Die Volksrepublik China befindet sich mittlerweile seit Jahren im Aufstieg, was zu gravierenden geopolitischen Umbrüchen und einer starken Mitgestaltung der internationalen Ordnung durch die Volksrepublik China geführt hat. Damit gehen verschiedene politische Fragestellungen einher, die näherer Betrachtung bedürfen. Auch in Deutschland und der Europäischen Union (EU) ist der Umgang mit der Volksrepublik China in einer sich wandelnden internationalen Ordnung ein Streitpunkt. Deshalb wollen wir mit diesem Antrag unsere jungsozialistische Sichtweise auf das Verhältnis der Bundesrepublik und der EU mit der Volksrepublik China darlegen. Dabei konzentrieren wir uns auf menschenrechtliche, wirtschaftliche und technologische Fragestellungen und erheben keinesfalls den Anspruch auf eine vollständige Darlegung aller politischen Themen, die die Volksrepublik China betreffen. Wir wollen Probleme und Herausforderungen aufzeigen, die für eine gute Zusammenarbeit in unserem internationalistischen Sinn gelöst werden müssen. Auseinandersetzungen durch die unterschiedlichen Verfasstheiten eines demokratischen Rechtsstaates und eines autoritären politischen Systems werden dabei unausweichlich sein, aber sollen gerade bei der aktuellen, sich verschärfenden Konfrontation zwischen den USA und der Volksrepublik China nicht in einer Konfliktspirale münden, sondern einvernehmlich und auf Augenhöhe gelöst werden. Eine Bipolarisierung des internationalen Systems ist nicht im europäischen Interesse. Deutschland und die EU müssen vermeiden, in einseitige Abhängigkeit zu geraten. Gleichzeitig ist es angesichts der engen transatlantischen Beziehungen falsch, einen gleich großen Abstand zu den USA und China zu fordern. Weder einzelne Mitgliedsstaaten noch die EU können ihre Ziele mit China ohne vollständige Einigkeit wirksam erreichen. Ein einheitliches Vorgehen in Fragen der Menschenrechte, der Handels- und Investitionspolitik sowie der Umwelt- und Klimapolitik muss das Ziel sein.
Mehr Solidarität mit Taiwan und Hongkong! Chinas aktuelle Situation muss immer auch vor dem Hintergrund der historischen Entwicklungen betrachtet werden. Nach dem Personenkult um Mao Zedong gab es eine Phase der kollektiven Führung innerhalb der Kommunistischen Partei (KPCh), die mit Xi Jinping aber ein mehr als deutliches Ende genommen hat. Er hat die Amtszeitbegrenzung für den Präsidenten aufgehoben und könnte dieses Amt nun auf Lebenszeit bekleiden. Dadurch betreibt Xi eine Zentralisierung der KPCh auf seine eigene Person, die aus der Überzeugung entsteht, dass China nur unter einer „starken Führung“ die notwendigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen behandeln kann.
Während Xi zu Beginn auf internationaler Ebene mit Öffnung und internationaler Zusammenarbeit verbunden war, kennzeichnete sich seine Amtszeit sehr schnell durch autoritäre Züge. In seiner Selbstinszenierung bricht mit ihm für China die “neue Ära“ an. Nachdem andere China erst sein Wirtschaftssystem und dann wirtschaftlichen Wohlstand gebracht haben, will Xi derjenige sein, der den Chines*innen Nationalstolz liefert und ihnen damit den “chinesischen Traum” (wieder ein starkes Land werden) erfüllen will. Im Mittelpunkt steht die Wiederherstellung der Zentralität Chinas. Es gilt, sich nicht weiter von den USA einhegen zu lassen. Die KPCh nimmt für sich in Anspruch, über ein gesellschaftliches System zu verfügen, welches einzig allein in der Lage sein wird, China bis 2049 (100. Jubiläum der Gründung der Volksrepublik) zu einer wohlhabenden Weltmacht aufsteigen zu lassen. Zur Vollendung der »großen Wiederauferstehung der chinesischen Nation« gehört nach Xi auch die Vereinigung mit Taiwan. Dabei pocht China auf das „Ein-China-Prinzip“, welches den Souveränitätsanspruch über Taiwan als reine innerchinesische Angelegenheit betrachtet und Einmischungen von außen zu dieser Frage nicht akzeptiert. Gleichzeitig bezieht sich die Bundesrepublik auf die „Ein-China-Politik“, die die Regierung in Peking als einzig rechtmäßige akzeptiert und die Gebietsansprüche auf Taiwan mindestens zur Kenntnis nimmt beziehungsweise auch akzeptiert. Außerdem ist auch in Bezug auf die Lage von LGBTIQA+ die Situation in Taiwan mit großer Sorge zu betrachten. Die offene und fortschrittliche Gesetzeslage zur rechtlichen Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren ist ein wichtiger Meilenstein für eine queerfreundliche Politik in Asien. Diese wird durch eine politische Einverleibung Taiwans in China gefährdet.
