Im August dieses Jahres gab es ein vorherrschendes politisches Thema: die dramatische Situation in Afghanistan. Nach dem raschen und – wie sich nun zeigt – falsch geplanten Abzug der US- amerikanischen und NATO-Truppen (darunter auch die Soldat*innen der deutschen Bundeswehr) seit Mai diesen Jahres hat die menschenfeindliche Terrorgruppe Taliban innerhalb kürzester Zeit fast ganz Afghanistan unter ihre Kontrolle gebracht. Aufgrund einer massiven Fehleinschätzung der Regierungen und Geheimdienste des sog. “Westens” kam es zu einer Situation, auf die auch die Bundesregierung wohl nicht vorbereitet war. So sagte Außenminister Heiko Maas noch im Juni, dass er nicht davon ausgehe, dass die Taliban in ein paar Monaten das Zepter in der Hand hielten. Ähnlich meinte auch der US-amerikanische Präsident Joe Biden, dass es keinen zweiten Saigon-Moment (am Ende des Vietnam-Kriegs mussten US-amerikanische Botschaftsmitarbeiter*innen mit Militärhubschraubern evakuiert werden) geben werde. Beide Aussagen haben sich als massive Fehleinschätzung erwiesen und unter anderem basierend auf dieser Einschätzung galt bis in den August hinein kein genereller Abschiebestopp nach Afghanistan. Man kann es nicht anders als eine der größten diplomatischen und geopolitischen Niederlagen des “Westens” im 21. Jahrhundert beschreiben.
Sicherheit der Ortskräfte Die aktuelle Situation ist vor allem eine reale Bedrohung für Leib und Leben für die Menschen vor Ort – insbesondere für viele Menschen, die für die Bundeswehr und deutsche Hilfsorganisationen gearbeitet haben (sog. Ortskräfte). Schon jetzt mehren sich Medienberichte, dass Mitglieder der Taliban durch Häuser auf der Suche nach ehemaligen Ortskräften streifen. Sie befinden sich in der ausweglosen Situation zunächst in die, vermeintlich auf Monate hin sicher geglaubte, Hauptstadt Kabul geflüchtet zu sein, nur um dann festzustellen, dass Kabul innerhalb kürzester Zeit auch von den Taliban erobert wurde. Nun werden sie von der Bundesregierung und den anderen vor Ort stationierten Staaten im Stich gelassen. Erschreckend ist, dass es bis dato erst wenige Visaverfahren für Ortskräfte gegeben hat. Daran wird deutlich, dass die Vergabe von Visaverfahren deutlich zu langsam abläuft. Für viele Ortskräfte kam es so zu einer nun lebensbedrohlichen Situation, weil die deutschen Behörden es ablehnten, Ortskräfte großzügig nach Deutschland auszufliegen – wohl aus Angst, dass man auch von der deutschen Bürokratie ausgeschlossene Menschen somit nach Deutschland bringen würde. Daher saßen Mitte August noch 7000-8000 Ortskräfte und ihre Familien in Afghanistan fest. Neben der Fehleinschätzung der Lage vor Ort war der Grund hierfür vor allem die Visa-Problematik, da das Innenministerium nicht bereit war, frühzeitige Änderungen vorzunehmen und Visaanträge auch in Deutschland stellen zu lassen. Gleichzeitig konnten die Ortskräfte, denen die sichere Ausreise von den Staaten, für die sie während des Einsatzes gearbeitet hatten, versprochen wurde, das Land nicht verlassen, da ihre Visa-Ansprüche außerhalb von Afghanistan nicht anerkannt werden würden. Explizit das bisherige deutsche Verfahren bringt die Ortskräfte in zusätzliche Gefahr: Um nachweisen zu können, für den Westen gearbeitet zu haben, müssen sie ihren Arbeitsvertrag bei sich tragen. Alleine dies bedeutet eine lebensbedrohliche Gefahr für sie, wenn die Taliban sie mit einem solchen Arbeitsvertrag entdecken. Mittlerweile berichten Medien von möglichen Tribunalen, mit denen die Taliban ehemalige Ortskräfte verfolgen und bestrafen wollen. Es beginnt also genau der Zustand einzutreten, der unter allen Umständen verhindert werden sollte und bei einer guten präventiven Politik zu verhindern gewesen wäre.
