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G3 2022
Trans* liberation now: Für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz!

Antrag G03: Trans* liberation now: Für ein echtes
Selbstbestimmungsgesetz!

Das geplante Selbstbestimmungsgesetz ist ein großer Fortschritt für die
Selbstbestimmung von trans* Menschen. Nach einem jahrelangen Kampf wird das
entwürdigende TSG endlich abgeschafft. Bereits 1993, 2005, 2006, 2008 und 2011 wurden
Teile des TSG für verfassungswidrig erklärt. Die Reform kommt also viel zu spät.
Auch das vorgestellte Eckpunktepapier geht an einigen Stellen nicht weit genug. Vor
allem Minderjährigen hilft es nicht zu ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Sie sind in
weiten Teilen auf die Gunst ihrer Sorgeberechtigten angewiesen. Dies mag in Familien
mit einer liberalen Haltung funktionieren, aber wir wissen, dass dies bei weitem
nicht in jedem Haushalt der Fall ist.
Sorgeberechtigte, die nicht akzeptieren, dass ihr Kind trans* ist, sollen laut
Eckpunktepapier die Möglichkeit haben, ihren Kindern bis zum 14. Lebensjahr den
Zugang zu echter Selbstbestimmung gänzlich zu verwehren. Von 14 bis 18 können sie
zwar durch ein Familiengericht überstimmt werden, aber es fehlen klare Anhaltspunkte,
unter welchen Voraussetzungen das geschehen kann.
Warum die Kompetenzen des Familiengericht in diesem Fall überhaupt durch eine
Altersgrenze eingeschränkt werden, ist nicht nachvollziehbar – schließlich kann das
Familiengericht im Regelfall des § 1666 Absatz 3 Nummer 5 Bürgerliches Gesetzbuch
altersunabhängig Erklärungen der Sorgeberechtigten ersetzen, wenn das Kindeswohl es
erfordert.
Außerdem bleibt in den Eckpunkten unklar, wie das familiengerichtliche Verfahren
eingeleitet wird. Es ist gut denkbar, dass trans* Kinder und Jugendliche mit einem
unübersichtlichen Verfahren alleingelassen und in die Zwangslage gebracht werden,
ihre eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen.
Das können wir so nicht hinnehmen. Auch Minderjährige müssen ein Recht auf
Selbstbestimmung erhalten. Niemand darf gezwungen werden, in einem Geschlecht zu
leben, dem er*sie sich nicht zugehörig fühlt. Kinder und Jugendliche sollten die
Möglichkeit bekommen, selbst ihre Erklärung beim Standesamt abzugeben. Falls ihre
Sorgeberechtigten dem Wunsch nicht zustimmen, sollten Minderjährige keine Sorge haben
müssen, die eigenen Sorgeberechtigten verklagen zu müssen. Daher wollen wir, dass das
Standesamt selbst das Familiengericht einschaltet. Vorherige Schulungen von
richterlichem Personal, eine mit der Situation und den Bedürfnissen von trans*
Menschen vertraute Verfahrensbetreuung sowie ein umfassendes Beratungsangebot sollen
den Schutz des Kindes sicherstellen.
Um das Verfahren möglichst niedrigschwellig zu gestalten, sollen trans* Menschen
ihren Antrag bei jedem Standesamt einreichen können. Außerdem wollen wir
sicherstellen, dass das Selbstbestimmungsgesetz von allen Menschen in Anspruch
genommen werden kann, unabhängig vom Pass. Es muss verhindert werden, dass Personen
für die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag in ein Land reisen müssen, in dem
sie möglicherweise verfolgt oder inhaftiert werden, oder Nachweise über die
Regelungen in einem Heimatland beibringen müssen, zu dem sie möglicherweise gar
keinen Bezug mehr haben.
Das Selbstbestimmungsgesetz selbst betrifft lediglich die Anpassung von Namen und
Geschlechtseintrag, es hat also nichts mit medizinischen Maßnahmen zu tun. Dennoch
ist der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung ein wichtiger Teil von
geschlechtlicher Selbstbestimmung. Selbstbestimmung darf aber keine Frage des
Geldbeutels sein, sondern die gesetzlichen Krankenkassen müssen auch für solche
Behandlungen zahlen. Das ist bislang leider nicht immer der Fall. Die Leitlinie
„Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ gibt einen guten
Überblick, welche Behandlungen erforderlich sein können und somit auf jeden Fall von
der Krankenkasse getragen werden sollten.