Deshalb betrachten wir die aktuelle Situation in Taiwan mit sehr großer Sorge. China übt zunehmend wirtschaftlichen und militärischen Druck auf die Regierung in Taipeh aus. Das wird an dem mittlerweile regelmäßigen Eindringen von Kampfflugzeugen aus China in den taiwanesischen Luftraum deutlich. Auch am Beispiel Hongkongs wurde der taiwanesischen Gesellschaft und der ganzen Welt vor Augen geführt, dass China bereit ist, den Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ zu missachten. Das harte Vorgehen gegen die Proteste in Hongkong 2019 und 2020 verdeutlicht, dass die Volksrepublik China auch dazu bereit ist, seine Ziele mit staatlicher Gewalt durchzusetzen und diese auch politisch durch zum Beispiel das „Gesetz über flüchtige Straftäter und Rechtshilfe in Strafsachen“, welches die Auslieferung und gerichtliche Verurteilung von Menschen aus Hongkong in der Volksrepublik China ermöglicht. Vermehrt wird das zeitnahe vollständige Ende der Autonomie Hongkongs und die "Vereinigung" mit Taiwan von politischen Verantwortlichen in der Volksrepublik offen aufgeworfen. Für uns darf es zu einer einseitigen Einverleibung Taiwans durch die Volksrepublik China oder einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Peking und Taipeh dagegen nicht kommen. Deshalb fordern wir:
Menschenrechte müssen Priorität haben! LGBTIQA+, Justiz und Presse: Das Verständnis von Menschenrechten der KPCh orientiert sich nicht an einem Individuell en, sondern an einem kollektiven Verständnis. Es findet also eine eigene Interpretation der Menschenrechte statt. In den letzten Jahren hat sich die systematische Unterdrückung und Missachtung von Menschenrechten in der Volksrepublik verschärft.
So ist die Situation für queere Menschen in der Volksrepublik ambivalent und unter anderem abhängig vom Wohnort. Fest steht, dass die chinesische Gesellschaft liberaler und offener gegenüber der LGBTIQA+ Community geworden ist. Allerdings beklagen Aktivist*innen restriktiveres Vorgehen durch die Behörden. Unklar ist dabei, ob es sich um eine gezielte Ablehnung von queeren Menschen oder von zivilgesellschaftlichem Engagement an sich handelt. Insbesondere auf die mediale Darstellung von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ versucht die Regierung Einfluss zu nehmen, indem sie die Darstellung von sich „weiblich verhaltenden Männern“ zuletzt verbot und den Fokus auf eine stereotypische Darstellung von Geschlechterrollen legte. Die Shanghai Pride zum Beispiel stellte ihre Arbeit 2020 vollständig ein mit der Begründung, dass die Sicherheit der Veranstalter*innen durch die politische Arbeit in diesem Bereich bedroht ist. LGBTIQA+ bezogene Inhalte bleiben weiterhin in sozialen Netzwerken blockiert.
Das Justizsystem ist nicht unabhängig und die KPCh hat seit dem Führungswechsel 2012 ihre Kontrolle über alle Teile der Gesellschaft erheblich gestärkt. Menschenrechte wie allgemeine Meinungs-, Presse-, Vereinigungs-, Demonstrations- und Religionsfreiheit sind eingeschränkt. Unfaire, einseitige Gerichtsverfahren, willkürliche Inhaftierung und Fälle von Verschwindenlassen besagter Personen treten vermehrt auf. Vielfach werden Prozesse gegen Aktivist*innen geheim durchgeführt mit dem Ergebnis mehrjähriger Haftstrafen.