Während die Evakuierungsflüge vom Kabuler Flughafen bis Ende August durchgeführt wurden, hatten die Taliban einen Ring um den Kabuler Flughafen – der nach der Übernahme Kabuls der einzige Ort in Kabul war, der nicht unter der Kontrolle der Taliban stand – gebildet. Damit sollte verhindert werden, dass weitere Schutzbedürftige den Flughafen erreichen. Die, die den Flughafen in Kabul noch rechtzeitig erreicht haben, und auch viele weitere Menschen, die aus purer Angst zum Flughafen geflüchtet sind, befanden sich nur scheinbar in Sicherheit, da die Sicherheitslage am Flughafen wie ihre weiteren Lebensumstände unklar waren. Bilder von verzweifelten Menschen, die sich an ein startendes Flugzeug klammern, sprechen Bände und rechtfertigen es, von einer humanitären Katastrophe zu sprechen. Des Weiteren gefährden die bisherigen Terroranschläge, die vermeintlich dem IS zuzuschreiben sind, als auch mögliche weitere Terroranschläge, die Lage vor Ort erheblich und machen den Aufenthalt am Kabuler Flughafen für alle, sowohl Zivilist*innen als auch Soldat*innen, zu einer lebensbedrohlichen Situation.
Nachdem am 31.08.2021 das Ultimatum der Taliban abgelaufen war und die letzten Truppen des Westens sich per Flugzeug aus Afghanistan retteten, übernahmen die Taliban den Flughafen und für die Schutzbedürftigen und alle weiteren nach Hilfe suchenden Personen erlosch die Hoffnung auf eine sichere Flucht in den Westen. Viele Menschen blieben in Kabul und in ganz Afghanistan zurück, die so dringend auf die Hilfe des Westens angewiesen waren. Für uns ist daher klar: Es müssen jetzt weiter Wege gefunden werden um den Menschen in Afghanistan zu helfen und eine sichere Flucht zu ermöglichen. Dies könnte zum Beispiel durch Wege über Drittstaaten erreicht werden. Nachdem die Fluchtmöglichkeit über den Luftweg nicht mehr möglich war, machten sich viele Menschen auf den Weg in Nachbarländer, wie z.B. den Iran. Dort sitzen die hilfesuchenden Menschen mittlerweile seit knapp einem Monat fest. Die Schlangen vor der deutschen Botschaft im Iran sind lang, da die deutsche Botschaft für viele Geflüchtete der einzige Weg in eine sichere Zukunft scheint. Der Iran und weitere Nachbarländer, in denen Geflüchtete aus Afghanistan Schutz suchen, drohen mit der Abschiebung der Geflüchteten nach Afghanistan und somit zurück in das terroristische, frauenfeindliche, homofeindliche, transfeindliche, undemokratische, radikalreligiöse, gewaltbereite Regime, vor dem die vielen Menschen geflohen sind. Daher fordern wir, dass Deutschland die nach Hilfe suchenden Personen aus den Drittstaaten aufnimmt. Darüber hinaus soll Deutschland sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass auch andere Mitgliedsstaaten hilfesuchende Personen aus Drittstaaten aufnehmen.
Zukunft der Ortskräfte und Geflüchteten Die SPD soll sich für eine dauerhafte Lösung für Ortskräfte bei allen Auslandseinsätzen stark machen und dafür sorgen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Nachsorge für Ortskräfte als gesicherten Teil der Exitstrategien für Auslandseinsätze einplant. Für die Ortskräfte muss die Möglichkeit geschaffen werden, eine unbedingte und unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erhalten – egal wie lange man schon für staatliche, militärische oder zivile deutsche Organisationen oder Institutionen arbeitet. Hierfür muss sich die SPD in der Bundesregierung einsetzen. Besonders in Anbetracht der Rolle der SPD in der bisherigen Bundesregierung, während der mehr als mangelhaften Evakuierung der Ortskräfte, muss die SPD ihre Verantwortung in der nächsten Legislatur anerkennen.
Die aktuelle Regelung, dass nach jedem Jahr überprüft wird, ob die dann ehemaligen Ortskräfte ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland behalten dürfen, muss abgeschafft werden. Es zeugt von einer inhumanen Geflüchtetenpolitik gegenüber den Menschen, die teilweise unter lebensbedrohlichen Bedingungen deutschen Organisationen und der Bundeswehr halfen. Diese Einstellung, die wohl dem rechts-konservativen CDU-Mantra “2015 darf sich nicht wiederholen” (an Verachtung gegenüber menschlichen Leben ist diese Aussage nicht zu überbieten) entstammt, kann und darf nie die Position der SPD sein!
