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Beschlussarchiv

INI12 2022
Echtes Ankommen statt rechter Hetze

Antrag INI12: Echtes Ankommen statt rechter Hetze

In einer durch multiple Krisen geprägten Zeit, die Menschen in unterschiedlichen
Teilen der Welt vor existentielle Gefahren und Probleme stellt, nehmen
Fluchtbewegungen weltweit zu. Die Aufnahme von schutzsuchenden Menschen stellt Bund
und Länder in Deutschland vor bekannte - aber bislang ungelöste - Herausforderungen.
Diese fallen mit starken sozialen Spannungen zwischen verschiedenen
gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland zusammen, die sich aus den herrschenden
Vermögensverhältnissen und der Verteilung finanzieller Belastungen innerhalb der
Gesellschaft ergeben. Statt für diese Probleme adäquate Lösungsvorschläge zu
erarbeiten und auf deren Umsetzung zu drängen, wird oft ein Narrativ geprägt, mit dem
die marginalisierten Gruppen gegeneinander ausspielt werden, indem ihnen eine (Teil-) Schuld an der aktuellen Situation angelastet wird. Nicht nur Reaktionäre bedienen
dieses Narrativ - leider nutzen es auch Kräfte und Personen innerhalb der SPD.
Aussagen, wie die von Friedrich Merz (“Wir erleben mittlerweile einen Sozialtourismus
dieser Flüchtlinge: nach Deutschland, zurück in die Ukraine, nach Deutschland, zurück
in die Ukraine.“) sind nicht nur faktisch falsch, sondern machen bewusst Stimmung
gegen Geflüchtete. Die Äußerungen und kampagnenartigen Ausführung von Merz und
anderen reaktionären Akteur*innen sind schlichtweg verbale Brandstiftung. Letztlich
sind sie Wegbereiter der praktischen Gefährdung migrantischer Gruppen. Die Vielzahl
an Angriffen auf Gemeinschaftsunterkünfte in der gesamten Bundesrepublik und die
physischen und psychischen Attacken auf Schutzsuchende sind letztlich reale Folgen
dieser Rhetorik und erfahren durch sie eine Legitimation. Begriffe wie “Ströme”,
“Wellen”, “hybride Waffen” oder “Asyltourismus” sind martialisch bzw.
menschenfeindlich und sollten für alle Demokrat*innen unsagbar sein.
In vielen Städten und Gemeinden werden Schutzsuchende mittlerweile wieder in Zelten
oder Turnhallen untergebracht und andernorts verhängen immer mehr Kommunen sogenannte
“Aufnahmestopps”. Es ist davon auszugehen, dass mit dem nahenden Winter und dem
andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine weitere Schutzsuchende zu uns
kommen werden. Es gilt, ihre Situation in Deutschland sofort zu verbessern, denn es
gibt keine Zeit mehr zu zögern. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Akteur*innen
bis hin zur Gemeinde-Ebene finanziell in die Lage zu versetzen, die Aufgaben der
menschenwürdigen Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten erfüllen zu können -
Hierfür müssen auch Altschulden erlassen werden.
Für uns steht fest: Alle Menschen, die Schutz und Hilfe suchen, müssen bei uns
willkommen sein. Wir lehnen eine Begrenzung jedweder Art konsequent ab. Dabei spielt
es keine Rolle, aus welchem Land und welcher Region Menschen flüchten. Rassistische
Kategorisierungen und Hierarchisierungen von Schutzsuchenden, wie wir sie in den
letzten Wochen und Monaten, zwischen weißen Schutzsuchenden und rassifizierten
Schutzsuchenden, erlebt haben, sind nicht hinnehmbar und scharf zu verurteilen.
Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung verspricht eine Neujustierung der deutschen
Asyl- und Migrationspolitik. Die Einführung des Chancen-Aufenthaltsrechts legt dabei
beispielsweise einen neuen Grundstein, den es perspektivisch weiterhin auszubauen
gilt. Aussagen aus eigenen Parteireihen, die mit rassistischen Narrativen agieren und
Gegenteilige Signale in die Öffentlichkeit tragen, stehen im paradoxen Verhältnis zu
unserem angestrebten Paradigmenwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik. Die
gesellschaftliche und institutionelle Gleichstellung von Schutzsuchenden, muss
endlich eine Richtlinie in der deutschen Asyl- und Migrationspolitik werden. Von
einem SPD geführten Innenministerium erwarten wir aus jungsozialistischer Perspektive
eine noch deutlicheren Einsatz für eine humane und progressive Asyl- und
Migrationspolitik. oder aus Afghanistan.
Wir fordern daher eine sofortige Angleichung und Verbesserung der Verhältnisse in
folgenden Bereichen:
1. Wohnen in Würde für alle! Mindeststandards für die Unterbringung von Geflüchteten

