logo

Beschlussarchiv

F8 2021
Das Debakel von Kabul restlos aufklären und Lehren daraus ziehen

Beschluss F8: Das Debakel von Kabul restlos aufklären und Lehren daraus ziehen

Das Debakel von Kabul restlos aufklären und Lehren daraus ziehen

Nach dem Abzug der Internationalen Truppen aus Afghanistan und der weitgehenden Machtübernahme durch die Taliban, etablieren diese ein patriarchales, undemokratisches, islamistisches Regime in Afghanistan. Mädchen dürfen nur noch bis zur Sechsten Klasse die Schule besuchen und Frauen werden aus den Universitäten gedrängt. Es wird über Hinrichtungen, Übergriffe und Pressezensur berichtet.

Wir fordern die neu gewählte SPD-Bundestagsfraktion auf, sich für eine schonungslose Aufklärung des Debakels von Afghanistan starkzumachen und darüber hinaus Vorkehrungen zu treffen, damit begangene Fehler in der jetzigen und zukünftigen Außenpolitik nicht wiederholt werden. Dafür sollte sich die Bundesregierung auch gegenüber den Bündnispartner*innen in EU und NATO einsetzen.

Nach Auffassung der Antragsteller*innen ist eine ergebnisoffene Debatte darüber nötig, welche Fehler vor, im und nach dem Einsatz in Afghanistan gemacht wurden. Dabei sollten vor allem die Zielstellung eines Auslandseinsatzes, die Koordination von verschiedenen zuständigen Stellen sowie die Evakuierung von Ortskräften (im Falle eines Abzuges) kritisch thematisiert werden.

1. Lokale Gegebenheiten

Nach dem schrecklichen Anschlag auf die Twin Towers in New York am 11. September 2001 sprach der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten die uneingeschränkte Solidarität aus. Im Anschluss gab es eine mit UN-Mandat ausgestattete NATO-geführte Mission, deren vielfältige Ziele unter anderem den Aufbau eines demokratischen Staates und Sicherung der Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteur*innen umfasste.

In Afghanistan werden etwa 49 Sprachen und circa 200 Dialekte gesprochen, zudem gibt es eine Vielzahl an Ethnien und ein komplexes System an verschiedenen Stämmen und lokalen Gruppen. In einem so vielfältigen Land ein politisches System aufzubauen, welches als Zentralstaat aus der Hauptstadt Kabul heraus regiert wird, ist nicht sinnvoll. Zumal ebenfalls 80% der Afghan*innen nicht in den Städten leben und die Vertreter*innen der einzelnen Regionen häufig von Kabul ausgetauscht wurden. Wenn staatliche Strukturen mit aufgebaut werden, müssen die lokalen Akteur*innen ein starkes Mitspracherecht haben und im Prozess aktiv eingebunden werden. Der Diversität von Sprachen, Ethnien und Gesellschaftsstrukturen muss Rechnung getragen werden.

2. Bessere Koordinierung zuständiger Stellen

Laut Recherchen des ZDF, gab es bereits vor dem „Fall von Kabul“ Warnungen aus der deutschen sowie Botschaften von Verbündeten. Darüber hinaus haben Expert*innen bereits vor dem Abzug gewarnt, dass die afghanische Armee den Taliban allein nicht standhalten wird. Wir fragen uns, weshalb diese Warnungen ignoriert oder nicht gehört worden sind. Darüber hinaus wurden deutsche Ortskräfte am Flughafen in Kabul abgewiesen, obwohl diese etwa für das Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit oder das Bundesinnenministerium gearbeitet haben.

An dieser chaotischen Evakuierung der Ortskräfte lassen sich generelle Mängel der deutschen Krisenbewältigung erkennen. Wenn jedes Ministerium immer selbst definieren möchte, wen es als Ortskraft sieht – und wer somit auf einer potenziell lebensrettenden Liste landet – dann sind diese anscheinend schlecht oder nicht koordiniert. Zumal die Bundesverteidigungsministerin und der Außenminister sich in ihren Aussagen häufig widersprochen haben und auch eine gemeinsame Krisenkommunikation nicht erkennbar war.

Wir fordern, ein dauerhaftes Gremium zu schaffen, welches die wichtigsten Akteur*innen der deutschen Außen-, Verteidigungs-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik an einen Tisch bringt. Ziel des Gremiums sollte es zum einen sein, Fehler in den genannten Politikfeldern zu analysieren, wie beispielsweise dem Abzug von Afghanistan. Ein anderes Ziel des dauerhaft tagenden Gremiums soll die gemeinsame Koordinierung der genannten Politikfelder sein. Zentral hierfür ist, dass das Gremium keine neuen Entscheidungskompetenzen besitzt, sondern dem Austausch von Informationen und einem daraus resultierenden koordinierten Handeln der wichtigsten Stellen dient.

3. Ortskräfte frühzeitig evakuieren Die Präsenz der Bundeswehr und anderer Organisationen in Afghanistan war die längste, größte und teuerste Auslandspräsenz der Bundesrepublik in ihrer Geschichte. Dabei beschäftigten deutsche Behörden mehrere tausend Afghan*innen als Ortskräfte. Als es um den Abzug der Ortskräfte ging, führte die Bundeswehr, neben dem Großteil eigenen Materials, auch etwa einen 26 Tonnen schweren Findling und eine Kapelle zurück nach Deutschland zurück. Gleichzeitig wurden Ortskräfte, die von den Taliban seit Jahren physischer und psychischer Verfolgung ausgesetzt wurden, darauf vertröstet, nach Ende des Abzugs vom Flughafen Kabul, nicht etwa vom ehemaligen Bundeswehrflughafen in Mazar-i-Sharif aus, nach Deutschland ausreisen zu dürfen. Dies war für viele schon eine Zumutung, da sie neben der Reise nach Kabul auch den Charterflug nach Deutschland selbst hätten bezahlen sollen. Durch den Fall der afghanischen Regierung, kam es aber auch dazu, bekanntermaßen, nie.

Neben dem moralischen Versagen, Ortskräfte ihrem Schicksal überlassen zu haben, kommt ein spürbarer und relevanter Vertrauensverlust in Deutschland, der potenziell noch laufende Bundeswehrmandate, etwa in Mali, noch weiter gefährden könnte.

Wir fordern bei zukünftigen Bundeswehrmandaten, die eine Beschäftigung von Ortskräften vorsehen oder erfordern, eine klare und am besten im Parlamentsmandat verankerte Planung zur Evakuierung dieser Ortskräfte. Vor zukünftigen Abzügen muss eine entsprechende Exit-Strategie entwickelt werden, die sowohl einen geordneten Abzug der Truppen, als auch einen sicheren Transport von Ortskräften und Vertragsnehmer*innen nach Deutschland gewährleistet. Dabei sind vor allem Einreisebedingungen, wie Visa- und Passforderungen, zu erleichtern. Dazu zählen auch insbesondere Arbeitsnachweise, die für Ortskräfte potenziell lebensbedrohlich sein können.