Des Weiteren müssen weiterführende Sprachkurse zur Qualifizierung für den deutschen Arbeitsmarkt sowie die Eingliederung in selbigen aktiv unterstützt werden. Das soll natürlich auch für alle Geflüchteten aus Afghanistan gelten, die zwar keine Ortskräfte waren, jedoch auf Grund der Machtübernahme durch die Taliban das Land verlassen mussten. Die Geflüchteten aus Afghanistan dürfen unter keinen Umständen abgeschoben werden. Daher lehnen wir ebenfalls eine Abschiebung in weitere EU Länder, bei denen unklar ist, ob sie den Geflüchteten eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erteilen, ab. So sollen jegliche Abschiebungen von Afghaninnen verhindert und ihnen eine langfristige Perspektive geboten werden. Zugleich muss auch festgestellt werden, dass nicht nur die Ortskräfte, sondern auch viele weitere Menschen unter dem Regime der Taliban leiden werden, insbesondere Frauen, LGBTQIA*, Aktivist*innen, Anwält*innen, Journalist*innen und viele weiter mehr. Diese Menschen, die lange Zeit auf die Hilfe des politischen Westens vertraut haben, müssen jetzt um ihr Leben fürchten. Dies ist eine humanitäre Katastrophe! Daher fordern wir, dass nicht nur den Ortskräften und ihren Familien Schutz gewährt wird, sondern auch allen weiteren Flüchtlingen aus Afghanistan. Nach der Machtergreifung der Taliban ist vor allem für Frauen und queere Menschen Afghanistan kein Schutzraum mehr. Die Verbindung zwischen (bewaffneten) Konflikten und der Gefahr von sexualisierter Gewalt für Frauen und Mädchen ist evident – genauso wie sich nachweisen lässt, dass in Konfliktsituationen, wie nun in Afghanistan, Frauen und nicht-männliche Personen in besonders prekäre Lagen versetzt und Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt werden. Wir fordern daher die Bundesregierung auf, in ihren Handlungen bezüglich der Lage in Afghanistan stets die besondere Situation von nicht-männlichen Personen zu bedenken und explizite Maßnahmen zu ergreifen, um diese vor (geschlechtsspezifischer) Gewalt zu schützen. Darüber hinaus soll der bisher von den zuständigen Ministerien definierte Personenkreis der Ortskräfte auf Personen ausgeweitet wird, deren Tätigkeit für die Bundeswehr länger als zwei Jahre zurückliegt, oder die für Subunternehmen gearbeitet haben. Der Kreis der 'akut schützenswerten Personen' soll auf Künstler*innen, Journalist*innen, LGBTIQ+ Personen, afghanische Mitarbeiter*innen von NGOs und Institutionen der Regierung sowie auf weitere, von den Taliban als Verräter*innen gebrandmarkte und gefährdete Gruppen erweitert werden.
Gesundheitliche Lage in Afghanistan und für Geflüchtete in Deutschland Wir müssen für Geflüchtete / fliehende Menschen eine gute gesundheitliche Versorgung in Deutschland gewährleisten. Gerade die psychische Gesundheit bei Kindern ist durch schwere Übergriffe und durch Fluchterfahrung in besonders hohem Maße gefährdet. Eine Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse muss durch niederschwellige und transparente Zugänge zu therapeutischen Angeboten gesichert werden. Dazu sollen Anlaufstellen und Beratungsstellen konkret Hilfsangebote vermitteln. Zu beachten ist dabei, dass sprachliche Barrieren auftreten können und überwunden werden müssen.
Anlass zur Sorge bereitet aber auch die Gesundheitsversorgung in Afghanistan. Die WHO warnt vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems. Der Vorrat an Medikamenten und medizinischem Gerät ist so gering, dass er nur noch für kurze Zeit reicht. Frauen und Kinder als Patient*innen und weibliches Personal bleiben (vermutlich aus Angst und Sorge vor Übergriffen) den Krankenhäusern fern. Zudem drohten bereits zu Beginn des Jahres 2021 etwa eine Million Kinder zu verhungern, die Zahl wird sich deutlich erhöht haben. Die Impfskepsis der Taliban trägt darüber hinaus einen wesentlichen Teil dazu bei, dass Masern und Polio (Kinderlähmung) zu einem großen gesundheitlichen Risiko in Afghanistan werden können. Die Vereinten Nationen müssen auch weiterhin die humanitären Partner vor Ort unterstützen, um gesundheitliche Katastrophen abzuwenden. Zudem muss die Ausstattung mit Medikamenten und medizinischen Geräten sichergestellt werden.