Zuletzt darf der Sport nicht außer Acht gelassen werden. Die vorgestellten Eckpunkte
sehen vor, dass der organisierte Sport in eigener Zuständigkeit Regelungen zur
Teilnahme von trans* Menschen trifft. Das greift leider zu kurz. So sehen die
kürzlich vorgestellten Regelungen des Schwimm-Weltverbands zum Beispiel vor, dass
trans* Frauen nur dann an Frauen-Wettbewerben teilnehmen können, wenn sie sich schon
bis zum zwölften Lebensjahr oder mit Eintreten der Pubertät einer Hormontherapie
unterzogen haben. Eine derart frühe Altersgrenze setzt trans* Mädchen in
unverhältnismäßiger Form unter Druck, eine möglicherweise übereilte Entscheidung für
eine Transition zu treffen. Solche Regelungen dürfen kein Vorbild für andere
Sportarten sein.
Wir wollen ein echtes Selbstbestimmungsgesetz, das alle Menschen mitdenkt. Daher muss
das Eckpunktepapier nachgeschärft werden, um auch eine Selbstbestimmung für
Minderjährige und Menschen ohne deutschen Pass sicherzustellen und das Verfahren nach
dem neuen Selbstbestimmungsgesetz niedrigschwellig und unbürokratisch gestaltet. Die
Namensänderung ist für trans* Menschen bezüglich des Wohlbefindens etwas essenzielles
und mit der eigenen Würde verbunden. Es dürfen dabei keine, auch keine kleinen,
Hürden finanzieller Art entstehen. Wir begrüßen, dass das Bundesjustiz- und das
Bundesfamilienministerium Eckpunkte für das im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien
vorgesehene Selbstbestimmungsgesetz vorgelegt haben. Damit rückt die lange
überfällige Abschaffung des sogenannten Transsexuellengesetzes endlich näher. Wir
unterstützen ausdrücklich, dass die Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag
künftig in einem einfachen Verfahren vor dem Standesamt ohne vorherige
Zwangsgutachten möglich sein soll.
Dennoch bleiben die Eckpunkte hinter einem echten Selbstbestimmungsgesetz zurück. Wir
fordern deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die
sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende
Verbesserungen und Klarstellungen einzusetzen:

  • Die Erklärungen zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag müssen an jedem
    Standesamt abgegeben werden können. Es wäre nicht zumutbar, wenn Menschen nur
    für die Abgabe dieser Erklärung das Standesamt ihres Geburtsortes aufsuchen
    müssten.
  • Auch Menschen, die ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland leben,
    müssen das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen können. Die derzeit
    übliche Prüfung, ob das Recht des Heimatstaats eine vergleichbare Regelung
    kennt, verursacht unnötigen und zeitraubenden Bürokratieaufwand. Zudem kommt
    hinzu, dass in vielen Ländern trans* Menschen nach wie vor verfolgt und
    diskriminiert werden. Dass diese Transfeindlichkeit sie bis nach Deutschland
    verfolgt, ist nicht hinnehmbar.

    • Auch die Anpassung geschlechtsspezifischer Nachnamen soll in das
      Selbstbestimmungsgesetz aufgenommen werden. Wenn ein trans* Mensch einen Namen
      mit geschlechtsspezifischer Endung führt, wie es z.B. in nord- und
      osteuropäischen Ländern verbreitet ist, würde es andernfalls zu einer
      sinnwidrigen Diskrepanz zwischen Vor- und Nachnamen kommen.
      • Auch bei Minderjährigen unter 14 Jahren soll das Familiengericht eine am
        Kindeswohl orientierte Entscheidung treffen können, wenn die Sorgeberechtigten
        die Zustimmung zur Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag verweigern. Im
        familiengerichtlichen Verfahren ist sicherzustellen, dass ein*e
        Verfahrensbetreuer*in bestellt wird, die mit der Situation und den Bedürfnissen
        von trans* Menschen vertraut ist.
        -Bei Minderjährigen ist das Verfahren altersunabhängig so zu gestalten, dass
        diese die Erklärung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbst abgeben
        können, wie es im Eckpunktepapier bereits für Minderjährige ab 14 Jahren
        vorgesehen ist.