Auch die Corona-Pandemie hat noch einmal verdeutlicht, welchen Repressionen die Medien ausgesetzt sind und wie der Handlungsspielraum für Journalist*innen beschränkt wurde. Insbesondere der massive Ausbau des digitalen Sicherheitsapparats hat sich in der Virusbekämpfung für Partei und Regierung als dienlich erwiesen. Die anfängliche öffentliche Kritik am Krisenmanagement konnte nahezu im Keim erstickt werden. Schlüsselwörter und Hashtags wurden zensiert und Netzaktivist*innen inhaftiert. Unter anderem das US-Unternehmen Zoom räumte ein, mehrere Konten von chinesischen Menschenrechtsaktivist*innen und Journalist*innen gemäß der Forderung der chinesischen Regierung gesperrt zu haben. Deshalb fordern wir:
Multilaterale Bemühungen zum eigenen Menschenrechtsverständnis am Beispiel der VereintenNationen:
Die Volksrepublik China wurde 1971 in die Vereinten Nationen aufgenommen und vertritt seitdem die Positionen Chinas in den VN. Einher ging damit der Ausschluss der Delegation der Republik China (besser bekannt als Taiwan), die zuvor für China in den VN gesprochen hatten. Neben der Generalversammlung und den zahlreichen Sonderorganisationen sitzt die Volksrepublik als ständiges Mitglied im mächtigsten Gremium der VN: dem UN-Sicherheitsrat. Dadurch besitzt China mit vier anderen Staaten ein Vetorecht im Sicherheitsrat und kann Resolutionen blockieren. So blockierte die Volksrepublik China gemeinsam mit Russland Sanktionen gegen Syrien im Jahre 2011. Das ist nur eines von wenigen Beispiel für die sich über die Jahre entwickelte Rolle Chinas in den VN. Während zu Beginn von Chinas Mitgliedschaft die VN eine untergeordnete Rolle für die Volksrepublik spielte, festigte China seine eigenen politischen Ansprüche insbesondere seit der Präsidentschaft Xi Jinpings. Mit seiner Rede vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2017, die von der Abkehr der USA unter der Trump-Präsidentschaft von internationalem Engagement begleitet war, bekräftigte Xi die wichtige Rolle Chinas für die internationale Ordnung und damit auch den Machtanspruch des Landes. Mittlerweile ist die Volksrepublik zweitgrößter Beitragszahler des Haushaltes und der Friedenstruppen der VN. Daher ist es bei der Auseinandersetzung mit der China-Politik auch relevant, Chinas Rolle in den VN in den Blick zu nehmen. Denn China versucht, das eigene staatliche Modell und das unter anderem damit verbundene Verständnis von Menschenrechten in den VN zu legitimieren und weicht damit Kritik an Menschenrechtsverletzungen in zum Beispiel Tibet, Hongkong und der Region Xinjiang aus. So sitzt China seit 2020 im UN-Menschenrechtsrat und verweist dort in Sitzungen darauf, dass es kein einheitliches Modell von Menschenrechten gibt, sondern auch ein spezifisch chinesisches Verständnis, welches andere Staaten zu respektieren hätten. Unterstützung mobilisiert die Volksrepublik dabei sehr effektiv und schafft es dadurch nicht nur, Kritik an den eigenen Menschenrechtsverletzungen zu kaschieren, sondern auch, sich mit ihren Kandidaturen für Vorsitzpositionen in Sonderorganisationen der VN gegen andere Bewerber*innen durchzusetzen. Dadurch ist es der Volksrepublik gelungen, eine überproportional breite Besetzung in den Nebenorganisationen zu erreichen. Dabei spielt auch die “Belt and Road Initiative” (neue Seidenstraße) eine wichtige Rolle. Mit finanziellen Investitionen in andere Staaten sichert sich die Volksrepublik regelmäßig Unterstützung auf der internationalen Bühne. Die KPCh hat mit Ihrem Ansätzen Erfolg. Botschaften über die Bedeutung von „gegenseitigem Respekt“ und „konstruktiverZusammenarbeit“ anstelle von Rechenschaftspflicht und des Einzelnen als Rechteinhaber sind für viele VN-Mitgliedstaaten attraktiv, die unter politischem und wirtschaftlichem Druck von Peking stehen. Ebenfalls ist uns bewusst, dass die Probleme der VN ein strukturelles Problem darstellen und daher nicht einseitig auf einige Staaten geschoben werden sollten. Vielmehr muss sich die Bundesrepublik gemeinsam mit anderen europäischen Staaten für handlungsfähige und starke Vereinte Nationen einsetzen. Dazu gehört einerseits eine strategische Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen wie dem Klimawandel oder auch der Bekämpfung von Hungersnöten weltweit, aber auch andererseits eine kritische Position gegenüber der Volksrepublik und ihren Handlungenin den VN.