Aufgrund dieser Gefährdung verschiedenster Gruppen muss klar sein, dass alle möglichen Bemühungen unternommen werden, um den Schutzbedürftigen zu helfen! Nachdem die Luftbrücke – die nur einen Teil der Schutzbedürftigen retten konnte und somit ein großer Teil der schutzbedürftigen Personen zurückgelassen wurde – nach dem Ultimatum der Taliban aufgegeben wurde, müssen nun sichere Fluchtwege geschaffen werden. Dies kann durch Verhandlungen mit Drittstaaten vor Ort gelingen oder in Zusammenarbeit mit anderen Staaten, die noch Teile der Luftbrücke aufrechterhalten. Auch diesen Menschen und Weiteren, die nach der Beendigung der Luftbrücke nach Deutschland fliehen, muss eine dauerhafte Bleibeperspektive ermöglicht werden; nicht nur eine Duldung. Es gilt auch hier, dass unsere humanitäre Verantwortung keine Grenzen kennen darf. Es darf keine Obergrenze geben!
Bemühungen von NGOs und privaten Initiativen, die zur Zeit Flugzeuge chartern und mit diesen Kabul anfliegen wollten und auch zum Teil angeflogen haben, zeigen wieder einmal deutlich, dass von staatlicher Seite nicht genügend getan wird. Doch es sind die Regierungen von Deutschland, den USA und weiteren Staaten, die den Einsatz in Afghanistan zu verantworten haben. Sie stehennun auch in der Pflicht, alle diplomatischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die notwendige Evakuierung voranzutreiben. Notfalls auch gegen den Widerstand der Taliban.
Umgang mit den Taliban Die Bundesregierung muss alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um Schutzbedürftigen einen Weg aus Afghanistan zu ermöglichen und in diesem Kontext ggf. mit den Taliban diesbezüglich verhandeln. Dies darf jedoch keine Legitimation der Taliban als Regierung Afghanistans darstellen. Die Bundesregierung darf die Taliban als Regierung nicht anerkennen. Es ist fester Bestandteil jungsozialistischer Außenpolitik, dass ein terroristisches, frauenfeindliches, homofeindliches, transfeindliches, undemokratisches, radikalreligiöses, gewaltbereites Regime niemals anerkannt werden darf. Des Weiteren hinterfragen wir kritisch, ob die Taliban tatsächlich eine Mäßigung ihrer Politik und ihres Handels vornehmen wollen. Denn schon jetzt werden die Grundrechte wie die Pressefreiheit maßgeblich eingeschränkt oder sogar abgeschafft. Zusätzlich betrachten wir die zunehmend verschärfte Situation von Frauen mit Sorge, da ihnen bereits jetzt ihr Recht auf Arbeit und ihr Zugang zu Bildung großteils genommen wurde. Aus diesen und anderen Gründen lehnen wir eine Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit den Taliban ab.
Umgang mit Bundeswehrsoldat*innen Viele Bundeswehrsoldat*innen, die in Afghanistan oder in weiteren Kriegsgebieten eingesetzt waren, leiden teilweise unter großen psychischen Problemen wie Traumata. Um dieser Problematik entgegenzuwirken, fordern wir institutionelle psychologische Beratung für die Bundeswehrsoldat*innen, damit sie mit möglichen Traumata nicht alleine gelassen und den politisch Rechten überlassen werden. Die Soldat*innen müssen die Möglichkeit erhalten, über ihre Erlebnisse zu sprechen und diese mit fachspezifischer Hilfe zu überwinden. Diese psychologischen Beratungsangebote müssen für die Soldat*innen leicht erreichbar sein und dürfen unter keinen Umständen mit beruflichen Konsequenzen verbunden sein. Auch aus dem Dienst bereits ausgeschiedene Soldat*innen sollen Anspruch auf eine psychologische Behandlung bei PTSD haben.