  • Grundsätzlich muss die dezentral Unterbringung von Geflüchteten in allen
    Kommunen möglich werden.
  • Mindeststandards für Gemeinschaftsunterkünfte müssen verbindlich in allen
    Bundesländern gelten. Man darf sich nicht auf Soll-Vorschriften ausruhen. Dafür
    braucht es eine flächendeckende Qualitätsprüfung und eine daraus resultierende
    Neuentwicklung rechtlicher Mindeststandards. Diese dürfen niemals eine Absenkung
    der vorhandenen Standards zur Folge haben.
  • Es muss mit einer Mindestfläche pro Person von 10m² gerechnet werden. Weiter
    dürfen nur maximal vier alleinstehende Personen in einem Zimmer gemeinsam
    untergebracht werden. Familien muss immer ein eigenes Zimmer zur Verfügung
    gestellt werden. Weiter muss es in Gemeinschaftszimmern eine Möglichkeit der
    räumlichen Abgrenzung (z.B. durch Raumtrenner o.ä.) geben, damit für jeden
    wenigstens ein minimaler Raum an Privatsphäre garantiert werden kann.
  • Weiter müssen genug Bäder und Küchen mit allen nötigen Bestandteilen zur
    Verfügung gestellt werden, sodass nie mehr als 8 Personen oder zwei Familien
    diese sich teilen müssen.
  • Unterkünfte dürfen nicht in die Peripherie verbannt werden. Ein Zugang zur
    Versorgung mit Bedarfen des täglichen Lebens muss mit dem ÖPNV gewährleistet
    sein. Schulen, Supermärkte, Arztpraxen, Poststellen, Behörden etc. müssen von
    der Unterkunft aus in einer für die Region üblichen Zeit mit dem ÖPNV erreichbar
    sein.
  • Unterkünfte dürfen im Regelfall eine Größe von 50 Personen nicht überschreiten.
    Zu große Unterkünfte machen sinnvolle Sozialbetreuung durch Sozialarbeiter*innen
    unmöglich. Bei Ausnahmen müssen Unterkünfte über 50 Menschen intern eine
    organisatorische Trennung in Teile mit maximal 50 Menschen vollzogen werden.
    Außerdem können sehr große Unterkünfte dafür genutzt werden, große Zahlen
    Geflüchtete an einem bestimmten Ort unterzubringen, um sie aus dem weiteren
    Stadtbild herauszuhalten. Das muss verhindert werden.
  • Es braucht einen festen Mindest-Schlüssel von Sozialarbeiter*innen mit eigenem
    Büro in der Unterkunft. An vielen Orten haben sich Schlüssel von 1:100 oder
    sogar mehr etabliert. Wir fordern, dass solch ein Schlüssel 1:20 nicht
    überschreiten darf. Außerdem sollte dieses Büro acht Stunden am Tag und fünf
    Tage die Woche besetzt sein, damit Bewohner*innen unabhängig von Arbeitszeiten
    die Angebote zur Beratung nutzen können. Jedes Büro muss mit einer Möglichkeit
    zum Videodolmetschen ausgestattet sein.
  • In jeder Unterkunft muss es Gemeinschaftsräume und Kinderspielzimmer geben, die
    für alle zugänglich und gut ausgestattet sind. Der Zugang zu Sporträumen muss
    gewährleistet werden.
  • Dass Geflüchtete für die Zeit des Asylverfahrens faktisch eingesperrt werden,
    lehnen wir strikt ab. Auch die Wohnsitzauflagen und die Residenzpflichten
    müssen, wenn Geflüchtete außerhalb der Unterkunft wohnen können (beispielsweise
    bei Familienangehörigen), aufgehoben werden.