Deshalb fordern wir:
Umgang mit Minderheiten: Der Umgang mit Menschenrechten in den autonomen Regionen Tibet und Xinjiang ist besonders besorgniserregend. In Tibet wird bereits seit dem Einmarsch der “Chinesischen Volksbefreiungsarmee” 1950 die Sinisierung verfolgt, also die Formung einer gesellschaftlichen Kultur ins Chinesische. Zuvor besaß Tibet ein eigenes Staatswesen und die seit 1959 im Exil lebende Regierung wird weiterhin von einigen Staaten unterstützt. Diese betrachtet die Eingliederung in die Volksrepublik China als völkerrechtswidrig, während China die Ansprüche auf einen eigenen autonomen Staat zurückweist. Die Sinisierung geht und ging mit Zwang, Verfolgung und der Verletzung von Menschenrechten einher. Kultur, Sprache, Identität und Religion der Tibeter*innen sind in ihrer Existenz bedroht und durch unzureichende Informationsflüsse ist die aktuelle Situation der Tibeter*innen unklar. Durch Berichte von Menschenrechtsorganisationen und Tibeter*innen im Exil ist aber bekannt, dass alleine zwischen 1959 und 1979 1 Millionen Tibeter*innen umgebracht wurden und dass die Verfolgungen und Inhaftierungen bis heute anhalten. Die chinesische Regierung stellt den Kampf gegen die Tibeter*innen als Kampf gegen Separatismus und für die nationale Einheit dar. Gespräche in Bezug darauf finden im Rahmen des deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialogs statt, aber bedürfen einer stärkeren Anstrengung, um die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen nachhaltig zu verändern. Die Menschenrechtsverletzungen, die Unterdrückung und die anhaltenden Repressionen müssen aufhören. Außerdem muss die chinesische Regierung für die begangenen Taten verurteilt werden.
Auch in der Autonomieregion Xinjiang finden systematische Menschenrechtsverletzungen statt. Seit 2014 hat sich die Situation der Uigur*innen und weiterer muslimischer Minderheiten in Xinjiang massiv verändert. Schon zuvor war die Region durch ethnische Spannungen geprägt. Nachdem sich die Konflikte intensivierten, wurden von chinesischer Seite umfangreiche Gesetze gegen terroristische Aktivitäten in Xinjiang beschlossen, die das Leben der Uigur*innen stark einschränken. Angefangen mit Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit, strengen Überwachungen und der Erfassung und Speicherung persönlicher Daten über das Verbot von religiösen Praktiken und Bräuchen bis hin zu der Gefangennahme von Uigur*innen und anderen muslimischen Minderheiten in Lagern und einer aggressiven Familienpolitik, bei der mitunter durch Einsatz von Zwangssterilisierung und Abtreibungen auf eine Dezimierung der Bevölkerung hingearbeitet wird, die den Verdacht eines Genozids hervorruft. Abseits dieses Verdachts kann bereits von einem kulturellen Genozid gesprochen werden. Zunächst wurde die Existenz der Lager von der chinesischen Regierung geleugnet. Allerdings deckten internationale Medien und ehemalige Gefangene die Existenz der Lager auf. Seitdem behauptet die Volksrepublik offiziell, dass die Gefangenenlager als Berufsbildungslager dienen würden. So stellt die Regierung die Lager auch bei einem Besuch des Senders BBC in einem positiven Licht dar und zeigt vermeintlich zufriedene Menschen, die in einer guten Umgebung lernen. Klar ist allerdings, dass mit den Lagern eine Sinisierung der Uigur*innen und anderen muslimischen Minderheiten verfolgt wird. Diese geht damit einher, dass die Inhaftierten dazu gezwungen werden, ihre religiösen Überzeugungen abzulegen und sich stattdessen zur KPCh bekennen müssen. Das geschieht unter Druck, prekären sanitären Bedingungen, Gewalt und Zwangsarbeit sowie der