbeiten. Mehr Menschen in Deutschland sollten die Möglichkeit nutzen, beispielsweise Tschechisch, Polnisch und Sorbisch zu lernen, was auch dem vermeintlichen Ungleichgewicht in der „Wertigkeit“ der Sprachen gegenüber westeuropäischen entgegenwirken soll. Dafür brauchen wir Kindergärten und Schulen, in denen diese Sprachen bereits den Jüngsten ganz selbstverständlich beigebracht werden können. Schulkooperationen, Schüler*innenaustausche und Jugendprojekte müssen wir ebenfalls dafür nutzen, einander vermehrt zu begegnen, ein Bewusstsein für die gemeinsam geteilte Vergangenheit zu erlangen und Vorurteile abzubauen.
Aber auch ausreichende Angebote und Anreize in der (politischen) Erwachsenenbildung sind zentral, um einander besser zu begegnen und langfristige Kooperationen zu ermöglichen.
Betrachten wir uns die politischen Landschaften in den Ländern unserer östlichen Nachbarschaft, stellen wir fest: Progressive Bewegungen und Parteien haben es besonders schwer. Insbesondere konservative und rechte Politik hat Erfolg. Das zeigt sich auch in der Gesellschaft. Die politische Durchsetzung unserer Werte ist schwierig. Umso wichtiger ist es, die progressiven politischen Kräfte in den Ländern stärker zu vernetzen und zusammenzubringen. Das ist auch unsere Verantwortung als internationalistischer Verband. Wir brauchen mehr gemeinsame Foren und Austauschmöglichkeiten mit unseren Schwesterorganisationen in Mittel- und Osteuropa, aber auch mit den Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wir brauchen ein internationales Engagement gegen Anti-Europäer*innen und einen Kampf für Antifaschismus und Antirassismus über unsere Grenzen hinaus. Für uns alle muss daher klar sein: Keinen Fußbreit den Demokratiefeind*innen und Faschist*innen in der Europäischen Union und weltweit.
Dazu fordern wir die:
Auch aus wirtschaftspolitischer Sicht eint uns und unsere Nachbar*innen vieles. Wir alle haben gemeinsam das System der Planwirtschaft erlebt. Wir mussten in den Neunzigerjahren einen großen Strukturbruch und weitreichende Transformation überwinden. Und genauso werden wir alle gemeinsam die grüne Transformation des 21. Jahrhunderts meistern müssen. Die Gemeinsamkeiten und unsere Erfahrungen geben uns einerseits Kraft die Dinge zu lösen, andererseits auch Anreiz dies zusammen zu tun. Die Herausforderungen werden groß. Im Vergleich zu Westeuropa finden wir eine deutlich andere Wirtschaftsstruktur mit deutlich weniger Vermögen und Möglichkeiten vor, in Zukunftstechnologien zu investieren. Gleiches gilt für staatliche Investitionen und Beihilfen. Umso wichtiger ist im gemeinsamen Interesse, seitens der EU ausreichend Mittel zur Unterstützung der anstehenden Investitionen bereitzustellen. Programme wie der Just Transition Fund und Industrial Green Deal sind dafür gute Instrumente. Für eine wirklich schlagkräftige Europäische Union im industriepolitischen Bereich sind weitere finanzielle Möglichkeiten notwendig. Wir fordern die Einrichtung weiterer europäischer Eigenmittel. Außerdem müssen wir in unsere gemeinsame transnationale Vekehrsinfrastruktur, vor allem in die Schiene investieren. Landgrabbing wie es in den östlichen Bundesländern und in der Ukraine bis zum zweiten Kriegsausbruch stattfindet, stellen wir uns entgegen. Gute Transformation kann allerdings nur mit guter Arbeit gelingen. Mit dem Strukturwandel der Neunzigerjahre hat sich auch die Arbeitsrealität in Ostdeutschland und Mitteleuropa geändert. Viele Firmen mussten schließen, viele Unternehmen mit Sitz in Westeuropa haben die Chancen genutzt. Osteuropa ist wie Ostdeutschland in Teilen zur verlängerten Werkbank des Westens geworden. Geringe Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen sind die Folge. Die Transformation ermöglicht uns, das zu ändern. Wir streben schon lange nach gleichen Voraussetzungen innerhalb Deutschlands. Diese brauchen wir auch in ganz Europa. Dafür ist neben Investitionen auch eine gute Arbeitsmarktpolitik innerhalb der Europäischen Union notwendig. Entscheidungen wie die Mindestlohnrichtlinie sind dafür ein erster richtiger Weg. Aber auch darüber hinaus benötigt es weitere Initiativen, beispielsweise für flächendeckende Tarifbindung und Mitbestimmung, die gute Arbeit stärken.