    2. Finanzielle Gleichberechtigung für alle! Öffnung des Bürger:innengeldes und
    Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Das Existenzminimum von
    Asylbewerbern:innen kann nicht unter dem für Deutsche liegen.
    Das Bundesverfassungsgericht urteilte bereits, dass das Grundgesetz ein Grundrecht
    auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums garantiert, das auch nicht
    pauschal nach Aufenthaltsstatus differenziert werden darf. Faktisch passiert dies
    allerdings noch immer. Die Forderung nach Beendigung dieser Ungerechtigkeit ist keine
    Utopie - für Ukrainer*innen gilt bereits aufgrund des russischen Angriffskrieges,
    dass sie Leistungen nach SGB II und XII beziehen können (bspw. ALG II oder BAföG).
    Schutzsuchende aus anderen Herkunftsländern betrifft das nicht. Daher folgt für uns
    die Forderung nach Öffnung des Bürger*innengeldes für alle, auch Schutzsuchende und
    schließlich die Abschaffung des restriktiven Asylbewerberleistungsgesetzes.
    Insbesondere muss das Sanktionsregime ersatzlos gestrichen werden.

    3. Zugang zu medizinischer Versorgung für alle! § 87 AufenthG ändern. Es muss eine
    Ausnahme für die Meldepflicht im Gesundheitsbereich geschaffen werden.
    In Deutschland leben schätzungsweise eine halbe Millionen Menschen ohne Papiere. Ohne
    die nötigen Dokumente sind beispielsweise medizinische Behandlungen nur mit
    Behandlungsscheinen, die beim Sozialamt erfragt werden müssen, möglich. Die
    Sozialämter sind allerdings derzeit verpflichtet, insbesondere den Aufenthaltsstatus
    zu kontrollieren, womit die Abschiebung droht. Aus diesem Grund fordern wir einen
    Ausnahmetatbestand im entsprechenden § 87 AufenthG, sodass die Meldepflicht im
    Gesundheitsbereich abgeschafft wird. Außerdem müssen die Anforderungen an die
    Verhängung der Abschiebehaft erhöht werden. Außerdem muss die Abschiebehaft
    abgeschafft werden. Insbesondere für Kinder, Familien, Eltern mit minderjährigen
    Kindern, Schwangere und erkrankte Menschen stellt die Abschiebehaft eine enorme
    Belastung und gesundheitliche Gefährdung da. Die Ausländerbehörden müssen weniger
    stark eingreifende Maßnahmen wie Meldepflichten eingehender prüfen
    4. Rechtssicherheit für alle - weg mit der Abschiebehaft
    Garantie auf Rechtsschutz hat. Das im Grundgesetz festgehaltene Recht auf Rechtsschutz bezieht sich allein auf
    Menschen mit Aufenthaltsstatus. Schutzsuchende, die nicht in Deutschland gemeldet
    sind, haben derzeit nur ein Recht auf die sogenannte Prozesskostenhilfe. Der Prozess,
    um diese Hilfe zu beantragen, ist mit vielen Hürden verbunden, welche für Menschen
    mit sprachlichen Barrieren nicht zumutbar sind. Vielen Menschen, denen diese Hilfe
    zusteht, ist dies aufgrund fehlender Kommunikation nicht einmal bewusst. Der fehlende
    Rechtsschutz wird oftmals durch freiwillige Angebote oder Studierendeninitiativen
    wie die Refugee Law Clinics gedeckt. Jedoch können diese Angebote qualitativ, sowie
    quantitativ der Nachfrage nicht gerecht werden. Der derzeitige rechtliche Umgang mit
    Schutzsuchenden ist laut BGH-Richterin Johanna Schmidt Räntsch eines Rechtsstaats
    unwürdig. Wir fordern deshalb, dass wir uns an dem niederländischen Konzept
    orientieren müssen und somit allen Asylbewerber*innen bereits bei der Aufnahme
    kostenfreie Rechtsberatung zur Seite stellen, denn Schutzsuchende dürfen nicht ohne
    Beratung durch Verfahren geschleust und ohne gerechte Anhörung abgelehnt werden.
    Darüber hinaus fordern wir ein Verbot für die Verhängung einer Abschiebehaft und die
    Abschaffung von Abschiebegefängnissen. Erfolgsprognose kein Faktor sein, um die
    Genehmigung von Bratungs- und Prozesskostenhilfe abzulehnen. Solange es die
    Abschiebehaft als Werkzeug noch gibt, braucht es eine sofortige Pflichtbeiordnung von
    Anwält:innen. Denn gerade dort sind Verfahrensfehler besonders häufig und das
    Machtgefälle zwischen Betroffenen und Gerichten besonders groß.