Verlagerung von Arbeitskräften in andere chinesische Regionen, um dort Zwangsarbeit zu verrichten. Auch für die Wirtschaft als systemrelevant bezeichnete deutsche und europäische Unternehmen lassen in der Region Xinjiang und anderen Regionen produzieren und profitieren von den Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Bevölkerung und Zwangsarbeit. Des Weiteren wird auch von Folterungen und dem Tod von Gefangenen berichtet und letztlich betrifft es laut Schätzungen im Jahre 2019 ungefähr 1,5 Millionen Uigur*innen und andere muslimische Minderheiten. Politische Reaktionen gab es vor allem aus den USA, wo der Kongress 2020 den “Uyghur Human Rights Policy Act of 2020” verabschiedete, der unter anderem Sanktionen gegen Profiteur*innen des Lagersystems fordert und die zukünftige China-Politik der USA an die Situation der Uigur*innen und anderen muslimischen Minderheiten knüpft. Im März 2021 zog die EU nach und belegte vier chinesische Funktionäre mit regionaler Verantwortung in der Provinz Xinjiang mit Sanktionen. Die chinesische Regierung antwortete in kürzester Zeit und in unverhältnismäßigem Rahmen wie Umfang: Die Gegensanktionen umfassen EP-Abgeordnete, darunter den Berichterstatter für China,EU-Gremien, darunter die EU-Botschafter der Mitgliedsländer, aber auch das Forschungsinstitut MERICS in Berlin.
Deshalb fordern wir:
Wirtschaftliche Zwänge verhindern! Die Entwicklung Chinas zur größten Volkswirtschaft der Welt geschah nicht zufällig, sondern basiert auf tiefgreifenden Reformen des eigenen Wirtschaftssystems, die aus einem Agrarstaat ein hochindustrialisiertes Land geformt haben. Diese Entwicklung war untrennbar mit der Ausbeutung von Minderheiten und einzelnen Regionen verbunden und ist auf eine starke staatliche Steuerung und gelenkte Investitionspolitik zurückzuführen. Diese wirtschaftlichen Reformen haben auch zum Entstehen einer breiten urbanen Mittelschicht geführt und den durchschnittlichen Lebensstandard landesweit verbessert. Ungeachtet dessen bestehen innerhalb des Landes große regionale Unterschiede. Insbesondere zwischen Land und Stadt sowie den westlichen und östlichen Provinzen ist ein enormes Armutsgefälle zu beobachten. Ein weiterer beachtenswerter Schritt der Integration Chinas in den Weltmarkt war der Beitritt Pekings 2001 in die Welthandelsorganisation (WTO) und damit zusammenhängend die Hoffnung weiter Teile der internationalen Staatengemeinschaft auf eine voranschreitende wirtschaftliche Öffnung des Landes. Hoffnungen, die nur unzureichend erfüllt wurden.
Eine Herausforderung stellt die chinesische Entwicklungsfinanzierung dar, die von OECD-DAC- Regeln abweicht. Maßgebliches „Werkzeug“ hierbei ist Chinas außenpolitisches Kernprojekt, die 2013 ins Leben gerufene „Neue Seidenstraße-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI)“. Insbesondere auf dem afrikanischen Kontinent ist China aktiv und tritt hier als größter öffentlicher Geldgeber auf. Dabei veröffentlicht Peking keine Statistiken über Empfänger oder Hilfsvolumen. Länder mit schlechter Bonität können Kredite und Investitionen sowie Hartwährung durch Rohstoffexporte erhalten. Schätzungen zufolge hat China nahezu 30 Prozent seiner Kredite in Form von Rohstoffen besichert. Entwicklungsinitiativen sind häufig mit der BRI verbunden, deren primäre Ziele aus Rohstoffgewinnung, der Schaffung neuer Absatzmärkte und dem Export industrieller Überkapazitäten besteht. Kriterien guter Regierungsführung wie Rechtsstaatlichkeit, Korruptionskontrolle und Schutz der Menschenrechte als auch Auswirkungen auf die Umwelt finden mehr aber immer noch zu wenig Berücksichtigung.