Für eine feministische Außenpolitik in Afghanistan Bereits vor 20 Jahren haben die Vereinten Nationen erkannt, dass Frauen eine stärkere Rolle im Kampf für Frieden und Sicherheit einnehmen müssen und verabschiedeten die UN-Resolution 1325 ‚Frauen, Frieden, Sicherheit‘, die sich dafür einsetzen soll, Frauen in Konfliktvermeidungs-, - lösungs- und Stabilisierungsprozessen einzubinden. Ein Engagement, das durch mehrere Studien bestätigt wird: Zum einen sind Frauen am stärksten von Gewalt und Konflikten betroffen und zum anderen haben Friedensabkommen eine 35% höhere Wahrscheinlichkeit länger als 15 Jahre zu halten, wenn Frauen in den Verhandlungen involviert sind. Studien zeigen außerdem, dass sich sexualisierte Gewalt, Armut und etwa ungewollte Schwangerschaften dezimieren, wenn alle Geschlechter gleichgestellt sind. Auch konnte belegt werden, dass (bewaffnete) Konflikte in einem Zusammenhang mit Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft stehen. Nach der Machtergreifung der Taliban ist vor allem für Frauen und queere Menschen Afghanistan nicht mehr sicher, was sich zum Beispiel im Ausschluss von Frauen vom Bildungssystem zeigt. Ein feministischer Ansatz ist also auch im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in Afghanistan nötig. Doch wie kann dieser Ansatz im Konkreten aussehen? Feministische Außenpolitik beschreibt einen umfassenden Ansatz, der das Individuum, unabhängig von dessen sexueller Orientierung, der Herkunft und Hautfarbe, in das Zentrum außenpolitischen Handelns stellt und ganzheitliche Gleichberechtigung als verbindliche Arbeitsanweisung in Ministerien sieht. Unter Gleichberechtigung verstehen wir die Wahrnehmung bestehender gleicher Rechte für alle Menschen weltweit. In diesem Sinne sollen patriarchale Machtkonstruktionen und strukturelle Ungleichheiten zugunsten eines geschlechtergerechten und inklusiven Entscheidungsprozesses aufgebrochen, hinterfragt und dekonstruiert werden, um sich für eine friedlichere und gerechtere Welt einzusetzen. Konkret bedeutet das, dass innerhalb einer feministischen Außenpolitik die Situation von Frauen und anderen strukturell benachteiligten Gruppen mitgedacht und die Frage gestellt und beantwortet werden muss, welche Konsequenzen eine politische Maßnahme für diese Gruppen mit sich bringt, wo sich Unterschiede in der Wirkung auftun und wie diesen begegnet werden kann. Auch intersektionale Diskriminierungen wie Rassismus, Antisemitismus oder Ableismus müssen dabei berücksichtigt werden. Denn: Geschlechtergerechte internationale Politik ist kein Nice-to-Have!
Strukturelle Diskriminierung kann und muss grundsätzlich nur mit einem gleichberechtigten Partizipationsanspruch aller Menschen begegnet werden. Diese gleichwertige Behandlung und Beteiligung aller Menschen wird von der feministischen Außenpolitik nicht als Utopie verworfen, sondern als real- und sicherheitspolitisch notwendige Maßnahme zur Überwindung und Vorbeugung von Krisen und Konflikten erkannt. Für den Umgang mit den Taliban als neue Machthaber in Afghanistan heißt das konkret: Die Forderung von politischer Beteiligung von Frauen, Queeren und Minderheiten muss klar und deutlich ausgesprochen werden. Der außenpolitische Fokus darf demnach nicht nur auf der staatlichen Stabilisierung in Afghanistan liegen. Denn selbst wenn es den Taliban gelingen sollte, ihre vorgestellte Regierung langfristig zu halten oder gar zu etablieren und einen vermeintlich autarken Staat zu führen, beudeutet das noch lange keine Sicherheit für Frauen und Queers. Schließlich zeigt sich gerade deutlich: Nicht nur jene Frauen und queeren Menschen, die sich in den vergangenen 20 Jahren für eine gleichgestellteGesellschaft vor Ort eingesetzt haben, sind nun in Gefahr. Die Taliban versuchen, auf Grundlage ihrer politisch-extremistischen Auffassung des Islams, einen Staat zu errichten, der vor allem Frauen und queere Menschen und jene, die eine andere Vorstellung des Islam haben, diskriminiert, ausschließt und verfolgt. Sie alle können nicht auf ein emanzipiertes Leben in Unversehrtheit hoffen und ihnen allen muss unsere Solidarität gelten. In Konsequenz fordern wir die verpflichtende Beteiligung von lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen an politischen Planungsprozessen. Insbesondere in allen Bereichen, welche die Verteilung finanzieller Ressourcen, wie Subventionen oder Hilfsgeldern, zum Gegenstand haben. Ziel ist es also, vor allem Akteur*innen zu beteiligen, welche sich für Geschlechtergerechtigkeit, Nachhaltigkeitsaspekte und Arbeitsrechte einsetzen.