    5. Integrationskurse für alle! Unabhängig vom Aufenthaltsstatus.
    Nach § 44 IV AufenthG verfügen nicht alle Menschen, die ein Asylverfahren durchlaufen
    oder durchlaufen haben, einen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an einem
    Integrationskurs, sondern können maximal zur Teilnahme zugelassen werden, sofern
    entsprechende Kapazitäten vorhanden sind. Für uns ist allerdings auch klar, dass wir
    trotz eines Rechtsanspruchs keine Pflicht zu einem Integrationskurs wollen. Denn das
    Narrativ, dass Geflüchtete zur Teilnahme an diesen Kursen gezwungen werden müssten,
    ist falsch. Vielmehr sind Geflüchtete aufgrund ihrer finanziell äußerst prekären Lage
    oft dazu gezwungen, auf die Teilnahme an Kursen zu verzichten, um schneller am
    Arbeitsleben teilzunehmen und die eigene finanzielle Versorgung oder die der Familie
    zu sichern. Auch deswegen muss das AsylbLG abgeschafft werden und Sprachkurse sollten
    finanziell genauso gefördert werden wie ein Studium oder eine berufliche Fortbildung.
    Außerdem fordern wir ein flächendeckendes Netzwerk an Beratungsstellen für die
    Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse sowie Qualifizierungsmöglichkeiten.
    Diese müssen auch im ländlichen Raum vorhanden sein. Die gegenwärtige Finanzierung
    über Projektmittel, wie sie z.B. beim Förderprogramm Integration durch Qualifizierung
    besteht, ist nicht ausreichend. Stattdessen braucht es unbefristete
    Beratungsmöglichkeiten als Regelangebot.

    6. Leichterer Zugang zu Ausbildung und Studium
    Den Zugang zu einer Ausbildung und gegebenenfalls einer Ausbildungsduldung wollen wir
    vereinfachen. Menschen im Asylverfahren und Personen, die nicht abgeschoben werden
    können, erhalten so eine Zukunftsperspektive. Die Erwerbstätigkeit muss allen
    Geflüchteten unabhängig von ihrem Herkunftsland bereits während des Asylverfahrens
    erlaubt werden, besonders, wenn die Zusage eines Ausbildungsplatzes vorliegt. Das
    Arbeitsverbot von neun Monaten wollen wir aufheben. Auch Ausbildungsduldungen muss
    ohne Vorfristen wie die aktuell gültige Vorduldungszeit von drei Monaten ausgestellt
    werden, der Ausschlussgrund des angeblichen Missbrauchs von Sozialleistungen muss
    gestrichen werden. Der Zugang muss allen Geflüchteten ermöglicht werden, mit der
    “Duldung light” muss auch der Ausschlussgrund der “ungeklärten Identität” bei
    Ausbildungsduldungen abgeschafft werden. Menschen, die Ausbildung oder Studium
    bereits abgeschlossen haben, erhalten oft nur schwer eine Anerkennung ihres
    Abschlusses. Die Verfahren müssen beschleunigt und Anerkennungen gesetzlich
    erleichtert werden.
    Den Zugang zu einer Ausbildung und gegebenenfalls einer Ausbildungsduldung wollen wir
    vereinfachen. Menschen im Asylverfahren und Personen, die nicht abgeschoben werden
    können, erhalten so eine Zukunftsperspektive. Die Erwerbstätigkeit muss allen
    Geflüchteten unabhängig von ihrem Herkunftsland bereits während des Asylverfahrens
    erlaubt werden, besonders, wenn die Zusage eines Ausbildungsplatzes vorliegt. Das
    Arbeitsverbot von neun Monaten wollen wir aufheben. Auch Ausbildungsduldungen muss
    ohne Vorfristen wie die aktuell gültige Vorduldungszeit von drei Monaten ausgestellt
    werden, der Ausschlussgrund des angeblichen Missbrauchs von Sozialleistungen muss
    gestrichen werden. Der Zugang muss allen Schutzsuchenden ermöglicht werden, mit der
    “Duldung light” muss auch der Ausschlussgrund der “ungeklärten Identität” bei
    Ausbildungsduldungen abgeschafft werden. Menschen, die Ausbildung oder Studium
    bereits abgeschlossen haben, erhalten oft nur schwer eine Anerkennung ihres
    Abschlusses. Die Verfahren müssen beschleunigt und Anerkennungen gesetzlich
    erleichtert werden.