Eine bedeutsame Rolle in der chinesischen Entwicklungsfinanzierung nimmt die Asiatische- Infrastruktur-Investmentbank (AIIB) ein. Erst 2016 hat die Bank ihre Arbeit aufgenommen, sich seither jedoch zu einem ernstzunehmenden Akteur in der weltweiten Entwicklungsfinanzierung hervorgetan. Mehr als zehn Milliarden Dollar investiert sie jährlich in Infrastrukturprojekte. Seit dieser Gründung wird die AIIB als zentrales Instrument in dem Bestreben der chinesischen Regierung gesehen, den eigenen vorgeblich regionalen Einfluss zu steigern und das internationale Finanzsystem in ihrem Sinne zu gestalten. China hält einen Anteil von 26,5 Prozent an der Bank und verfügt damit über eine Sperrminorität. Am Beispiel der AIIB lässt sich eindrücklich aufzeigen, dass die Entwicklung Chinas mit einem Aufbau von alternativer weltweiter Wirtschaft- und Handelsinfrastruktur einhergeht. Neben der AIIB steht dabei insbesondere die New Development Bank, die die BRICS-Staaten gegründet haben, für den Versuch, die bisherigen Geldgeber in diesem Bereich (Weltbank und IWF) zu ergänzen. Die AIIB und NDW bilden somit heutzutage eine komplementäre Struktur zur Weltbank, die mittlerweile über ein vielfach geringeres Entwicklungsvolumen verfügt als die AIIB.
Grundsätzlich ist der Aufbau paralleler Entwicklungsinfrastruktur zunächst nicht problematisch. Die Bretton-Woods-Institutionen haben in den vergangenen Jahrzehnten viele Schwächen, insbesondere in den Bereichen von demokratischen und transparenten Entscheidungsstrukturen offenbart. Daher ist das Bedürfnis Chinas nach Alternativen legitim, da das Bretton-Woods-System es nicht geschafft hat, die Stimmverteilung in den Finanzinstituten demokratisch zu organisieren. Die fünf BRICS-Nationen, die 46 Prozent der Weltbevölkerung und 22 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) repräsentieren, haben etwa 13 Prozent Stimmenanteil bei der Weltbank. Die G7 repräsentieren dagegen nur 15 Prozent der Weltbevölkerung und etwa 33 Prozent des weltweiten BIP in US-Dollar, trotzdem halten diese zusammen fast die Hälfte aller Stimmen. Diese sich mit der Zeit weiterhin verstärkenden Missstände führen zurecht zu großem Unmut und zu einer Schwächung der Entwicklungsbank. Das Quotensystem des Internationalen Währungsfonds (IWF), das Einzahlungspflichten und Stimmrechtsanteile jedes IWF- Mitgliedslandes regelt, reflektiert die Neuvermessung der Welt noch weniger als der Exekutivrat der Weltbank. Die BRICS-Nationen halten beim IWF nur 10 Prozent der Stimmrechtsquoten. Die EU hält dagegen gut 27 Prozent der Stimmrechtsanteile. Diese starken Missverhältnisse müssen reformiert werden, wenn ein nachhaltiges Fortbestehen dieser Institute gewährleistet werden soll. Nur eine grundlegende Reform der Finanzinstitute kann nachhaltige Entwicklungsfinanzierung garantieren, die nicht ausschließlich durch europäische und US-amerikanische Interessen geleitet ist. Durch das vermehrte Aufkommen paralleler Entwicklungsbanken ist es höchste Zeit, diese grundlegenden Reformen hin zu nachhaltiger Entwicklungsfinanzierung anzugehen.