    • Das Standesamt soll von Amts wegen das Familiengericht anrufen, wenn ein*e
      Minderjährige*r die Anpassung von Namen und Geschlechtseintrag verlangt und die
      Sorgeberechtigten auch nach Aufforderung durch das Standesamt keine Zustimmung
      erteilen.
      -Sowohl die Sorgeberechtigten als auch das Familiengericht müssen verpflichtet
      sein, die Wünsche eines minderjährigen Kindes bezüglich des eigenen Namens und
      Geschlechtseintrags vorrangig zu berücksichtigen. Bei entsprechender Reife muss
      die Entscheidung in das Selbstbestimmungsrecht des Kindes fallen. Daher muss
      auch die Altersgrenze für eine eigenständige Entscheidung ohne Beteiligung der
      Sorgeberechtigten abgesenkt oder abgeschafft werden.
      -Ergänzend zum Offenbarungsverbot, das mit § 5 TSG bereits Teil der geltenden
      Rechtslage ist, ist eine ausdrückliche Regelung aufzunehmen, wonach Menschen
      nach Anpassung von Namen oder Geschlechtseintrag einen gesetzlichen Anspruch
      gegen private und öffentliche Stellen auf Ausstellung von Dokumenten, Zeugnissen
      und anderen Bescheinigungen mit den neuen Personendaten haben.
      Das Selbstbestimmungsgesetz soll darüber hinaus nur Erleichterungen für die Änderung
      von Vornamen und Geschlechtseintrag enthalten. Um die Lebenssituation von trans*
      Menschen wirksam zu verbessern, braucht es aber weitere Maßnahmen. Wir fordern
      deshalb die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen
      Mitglieder der Bundesregierung auf, sich für folgende zusätzliche Maßnahmen
      einzusetzen und diese zeitnah in die Wege zu leiten:
      -Um trans* Menschen zu unterstützen und in die Lage zu versetzen, ihr
      Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen, ist die in den Eckpunkten
      vorgesehene Stärkung von Beratungsangeboten besonders wichtig. Insbesondere für
      Minderjährige sind niedrigschwellige spezialisierte Anlauf- und Beratungsstellen
      auszubauen, abzusichern oder neu zu schaffen, die diese bei der Wahrnehmung
      ihrer Rechte unterstützen und während des Verfahrens, das das
      Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, begleiten können. Die Einführung eines
      Rechtsanspruchs auf eine qualifizierte Beratung ist zu prüfen. Weiterhin ist zu
      prüfen, ob Sorgeberechtigte von trans* Kindern zur Wahrnehmung einer Beratung verpflichtet werden können.
      -Eltern, die ihren Geschlechtseintrag haben ändern lassen, sind in der
      Geburtsurkunde des Kindes mit einer Bezeichnung einzutragen, die ihrem
      geänderten Geschlechtseintrag entspricht.
      -Wie vom Koalitionsvertrag gefordert müssen die Kosten geschlechtsangleichender
      Behandlungen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen
      werden. Das gilt auch für eventuell angeforderte Gutachten. Das
      Bundesministerium für Gesundheit muss zeitnah ein Konzept vorlegen, mit dem
      sichergestellt wird, dass trans* Menschen bei entsprechender ärztlicher
      Empfehlung einen Anspruch auf Kostenübernahme hinsichtlich der Behandlungen
      haben, die in der einschlägigen S3-Leitlinie „Geschlechtsinkongruenz,
      Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit“ empfohlen werden, welche unter
      Federführung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung erarbeitet wurde.
      Ergänzend zu den geschlechtsanpassenden Operationen muss auch die Namenänderung
      für trans* Menschen beim Standesamt gebührenfrei sein. Ebenfalls gilt es in
      diesem Zuge auch ein Konzept zu erarbeiten, nach welchem neben
      geschlechtsangleichenden Maßnahmen auch weitere chirurgische/plastische
      Eingriffe erleichtert von der Krankenkasse übernommen werden können.
      -Bezüglich der Teilnahme an Sportveranstaltungen und Wettkämpfen ist
      sicherzustellen, dass keine Regelungen getroffen werden, die trans*
      Sportler*innen ausschließen oder benachteiligen.