Antrag G03: Trans* liberation now: Für ein echtes
Selbstbestimmungsgesetz!
Das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist ein großer Fortschritt für die
Selbstbestimmung von trans* Menschen. Nach einem jahrelangen Kampf wird das
entwürdigende TSG endlich abgeschafft. Bereits 1993, 2005, 2006, 2008 und 2011 wurden
Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt. Die Reform kommt also viel zu spät.
Auch das vorgestellte Eckpunktepapier geht an einigen Stellen nicht weit genug. Vor
allem Minderjährigen hilft es nicht zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Sie sind in
weiten Teilen auf die Gunst ihrer Sorgeberechtigten angewiesen. Dies mag in Familien
mit einer liberalen Haltung funktionieren, aber wir wissen, dass dies bei weitem
nicht in jedem Haushalt der Fall ist.
Sorgeberechtigte, die nicht akzeptieren, dass ihr Kind trans* ist, sollen laut
Eckpunktepapier die Möglichkeit haben, ihren Kindern bis zum 14. Lebensjahr den
Zugang zu echter Selbstbestimmung gänzlich zu verwehren. Von 14 bis 18 können sie
zwar durch ein Familiengericht überstimmt werden, aber es fehlen klare Anhaltspunkte,
unter welchen Voraussetzungen das geschehen kann.
Warum die Kompetenzen des Familiengericht in diesem Fall überhaupt durch eine
Altersgrenze eingeschränkt werden, ist nicht nachvollziehbar – schließlich kann das
Familiengericht im Regelfall des § 1666 Absatz 3 Nummer 5 Bürgerliches Gesetzbuch
altersunabhängig Erklärungen der Sorgeberechtigten ersetzen, wenn das Kindeswohl es
erfordert.
Außerdem bleibt in den Eckpunkten unklar, wie das familiengerichtliche Verfahren
eingeleitet wird. Es ist gut denkbar, dass trans* Kinder und Jugendliche mit einem
unübersichtlichen Verfahren alleingelassen und in die Zwangslage gebracht werden,
ihre eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen.
Das können wir so nicht hinnehmen. Auch Minderjährige müssen ein Recht auf
Selbstbestimmung erhalten. Niemand darf gezwungen werden, in einem Geschlecht zu
leben, dem er*sie sich nicht zugehörig fühlt. Kinder und Jugendliche sollten die
Möglichkeit bekommen, selbst ihre Erklärung beim Standesamt abzugeben. Falls ihre
Sorgeberechtigten dem Wunsch nicht zustimmen, sollten Minderjährige keine Sorge haben
müssen, die eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen. Daher wollen wir, dass das
Standesamt selbst das Familiengericht einschaltet. Vorherige Schulungen von
richterlichem Personal, eine mit der Situation und den Bedürfnissen von trans*
Menschen vertraute Verfahrensbetreuung sowie ein umfassendes Beratungsangebot sollen
den Schutz des Kindes sicherstellen.
Um das Verfahren möglichst niedrigschwellig zu gestalten, sollen trans* Menschen
ihren Antrag bei jedem Standesamt einreichen können. Außerdem wollen wir
sicherstellen, dass das Selbstbestimmungsgesetz von allen Menschen in Anspruch
genommen werden kann, unabhängig vom Pass. Es muss verhindert werden, dass Personen
für die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag in ein Land reisen müssen, in dem
sie möglicherweise verfolgt oder inhaftiert werden, oder Nachweise über die
Regelungen in einem Heimatland beibringen müssen, zu dem sie möglicherweise gar
keinen Bezug mehr haben.
Das Selbstbestimmungsgesetz selbst betrifft lediglich die Anpassung von Namen und
Geschlechtseintrag, es hat also nichts mit medizinischen Maßnahmen zu tun. Dennoch
ist der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung ein wichtiger Teil von
geschlechtlicher Selbstbestimmung. Selbstbestimmung darf aber keine Frage des
Geldbeutels sein, sondern die gesetzlichen Krankenkassen müssen auch für solche
Behandlungen zahlen. Das ist bislang leider nicht immer der Fall. Die Leitlinie
„Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ gibt einen guten
Überblick, welche Behandlungen erforderlich sein können und somit auf jeden Fall von
der Krankenkasse getragen werden sollten.
Zuletzt darf der Sport nicht außer Acht gelassen werden. Die vorgestellten Eckpunkte
sehen vor, dass der organisierte Sport in eigener Zuständigkeit Regelungen zur
Teilnahme von trans* Menschen trifft. Das greift leider zu kurz. So sehen die
kürzlich vorgestellten Regelungen des Schwimm-Weltverbands zum Beispiel vor, dass
trans* Frauen nur dann an Frauen-Wettbewerben teilnehmen können, wenn sie sich schon
bis zum zwölften Lebensjahr oder mit Eintreten der Pubertät einer Hormontherapie
unterzogen haben. Eine derart frühe Altersgrenze setzt trans* Mädchen in
unverhältnismäßiger Form unter Druck, eine möglicherweise übereilte Entscheidung für
eine Transition zu treffen. Solche Regelungen dürfen kein Vorbild für andere
Sportarten sein.
Wir wollen ein echtes Selbstbestimmungsgesetz, das alle Menschen mitdenkt. Daher muss
das Eckpunktepapier nachgeschärft werden, um auch eine Selbstbestimmung für
Minderjährige und Menschen ohne deutschen Pass sicherzustellen und das Verfahren nach
dem neuen Selbstbestimmungsgesetz niedrigschwellig und unbürokratisch gestaltet. Die
Namensänderung ist für trans* Menschen bezüglich des Wohlbefindens etwas essenzielles
und mit der eigenen Würde verbunden. Es dürfen dabei keine, auch keine kleinen,
Hürden finanzieller Art entstehen. Wir begrüßen, dass das Bundesjustiz- und das
Bundesfamilienministerium Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien
vorgesehene Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt haben. Damit rückt die lange
überfällige Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes endlich näher. Wir
unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag
künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige
Zwangsgutachten möglich sein soll.
Dennoch bleiben die Eckpunkte hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück. Wir
fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die
sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende
Verbesserungen und Klarstellungen einzusetzen:
Auch Menschen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben,
müssen das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen können. Die derzeit
übliche Prüfung, ob das Recht des Heimatstaats eine vergleichbare Regelung
kennt, verursacht unnötigen und zeitraubenden Bürokratieaufwand. Zudem kommt
hinzu, dass in vielen Ländern trans* Menschen nach wie vor verfolgt und
diskriminiert werden. Dass diese Transfeindlichkeit sie bis nach Deutschland
verfolgt, ist nicht hinnehmbar.