Deshalb fordern wir:
Technologie als Machtpolitik Abhängigkeiten durch eine chinesische Technosphäre und Hacking Die technologische Revolution ist zu einem Faktor im Wettbewerb um globale Macht geworden, die zwischen den Vorreiter*innen digitaler Entwicklungen, China und den USA ausgetragen wird. China befindet sich in vielen technologischen Bereichen auf Augenhöhe mit Industrieländern wie Deutschland. Bei 5G oder künstliche Intelligenz verfügt China in Teilen gar über Technologievorsprünge. Bereits 2014 hat China die EU in den Ausgaben für Forschung und Entwicklung überholt. International starke, wettbewerbsfähige Bildungs-, Forschungs- und Innovationsumgebungen erstrecken sich über das ganze Land. Durch diese umfassenden staatlichen Investitionen wird China eine führende Rolle bei der Gestaltung der Standards für die Technologie von morgen spielen; mit Folgen für Europas digitale Souveränität. Das chinesische Technologieunternehmen Huawei ist prominentestes Beispiel für die Abhängigkeit des Westens von chinesischen Tech-Unternehmen. Der Konzern liefert nicht nur Endgeräte für den Privatgebrauch, sondern auch Teile für den Infrastrukturausbau, z.B. für 5G. Kaum einer anderen Technologie werden aktuell so weitreichende Veränderungspotenziale für Gesellschaft und Wirtschaft zugeschrieben. Die digitale Infrastruktur wird zwangsläufig zum Bestandteil kritischer Infrastruktur. Entsprechend ist die Sicherheit dieser Netze automatisch eine Frage von nationaler und europäischer Sicherheit sowie der digitalen Souveränität. Aktuell gibt es auch eine große Abhängigkeit bei digitaler Infrastruktur, Betriebssystemen und Ähnlichem von den USA. Viel Grundlegendes wie Microsoft 365+ liegt in Clouds in den USA. Damit wäre es theoretisch für die USA ein Leichtes, Europa stillzulegen. China entwickelt gerade eine Alternative zu Android und es zeichnet sich eine kommende Systemkonkurrenz ab – mit potenziellen Locked- in-Effekten für Europa. Dem kann Europa nur entgegenwirken, wenn es sich unabhängig macht und die Marktmacht dieser einzelnen Player beschränkt. So muss sich die EU darum bemühen, die Hoheit über die Netzwerktechnik des Cyberraums der EU zu behalten. Das setzt die industrielle Fähigkeit voraus, kritische digitale Infrastruktur zu schaffen und zu betreiben. Des Weiteren gilt es, den Zugriff außereuropäischer Akteure auf kritische Infrastruktur zu unterbinden. Bei digitalen Angriffen liegt Chinas Fokus weniger auf Hacking und digitaler Kriegsführung, sondern vor allem auf der wirtschaftlichen Macht des Landes, der damit einhergehenden Kontrolle über Unternehmen und deren Produkte und Dienstleistungen – auch wenn beides nebeneinander laufen kann. Es besteht bei digitalen Angriffen immer das Attributionsproblem: Woher und von wem ein Angriff stammt, lässt sich nie zweifelsfrei allein aus den beim Angriff entstandenen Daten feststellen. Es ist davon auszugehen, dass China die Kompetenzen für große Operationen hat. Häufig wird über "state-sponsored-groups" gearbeitet, also Hacker*innengruppen, die von der Regierung unterstützt werden, aber nicht direkt in Verbindung stehen. Wie diese Gruppen genau arbeiten, ist nicht bekannt. Bedeutende Hacks, die das Eindringen in Netze von quasi sämtlichen westlichen Unternehmen ermöglichen, werden solchen Gruppen zugerechnet. Seit Snowden ist bekannt, dass es in den USA ähnliche Operationen gibt und die USA diese schon länger als China durchführen. Chinas Cyberaktivitäten sind weniger auf die Sabotage von Computersystemen und Infrastruktur anderer Länder ausgerichtet, sondern eher auf die Beeinflussung von Menschen und deren politischer Meinung durch (Des- )Informationskriege. Außerdem geht es um das Gewinnen von Informationen über Partner*innen und Gegner*innen.
Deshalb fordern wir: