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Beschlussarchiv

INI14 2022
Jin, Jiyan, Azadi! Solidarität mit den Protesten im Iran! Kampf dem Mullah-Regime!

Antrag INI14: Jin, Jiyan, Azadi! Solidarität mit den Protesten im
Iran! Kampf dem Mullah-Regime!

„Das ist der Beginn einer Revolution“
Am 16. September starb Jina (Mahsa) Amini in einem Teheraner Krankenhaus. Drei Tage
zuvor war sie von der Gašt-e eršād, der sogenannten “Sittenpolizei”, festgenommen
worden, weil sie den Hidschab angeblich nicht vorschriftsgemäß trug. Augenzeug*innen
beobachteten, wie die “Sittenpolizei” Amini schlug. Die 22-Jährige überlebte diese
Festnahme nicht. Amini war eine von unzähligen FINTA, die von der Gašt-e eršād wegen
ihrer Kleidung verhaftet, schikaniert und unterdrückt werden. Gerade deshalb wurde
sie in kürzester Zeit zu einem Symbol: Seit ihrem Tod rollt eine Protestwelle durch
den Iran. Tausende gehen auf die Straße, vor allem am Abend oder in der Nacht und
demonstrieren gegen ein korruptes und patriarchales Regime. Die mutigen
Protestierenden im Iran durchbrechen die eindimensionale patriarchale Logik des
Islamischen Regimes, indem sie die Ketten ihrer Unterwerfung zerschlagen. Angetrieben
wird dieser Protest vor allem von FINTA: auf den Straßen im Iran ebenso wie im
Ausland und im Internet. FINTA, die sich der Polizei entgegenstellen, FINTA, die ihre
Kopftücher abwerfen, FINTA, die sich als Zeichen des Protests die Haare abschneiden.
Es ist ein feministischer Kampf gegen ein Regime, dessen Herrschaft auf der
Unterdrückung von FINTA fußt. Gleichzeitig sind die Proteste längst nicht mehr nur
auf einzelne gesellschaftliche Gruppen oder einzelne Städte beschränkt. Sie haben das
gesamte Land erfasst und überschneiden sich mit den Protesten unterdrückter
ethnischer Gruppen wie der Kurd*innen. Gegen diese Proteste geht das Regime mit
brutaler Gewalt vor. Die staatliche Repressionen und Unterdrückung trifft dabei die
marginalisierten Gruppen und Minderheiten am meisten. Kurd*innen gehören global zu
den meist unterdrückten diskriminierten Völkern. Das hängt vor allem auch mit der
weltweiten historischen Kriminalisierung der Befreiungskämpfe von Kurd*innen
zusammen. „Jin, Jiyan, Azadi“ - Frau, Leben, Freiheit. Ist die kurdische Parole, die
derzeit weltweit gerufen wird und sich auf 40 Jahre Frauenkämpfe innerhalb der
kurdischen Bewegung bezieht. Mitte Oktober bezifferte die Menschenrechtsorganisation
Iran Human Rights die Anzahl der Toten bereits auf 120. Besonders brutal geht das
Regime im Nordwesten gegen die Demonstrant*innen vor, wo die meisten Kurd*innen
leben. Diese Gewalt gegen Demonstrant*innen ist gleichermaßen erschreckend wie
bekannt. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Protesten gegen das Mullah-
Regime. 2009 gegen Wahlbetrug und die Wiederwahl des Präsidenten Mahmud
Ahmadineschad, 2019 anlässlich der rasant gestiegenen Ölpreise und grassierenden
Armut im Land. Und immer wieder war die Antwort des Regimes die gleiche: Gewalt und
Propaganda. In der Propaganda des Regimes sind es ausländische Mächte, insbesondere
die USA, die hinter den Protesten stecken. Doch diese Propaganda scheint inzwischen
an vielen Iraner*innen vorbeizugehen. Den Repressionen des Regimes zum Trotz gehen
sie nun seit Wochen auf die Straße, reißen sich nicht nur den Hidschab vom Kopf,
sondern auch die Portraits der Ajatollahs von den Wänden und viel offener als bei
vergangenen Protesten formulieren sie ihre Forderung: das Ende der Islamischen
Republik.

Während diese mutigen Menschen im Iran Widerstand gegen einen massiven
Unterdrückungsapparat leisten, dürfen wir Jusos nicht schweigen. Unsere Solidarität
gehört den Demonstrant*innen im Iran ebenso wie allen Iraner*innen im Exil, die zum
Teil schon seit Jahrzehnten für einen demokratischen Wandel im Iran kämpfen.

Es herrscht Winter im Iran - seit 43 Jahren.
Auch 1979 waren die Straßen im Iran voll mit Demonstrant*innen. Damals richteten sich
die Massenproteste gegen den iranischen Schah, Mohammad Reza Pahlavi, der sich mit
nationalistischer Symbolik zu legitimieren versuchte und mithilfe des Geheimdienstes
SAVAK als Despot herrschte. Offiziell verfolgte der Schah das Ziel der
Gleichberechtigung der Geschlechter. So erhielten FINTA 1962 das aktive und passive
Wahlrecht, 1967 wurde die Scheidung seitens der Frau erleichtert. Den privaten
Freiheiten zum Trotz, die es im Iran vor 1979 gab, waren politische Partizipation und
eine demokratische Opposition nicht möglich. Gleichzeitig herrschte eine enorme
soziale Ungleichheit, während die Herrscherfamilie einen luxuriösen Lebensstil
pflegte. Die Proteste gegen den Schah umfassten daher unterschiedlichste Gruppen:
religiöse, liberal-bürgerliche ebenso wie linke bis kommunistische Gruppen. Ruhollah
Chomeini inszenierte sich bewusst als Integrationsfigur, betonte die
Gleichberechtigung der Geschlechter und sprach sich für demokratische Freiheiten aus.
Sein Ziel, einen Gottesstaat zu errichten, verkündete er erst später. Dabei
profitierten Chomeini und seine Anhänger*innen davon, dass die Geistlichkeit als
einzige auch in der Schah-Zeit über eine gemeinsame Organisation und über die besten
Informationsnetzwerke verfügte. Von Gleichberechtigung und Demokratie blieb nach der
sogenannten “Islamischen Revolution” nichts übrig: Eine Herrschaft der islamischen
Rechtsgelehrten wurde errichtet, de facto konservativer bis fundamentalistischer,
alter Männer, an deren Spitze ein religiöser und zugleich politischer Führer steht.
Seitdem ist das Strafrecht nach der Scharia ausgerichtet, FINTA werden gezwungen, das
Kopftuch zu tragen, Alkohol ist verboten. Ein zwölfköpfiger Wächterrat entscheidet
darüber, ob die Beschlüsse des Parlaments zugelassen werden sowie wer für politische
Ämter wie das des Präsidenten kandidieren darf. Die Möglichkeit der Wahl besteht für
iranische Staatsbürger*innen also nur innerhalb eines engen Korridors, der dieser
fundamentalistischen Auslegung des Islam zu folgen hat. Wie eng dieser Korridor ist,
zeigt sich auch in der Bewertung des ehemaligen Präsidenten Hassan Rohani: Der wurde
im Ausland schon deshalb als Reformer begrüßt, weil er sich für Verhandlungen im
Atom-Streit einsetzte. Das Unterdrückungssystem der Islamischen Republik stellte er
nie prinzipiell in Frage. Doch selbst dieser Spielraum wurde dem obersten Führer
Chamenei offenbar zu viel: Lediglich sieben Kandidaturen wurden für die
Präsidentschaftswahl 2021 zugelassen, die meisten davon ultrakonservative Hardliner.
Mit Ebrahim Raissi gewann einer dieser Hardliner die Wahl. Damit ist ein Mann
Präsident des Iran, der in den 1980er Jahren für Massenhinrichtungen verantwortlich
war und 2009 Menschen verfolgte, die auf Vergewaltigungen in iranischen Gefängnissen
aufmerksam gemacht hatten.
Die Repressionen des Regimes beziehen auch den Zugang zum Internet mit ein,
schließlich ist das Internet die Hauptquelle für Informationen jenseits der
staatlichen Zensur. Der “Hohe Rat für den Cyberspace” verfolgt das Ziel eines
nationalen Internets, basierend auf iranischen Servern, das der Kontrolle des Regimes
unterliegt. Viele Internetdienste, wie Facebook oder Youtube, waren deshalb schon vor
den aktuellen Protesten gesperrt. Nun fiel auch Instagram der Zensur zum Opfer, eine
der letzten verfügbaren Apps, die sich im Iran großer Beliebtheit erfreut. Allerdings
beteiligte sich der Meta-Konzern, zu dem Instagram gehört, auch an der Zensur.
Regimekritische Posts wurden von Instagram nachweislich gelöscht. Es steht der
Verdacht im Raum, das Instagram-Moderator*innen, die für den Iran zuständig sind,
bestochen wurden, um die Posts zu löschen. Diese Vorwürfe müssen aufgeklärt werden.
Ein Internetdienstleister wie Meta darf nicht zum Werkzeug staatlicher Zensur werden.
Doch nicht nur ausgewählte Posts oder Dienste wurden gesperrt. Das Regime schaltete
das Internet zwischenzeitlich komplett ab, in der Hoffnung, damit die Organisation
der Proteste zu beeinträchtigen. Trotz der staatlichen Zensur gibt es verschiedene
Möglichkeiten, anonyme Wege ins freie Internet zu schaffen, wie z.B. über die
Browser-Erweiterung Snowflake und Proxy-Server. Viele Privatpersonen außerhalb Irans
helfen bereits damit. Das darf jedoch keine private Verantwortung sein: Die
Bundesregierung ist in der Verantwortung, die Menschen im Iran beim Zugang zum freien Internet zu unterstützen. Außerdem müssen online mehr Informationen auf Farsi
angeboten werden, damit sich Iraner*innen unabhängig von der staatlichen Zensur
informieren können. Die Deutsche Welle sollte dahingehend ausgestattet werden, dass
sie diese wichtige, emanzipatorische Aufgabe wahrnehmen kann. Die geplanten
Haushaltskürzungen, die genau diesen Politikbereich wie z.B. das deutsch-, englisch-
und arabischsprachige Internetportal Qantara treffen, müssen abgewendet werden. Mit
einer feministischen Außenpolitik sind diese Kürzungen nicht vereinbar.
Eine Recherche von Correctiv, nerzpolitik.org und der taz zeigte kürzlich, dass das
iranische Regime für die Einschränkung und Abschaltung des Internets auch Strukturen
im Ausland nutzt. Darunter Unternehmen mit Tochterunternehmen oder Ablegern in
Europa. Unter ihnen auch in Deutschland ansässige Unternehmen, die mit dem Regime
kooperieren. Über die Firma Softqloud in Deutschland wurden für das iranische
Unternehmen Arvancloud Datencenter von amerikanischen und niederländischen
Netzbetreibern genutzt. Softqloud betreibt, nach Ergebnissen der Recherchen, zudem
Webseiten, die gezielt von einem möglichen Shutdown im Iran ausgenommen werden
können: Darunter unter anderem Webseiten des iranischen Agrarministeriums sowie
diverser iranischer Botschaften. Eine Verbindung zwischen diesem Netzwerk, den
europäischen Datencentern und dem iranischen Regime liegt nahe.
Wir fordern jede Zusammenarbeit mit dem iranischen Regime oder staatlichen
Unternehmen mit sofortiger Wirkung einzustellen. Für europäische Unternehmen, die mit
dem Regime des Irans weiterhin kooperieren oder die mit der iranischen Diktatur in
Verbindung stehen, müssen umgehend Sanktionen verhängt und Unternehmenswerte
eingefroren werden. Es darf keine Möglichkeit für das iranische Regime bestehen,
Sanktionen der EU über ausländische Firmen zu umgehen. Die aktuelle Lage im Iran
erfordert entschieden mehr Entschlossenheit seitens der Bundesregierung, sowie der
Europäischen Union.

Die Freiheit ist weiblich
Der Mord an Jina (Mahsa) Amini zeigt einmal mehr, welche Auswirkungen die streng
patriarchalen Strukturen im Iran haben. Gewalt gegen FINTA-Personen ist als Ausdruck
des Machtungleichgewichts zwischen den Geschlechtern das Ergebnis von
paternalistisch, männlich dominierenden Verhaltens- und Denkmustern. Während der
iranische Unrechtsstaat versucht, sich aus der Verantwortung für den Tod Aminis
herauszureden werden die Stimmen der Gegner*innen lauter: Der Tod von Jina Mahsa
Amini ist ein Femizid! FINTA sterben, weil sie der Deutungshoheit der männlichen
Dominanzherrschaft unterliegen. Es liegt im Ermessen der sogenannten Sittenpolizei,
ob sich eine FINTA-Person gemäß der Scharia korrekt verhält. Dabei geht es dem
theokratischen Herrschaftssystem nicht um die Religionsausübung der Zivilbevölkerung,
vielmehr wird der Islam als Grundlage für dieses System missbraucht, um die massive
Ungleichbehandlung von FINTA zu legitimieren.
Der Protest gegen die gewaltsame Durchsetzung des Verhüllungszwangs durch die
Sittenpolizei hat nicht nur der Protest von FINTA angefacht: Inzwischen
solidarisieren sich Brüder, Vater und Söhne mit den Emanzipationen der FINTA im Iran.
Es geht um Grundrechte, die vom Mullah-Regime mit Füßen getreten werden.
FINTA im Iran werden sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum stark
diskriminiert. Nach der Islamischen Revolution von 1979 konnte die von der Regierung
geforderte Zwangsverschleierung zunächst nicht durchgesetzt werden: Am feministischem
Kampftag 1979 versammelten sich spontan zehntausende FINTA in Teheran zu einer drei
Tage andauernden feministischen Demonstrationen gegen die Verschleierungspflicht.
Doch bereits zwei Jahre danach wurden die FINTA-Rechte sukzessive vom Staat wieder
eingeschränkt, indem Trennungen nach Geschlechtern an öffentlichen Orten vorgenommen
und die Kleiderordnung zur Bedeckung des Haares und das Tragen von weit sitzender
Kleidung vorgeschrieben wurden. Make-up oder Nagellack waren verboten und die Farben
sollten gedeckt sein, bestenfalls schwarz. Nach Repressionen in den Neunzigerjahren
unter den Klerikern Ali Akbar Rafsandschani (1989-1997) und vor allem Mohammad
Chatami (1997-2005) lockerten sich die Kleiderordnungen und damit das
Erscheinungsbild der FINTA. Das Ablegen des Hijabs in der Öffentlichkeit gilt nach
wie vor als Protestaktion gegen das unterdrückende Regime. Bei Protestaktionen, wie
„My Stealthy Freedom“ 2014 und der „White Wednesday“ 2017 riefen Iranerinnen dazu
auf, für die Gleichbehandlung einzustehen und die Verschleierung als Symbol für die
Selbstbestimmung abzulegen. Welche Gefahren diese friedlichen Proteste bergen, zeigt
beispielhaft die Festnahme von drei FINTA, welche 2019 unverschleiert Blumen an
Passagier*innen einer U-Bahn verteilten und zu langen Haftstrafen verurteilt wurden.
Die Proteste der vergangenen Wochen beziehen sich auf das aggressive Vorgehen der
Sittenpolizei gegenüber FINTA, das sich in den letzten Wochen verstärkt hat. Der
Kampf der FINTA im Iran ist ein feministischer Kampf, denn es geht nicht um das
Tragen eines Kopftuchs, es geht um das Durchgreifen des Staates in die
Selbstbestimmung der FINTA. Außerdem stehen queere Menschen im Zentrum der
staatlichen Diskriminierung. Homosexuelle Handlungen werden mit der Todesstrafe
bestraft. Seit 1979 sind schon mehrere tausend Menschen aufgrund ihrer Sexualität
hingerichtet worden. Transidentität steht hingegen nicht unter Strafe, wenn sich
Trans-Personen geschlechtsangleichenden Maßnahmen unterziehen. Das führt dazu, dass
viele Homosexuelle zu Geschlechtsumwandlungen gedrängt werden, weil ihre Sexualität
dann offiziell nicht mehr als gleichgeschlechtlich gewertet wird und sie somit der
Todesstrafe entkommen. So führt selbst die Nicht-Strafbarkeit von Transidentität im
queerfeindlichen, iranischen Strafrecht zu enormem Leid. Diese misogyne und
queerfeindliche Politik wird durch die Unterdrückung ethnischer Minderheiten noch
verschärft. Kurdische FINTA beispielsweise, wie Jina (Mahsa) Amini, sind im Iran
einer doppelten Diskriminierung ausgesetzt, da sie nicht nur als FINTA sondern auch
als Kurd*innen gewaltsam unterdrückt und getötet werden. Der feministische Kampf muss
daher intersektional sein, um Mehrfachdiskriminierungen erkennen und benennen zu
können. Erst wenn kurdische FINTA im Iran frei sind, können alle Frauen frei sein.
Im aktuellen Kampf für Selbstbestimmung zeigen sich ein unglaublicher Mut und
Zusammenhalt. Deshalb ist das, was wir jetzt sehen, ein feministischer Protest. Und
feministische Außenpolitik würde bedeuten, die Iraner*innen in diesem feministischen
Anliegen, dem Wunsch, selbstbestimmt zu leben, zu unterstützen.
Dabei ist wichtig zu betonen, dass die politische Auslegung des schiitischen Islam,
auf die sich die islamische Republik gründet, weder eine “Rückkehr zum Mittelalter”
noch Ausdruck einer traditionellen Religiosität ist. Die Theorien, auf die Ajatollah
Chomeini zurückgegriffen hat, sind Produkte des 20. Jahrhunderts, und stark geprägt
vom Kampf gegen das Schah-Regime auf der einen, gegen vermeintlich westliche
Einflüsse auf der anderen Seite. Wir dürfen jedoch nicht den Fehler begehen, der
Regime-Propaganda zu glauben, die behauptet, liberale Demokratie, Rechtsstaat und
Gleichberechtigung seien lediglich Versuche der “westlichen” Einflussnahme und
richteten sich gegen die iranische Kultur und Religion. Der Iran blickt auf eine
lange Geschichte im Kampf um die Demokratie zurück. Schon 1906, in der
Konstitutionellen Revolution, kämpften Iraner*innen gegen die absolute Monarchie, für
ein Parlament und eine moderne Verfassung. Schon damals gab es große Konflikte
zwischen säkularen Bestrebungen und den Zielen des Klerus, der nicht bereit war,
seine Machtstellung aufzugeben. Auch heute kämpfen zahlreiche Menschen im Iran für
einen Staat, in dem sie frei und selbstbestimmt leben können und die Machthaber*innen
halten an der Islamischen Republik fest, obwohl sich nur knapp 40 Prozent der
Iraner*innen als muslimisch verstehen und in der Bevölkerung ein allgemeiner Trend
zur Säkularisierung herrscht.
Umso wichtiger ist es, dass wir uns mit den
demokratischen Bestrebungen im Iran solidarisieren und den Versuch des Regimes,
Demokratie als etwas “Fremdes” abzustempeln, zurückweisen.

Jina oder Mahsa? Die Unterdrückung der Kurd*innen
Nirgendwo im Iran sind die Proteste so heftig und anhaltend wie in den kurdischen
Gebieten im Westen des Landes. Kurd*innen leisten bereits lange Widerstand gegen das
harte Vorgehen der regimetreuen Sicherheitskräfte. Jina (Mahsa) Amini steht damit
nicht nur für die Wut der FINTA und der jungen Menschen im Iran, sondern auch für die
Wut der ethnischen Minderheiten, insbesondere der Kurd*innen, die sich als “größtes
Volk ohne Land” bezeichnen. Im Iran sind gut zehn Prozent der Bevölkerung kurdischer
Abstammung, so auch Jina (Mahsa) Amini. Die Teheraner “Sittenpolizei” behauptet
derweil, dass es keine Rolle gespielt habe, dass die junge Frau Kurdin war.
Kurd*innen leiden nicht erst seit der Ausrufung der islamischen Republik unter
Diskriminierung und Unterdrückung. Immer wieder stehen sie im Konflikt mit der
iranischen Führung. Als Folge sind sie bereits gut organisiert, was bei der schnellen
Ausbreitung der Proteste nach Aminis Tod zum Tragen kam. Die kurdische Solidarität
wird daher als die treibende Kraft der aktuellen Proteste im Iran gesehen.
Die grundsätzliche Ausübung der kurdischen Identität ist im Iran nicht verboten und
dennoch kommt es schnell zur blutigen Unterdrückung, sobald sich Kurd*innen als Volk
definieren. Man darf kurdisch sprechen und kurdische Kleidung tragen, es gibt
teilweise kurdische Medien, die jedoch von der islamischen Regierung kontrolliert und
zensiert werden. Die kurdische Frage im Iran lässt sich viel stärker als eine
Klassenfrage definieren. In kurdischen Gebieten fehlt es an einfachster
Infrastruktur, während sich Teheran mittlerweile hochmodern entwickelt hat. Das
repressive iranische Regime handelt im Sinne einer “Hungerherrschaft” und durch eine
zunehmende Privatisierung von zum Beispiel Schulen, das Abschaffen der
Arbeiter*innenversicherung und eine zunehmende Inflation wird absichtlich dafür
gesorgt, dass die kurdische Ethnie ökonomisch unterentwickelt bleibt. Die humanitäre
Lage hat sich in kurdischen Gebieten aufgrund der Coronakrise nochmal massiv
verschärft.
In den kurdischen Gebieten im Iran sind verschiedene politische Parteien aktiv.
Gleichzeitig bringt die Organisation in Parteien eine neue Form der Unterdrückung
durch das iranische Regime mit sich. In den organisierten kurdischen Gebieten geht
das Regime gewaltvoll gegen jegliche Proteste oder Streiks vor. Der bewaffnete Kampf
ist hier im Vergleich zu anderen Teilen im Iran schon lange kein Tabu mehr. Für die
kurdische Bevölkerung ist es eine traurige Normalität, in einem Gebiet der
Kriegsoperationen zu leben. Sie spüren die Unterdrückung durch den repressiven
autoritären Staat in ausgeweiteter Form.
Im Jahre 2018 kam es bereits zu einer ersten Welle an Protesten, die hauptsächlich
durch kurdische Arbeiter*innen getragen wurden. Zehn Tage lang im Januar
protestierten Menschen in kleineren Städten des Irans, also in ökonomisch abgehängten
Regionen, in denen vor allem ethnische Minderheiten leben, gegen das Regime. Auslöser
war das fehlgeschlagene Atomabkommen, nachdem US-Präsident Trump ausgestiegen war.
Die Antwort der islamischen Regierung war sehr brutal, es gab viele Getötete. Es
folgten im selben Jahr Hinrichtungen kurdischer Aktivist*innen durch das iranische
Regime. Im Jahre 2019 wurde eine vor allem kurdische Arbeiter*innenbewegung nach
Protesten gegen die Benzinpreiserhöhung brutal niedergeschlagen.
Die kurdischen Arbeiter*innenbewegungen sind als ein zentraler Bestandteil des
Widerstandes der Bevölkerung gegen das islamische Regime zu verstehen, wie sich in
der aktuellen Situation nach der Tötung Aminis verstärkt zeigt. Eine Hochburg der
aktuellen Aufbegehren gegen den Islamischen Staat ist Saqez, der Heimatort von Amini.
Beobachter*innen beschreiben darüber hinaus Proteste vom äußersten Norden der
kurdischen Regionen bis in den äußersten Süden. Kleinstädte sind dabei genauso von
Unruhen erfasst wie größere Städte. Menschenrechtsorganisationen beschreiben, dass
nirgendwo die Rebellion gegen das islamische Regime im Iran jetzt so groß ist, wie in
den kurdischen Regionen. Hier kommt es seit Wochen zu schweren Zusammenstößen
zwischen Kurd*innen und regimetreuen Sicherheitskräften. In kurdischen Gebieten wurde
die Zahl der Sicherheitskräfte zuletzt deutlich erhöht, das Internet wurde teilweise
abgeschaltet oder die Verbindungen gedrosselt.
Der Tod der jungen Kurdin, die ihren kurdischen Namen Jina offiziell gegen den
persischen Namen Mahsa eintauschen musste, hat Angehörige aller ethnischen Gruppen,
FINTA und Männer gegen die iranischen Machthaber geeint. Von Nord bis Süd und West
bis Ost wird mittlerweile unter dem kurdischen Slogan “Frau, Leben, Freiheit”
protestiert. Das Ende der Unterdrückung und Bevormundung durch das theokratische
Regime wird nun nicht mehr nur durch die Kurd*innen, sondern von vielen Iraner*innen
gefordert. Auch in unserer Betrachtung der iranischen Gesellschaft muss die
ethnische, sprachliche und kulturelle Vielfalt endlich mehr Platz einnehmen.

Student*innen fordern die Staatsmacht heraus
Neben Arbeiter*innenbewegungen und FINTA-Bewegungen spielen auch studentische
Bewegungen eine zentrale Rolle in den aktuellen Protestbewegungen. An den
Universitäten gibt es bereits seit 2017/18 wieder Student*innenräte mit linker
Ausrichtung, nachdem 2009 alle Studierendenverbindungen durch das Regime geschlossen
wurden. Traditionell spielen Student*innen eine zentrale Rolle bei Protestbewegungen
im Iran: Während der Revolution von 1979, aber auch noch danach bei weiteren
Protestbewegungen 1998 und 2009 haben Student*innen von ihrem Potential, verschiedene
Teile der Gesellschaft zu mobilisieren, Gebrauch machen können. Studierende stammen
aus allen Schichten der Gesellschaft Ethnien übergreifend und bringen eine gewisse
intellektuelle Unterstützung in Protestbewegungen mit. Das Regime scheint sich dem
großen Potenzial von Student*innenprotesten bewusst zu sein und geht vehement gegen
das Entstehen von organisierten Protesten vor. Im Dezember 2018 organisierten
Studierende an der Uni Teheran eine Solidarisierungsdemo mit FINTA und gegen den
Zwangshijab und mit Mitarbeiter*innen in Zuckerrohr- und Stahlfabriken. 2019
organisierten Studierende eine Demonstration unter der Parole “von Teheran nach Chile
über den Irak kämpfen wir zusammen gegen den Neoliberalismus” und kritisierten
hiermit offen die deutlich neoliberal ausgerichtete und ökonomisch unterdrückende
Politik des islamischen Regimes. Kurdische Studierendenverbindungen sind darüber
hinaus relevant, da kurdische Student*innen einen Großteil ihres Studiums in anderen
Städten außerhalb der kurdischen Gebiete verbringen; bei ihnen liegt somit eine
andere Verbundenheit mit den verschiedenen Menschen in Iran vor.
Im Rahmen der aktuellen Protestwelle im Iran spielen Student*innen wieder eine
besondere Rolle. An der Sharif Universität in Teheran hatte es auf dem Campus am 02.
Oktober 2022 eine friedliche Kundgebung gegeben, bei der mehrere Studentinnen
verhaftet wurden. Der Campus wurde von Polizisten und Milizen umstellt, die
Studentinnen eingekesselt und teilweise mit Schrotflinten beschossen. Der brutale
Einsatz von Schusswaffen an dieser Eliteuniversität in Teheran sorgt für starke
Empörung. Daraufhin forderten im Rahmen eines Protestes an der Firdausi-Universität
in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, Student*innen die Freilassung ihrer
inhaftierten Kommiliton*innen. Immer wieder gelangen Fotos und Videos dieser mutigen
Protestaktionen ins Netz, trotz des erschwerten Zugangs zum Internet. Die Solidarität
der Studierenden mit den Demonstrant*innen besitzt das Potenzial zu einer
Herausforderung für die Staatsmacht zu werden und muss daher unterstützt werden.
Studierende sind gerade jetzt Bestandteil wichtiger Protestbewegungen im Iran, auch
wenn ihre Proteste häufig isoliert voneinander stattfinden und nicht lange andauern.
Immer häufiger jedoch schließen sie sich Demonstrant*innen auf der Straße an,
übernehmen so immer häufiger eine führende Rolle im Widerstand gegen das islamische
Regime. Die Studierenden sind dabei mit der Hoffnung getrieben, größere Veränderungen
durch ihre Protestbewegungen erreichen zu können. Nehmen wir ihnen nicht diese
Hoffnung, sondern unterstützen wir sie in ihrem Protest. Umso wichtiger ist der
wissenschaftliche und studentische Austausch, wozu auch die Bereitstellung von
Stipendien für iranische Student*innen gehört. Die geplanten Kürzungen beim Deutschen
Akademischen Austauschdienst (DAAD) laufen damit genau in die falsche Richtung.
Jungen Wissenschaftler*innen und Student*innen, vor allem jenen, die unter
politischer Verfolgung leiden, muss der Weg an deutsche Universitäten offenstehen.

Unterdrückung und Bereicherung: Die Rolle der Revolutionsgarde
Die große Mehrheit der Iraner*innen leidet unter Armut und Perspektivlosigkeit. Viele
Angehörige der Mittelschicht haben in den letzten Jahren erhebliche
Wohlstandseinbußen erlitten, nicht zuletzt durch die enorme Inflation bei
gleichzeitiger Knappheit zahlreicher Güter. Viele Menschen im Iran halten sich und
ihre Familien mit mehreren Jobs nebeneinander über Wasser. Auf Teherans Straßen sieht
man Kinder mit Bauchläden herumlaufen, die aus Not versuchen, etwas Geld für ihre
Familien dazu zu verdienen. Besonders prekär ist die Lage für Geflüchtete, vor allem
aus Afghanistan, die ohne Papiere im Land leben und von zahlreichen Diskriminierungen
betroffen sind. Junge Akademiker*innen leiden trotz hervorragender Qualifikationen
unter Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Wer kann, wandert aus, aber auch das
setzt in der Regel erhebliche finanzielle Mittel voraus. Diese jungen Menschen haben
eher Reform-orientierte Regierungen ebenso wie Hardliner-Regierungen erlebt und
feststellen müssen, dass sich an ihrer Lage im Wesentlichen nichts ändert. Dass die
Islamische Republik nicht reformierbar ist. Doch selbst in dieser prekären
wirtschaftlichen Lage gibt es Gruppen, die profitieren und zum Teil enorme Vermögen
anhäufen können. Die Angehörigen der Basidsch-Milizen, die aktuell zur
Niederschlagung der Proteste eingesetzt werden, genießen als Teil des
Repressionsapparats eine vergleichbar stabile finanzielle Lage. Insbesondere aber die
Sepâh, die Iranische Revolutionsgarde, stellt die Brücke zwischen Gewaltherrschaft
und wirtschaftlicher Bereicherung dar. Ihre Kernaufgabe ist es, gegen jede politische
Opposition vorzugehen. Ehemalige Kommandeure der Revolutionsgarde besetzen zahlreiche
Schlüsselpositionen in der iranischen Politik und Wirtschaft, organisieren zudem die
illegalen Außenhandelsbeziehungen, um die internationalen Sanktionen zu umgehen und
werden immer wieder mit Korruption im großen Stil in Verbindung gebracht. Zugleich
ist die Sepâh der größte Unternehmer des Landes, hat von Privatisierungen ehemaliger
Staatskonzerne profitiert und genießt Steuer- und Zollfreiheit. Zu den
Wirtschaftsbereichen, in denen die Revolutionsgarde aktiv ist, zählen auch das
Ölgeschäft sowie Häfen und Flughäfen. Auch auf die Medien nimmt die Revolutionsgarde
Einfluss. Die Mitglieder der Revolutionsgarde sind mit der Islamischen Republik
vermögend und einflussreich geworden, sie sind die zentrale Stütze des Regimes. Auch
wenn die am 17.10.2022 beschlossenen EU-Sanktionen eine Untergruppe der
Revolutionsgarde, die Basidsch-Milizen, sowie die sogenannte Sittenpolizei in den
Blick nehmen, sparen sie doch die wirklich mächtige Organisation hinter der Diktatur
aus. Die internationalen Sanktionen müssen endlich gegen die politische und
wirtschaftliche Elite des Landes ausgerichtet werden und dazu zählt zweifellos die
Revolutionsgarde. Gleichzeitig ist die Revolutionsgarde, vor allem die Al-Quds-
Brigaden, der wichtigste Akteur in der aggressiven, destabilisierenden Außenpolitik
Irans. Die USA stufen die Revolutionsgarde bereits als Terrororganisation ein. Die EU
muss dieser Einschätzung endlich folgen. Solange die Angehörigen dieser Organisation
von der Diktatur profitieren, werden sie die Diktatur stützen.

Die Architekten des Terrors
Am 3. Januar 2020 wurde Qasem Soleimani durch das US-Militär in Bagdad getötet. Der
Iran antwortete mit martialischen Drohungen und Attacken auf US-amerikanische
Militärbasen und mit dem unbeabsichtigten Abschuss eines Passagierflugzeugs. Das
irakische Parlament forderte den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak, was
den iranischen Einfluss weiter stärken würde. Und auch in Deutschland herrschte
vielerorts die Deutung vor, die USA seien für die neuerliche Eskalation im Konflikt
mit dem Iran verantwortlich. Dabei kamen Krieg und Eskalation in der Region nicht
erst mit dem Tod Soleimanis. Im Gegenteil: Soleimani war einer der
Hauptverantwortlichen für das Sterben im Nahen Osten und an seiner Person lässt sich
beispielhaft beschreiben, wie der Iran den Krieg in seinen Nachbarländern nicht nur
vorangetrieben, sondern auch immer weiter entgrenzt hat. Qasem Soleimani war bis zu
seinem Tod Kommandeur der Al-Quds-Brigaden und damit direkt dem iranischen
Revolutionsführer und Staatsoberhaupt Ali Chamenei unterstellt. Er wurde als
zweitmächtigster Mann des Irans gehandelt. Seine Brigaden, ein Teil der Iranischen
Revolutionsgarde, dienen offiziell dem Export der Iranischen Revolution in der Region
und bilden eine Spezialeinheit für extraterritoriale Aktionen. Ganz konkret heißt
das, dass die Quds-Einheiten pro-iranische Milizen unter anderem in Syrien, im Irak,
im Libanon, im Gazastreifen (Teile der Hamas und Islamischer Dschihad) und im Jemen
mit Ausbildung, Waffen und Finanzierung unterstützen. Faktisch war Qasem Soleimani
der Kommandeur eines ganzen Netzwerks aus iranischen Terroragenten im Ausland. Diese
Stärkung und Steuerung von Milizen trägt zur Destabilisierung der Region bei und
verhindert beispielsweise im Irak die Wiedererrichtung eines staatlichen
Gewaltmonopols. Qasem Soleimani als Architekten des Terrors zu bezeichnen, ist keine
propagandistische Deutung: Angriffe auf amerikanische Militärbasen, auf die US-
Botschaft in Bagdad und auf Israel legen Zeugnis vom Terror ab, den das iranischen
Expansionsstreben erzeugt. Der Iran will durch nicht-staatliche Milizen seine
Nachbarländer unterwandern und eine Vormachtstellung in der Region erringen.
Soleimani war der Kopf hinter dieser Strategie. Dabei werden die klassischen Regeln
der Kriegsführung vom Iran ausgehebelt, der über nicht-staatliche Milizen nicht-
staatliche Kriege führt. Von einem Iran, der seine Milizen zum Sturm auf die US-
Botschaft aufhetzt und der unter dem fadenscheinigen Deckmantel verbündeter
Terrororganisationen Israel beschießt. Von einem Iran, der als bewusste Strategie
die Grenze zwischen Krieg und Frieden verwischt. Diese Strategie wurde von Qasem
Soleimani perfektioniert. Eine Glaubwürdigkeit des Völkerrechts im Nahen Osten kann
nur erreicht werden, wenn die verdeckte Kriegsführung des Irans und weiterer Staaten
endet.
Statt jedoch das vom iranischen Hegemoniestreben verursachte Leid in den Fokus zu
rücken, bedienten sich viele Medien in Deutschland eines etablierten Orientalismus:
Die sogenannte „schiitische Welt“ trauerte um Soleimani. Es wurden Aufnahmen von
Menschenmengen im Iran und Irak gezeigt, die „Tod Amerika“ und „Tod Israel“
forderten. Vergessen wurden die vielen tausend Menschen, die im Irak gegen den
Einfluss des Iran und für die Souveränität ihres Staates demonstriert hatten
(unabhängig von ihrer Konfession). Vergessen wurden auch die Demonstrant*innen im
Iran, die damals (2019/20) ebenfalls gegen ein korruptes, islamistisches Regime und
katastrophale Lebensbedingungen demonstriert hatten. Vor allem wurde vergessen, dass
diese vielen Menschen unter Gefährdung ihres Lebens demonstriert hatten: Iranische
Sicherheitskräfte und vom Iran gesteuerte Milizen im Irak töteten hunderte
Demonstrant*innen, tausende wurden verletzt und verhaftet. Das iranische Regime tötet
nicht nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen. Die aggressive Außenpolitik des Iran
muss als solche benannt und vor allem die darunter leidenden Zivilist*innen in den
Fokus gerückt werden.
Die gewalttätige Politik des iranischen Regimes macht sich nicht ausschließlich in
unmittelbaren Nachbarländern des Iran bemerkbar. Der russische Präsident Putin, ein
Verbündeter des iranischen Regimes, wird in seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg
gegen die Ukraine vom Iran unterstützt. Das russische Militär setzte bei den
Angriffen auf die Zivilbevölkerung in Kyiv im Oktober 2022 iranische Kamikaze-Drohnen
ein. Zudem bezieht Russland Kurzstreckenraketen vom Iran, mit denen ukrainische
Städte beschossen werden können und füllt damit sein Raketenarsenal wieder auf. Hier
steht eine Diktatur der anderen bei. Fest etabliert im Kanon der iranischen
Propaganda ist außerdem der Al-Quds-Tag, der erstmals vom Revolutionsführer Chomeini
ausgerufen wurde und seitdem in zahlreichen Ländern als Bühne für Hass gegen Israel
und die USA dient. Das iranische Regime ist ein weltweiter Förderer für
Antisemitismus - auch in Deutschland. Nicht ohne Grund schließen sich auch immer
wieder Neonazis den Al-Quds-Märschen in Deutschland an. Der Iran verfolgt nach wie
vor das Ziel, Israel auszulöschen und bettet diesen Antizionismus seit 1979 in eine
Rhetorik des vermeintlich antiimperialistischen Befreiungskampfes ein. Israel ist für
das iranische Regime nichts weiteres als ein Besatzungsregime und Vorposten des
verhassten Westens, insbesondere der USA. Es überrascht nicht, dass Mahmud
Ahmadineschad als iranischer Staatspräsident die Shoah leugnete. Seit der sogenannten
Islamischen Revolution 1979 weigert sich das Regime, Israel anzuerkennen und steht
damit Frieden und Stabilität im Nahen Osten entgegen.

Die Aufgabe der Bundesrepublik: Schutz vor dem iranischen Regime für Exil-
Iraner*innen
Der Alltag in der Islamischen Republik Iran ist geprägt durch Regeln, Verbote und
Überwachung – sowie Repression und Verfolgung bei Missachtung. Aufgrund der
anhaltenden brutalen Gewalt und der desaströsen Menschenrechtslage im Iran sind
Abschiebungen dorthin nicht tragbar. Wir begrüßen die Initiative der
Bundesinnenministerin, Abschiebungen in den Iran bis auf weiteres auszusetzen als
ersten richtigen Schritt, fordern darüber hinaus aber einen dauerhaften
Abschiebestopp in den Iran.
Doch alleine Abschiebungen zu stoppen reicht nicht aus. Wir fordern sichere
Fluchtrouten und vereinfachte Einreisebestimmungen für iranische Staatsbürger*innen
sowie einen vereinfachten Zugang zu Aufenthaltstiteln für Regime-Kritiker*innen.
Gerade im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt und Verfolgung im Iran darf
weder die Bundesregierung, noch die EU wegsehen – die Bundesrepublik, sowie die
Mitgliedstaaten des Europarates sind durch die Istanbul Konvention zum Handeln
verpflichtet. Die Bundesrepublik muss zum sicheren Hafen für Menschen werden, die vor
dem theokratischen Regime fliehen oder sich für Demokratie und Menschenrechte im Iran
einsetzen.
Anhänger*innen des iranischen Regimes und der iranische Auslandsgeheimdienst
gefährden auch hier die Sicherheit von Exil-Iraner*innen, insbesondere wenn sie sich
mit den Protesten solidarisieren und diese von hier aus unterstützen. Auch sie
benötigen besonderen Schutz, denn es ist nicht hinnehmbar, dass die Rede- und
Meinungsfreiheit sowie die Unversehrtheit von Leib und Leben von Exil-Iraner*innen
durch das iranische Regime auf deutschem Staatsgebiet gefährdet wird. Es braucht
dringend erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-Iraner*innen durch deutsche
Sicherheitsbehörden, sowie die Einrichtung von Anlauf- und Meldestellen für
Betroffene.
Um nachhaltig und solidarisch politisch zu handeln fordern wir, die iranische
Zivilgesellschaft und Exil-Iraner*innen umfassend in die Prozesse rund um den
politischen Umgang mit dem Iran miteinzubeziehen. Insbesondere die Perspektive von
FINTA, LGBTIQ+, sowie Minderheiten ethnisch-religöser Gruppen muss direkt in die
Prozesse mit einfließen, um Maßnahmen ergreifen zu können, die tatsächlich
zielführend sind.

Internationale Konsequenzen einfordern & ziehen
Die Proteste im Iran, angeführt von mutigen FINTA, zeigen uns deutlich, wie dringend
der Bedarf nach feministischer Außenpolitik ist. Die Bundesregierung hat sich dieser
Politik in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, daher fordern wir eine Abkehr vom
Fokus auf kurzfristige, kapitalistische Interessen bei der Iran-Politik und
stattdessen einen Fokus auf FINTA- und Menschenrechte. Dazu gehört auch, dass die
Bundesrepublik die Dokumentation der FINTA- und Menschenrechtsverletzungen durch UN-
Organisationen und weitere unabhängige internationale Menschenrechtsorganisationen
mit Nachdruck fordert und sich an deren Umsetzung beteiligt, um eine spätere
juristische Verurteilung sowie die lückenlose Aufklärung der
Menschenrechtsverletzungen möglich zu machen.
In Anbetracht der Lage im Iran halten wir die aktuelle Kommunikation sowohl der
Bundesrepublik als auch der EU für zu leise. Befürchtungen, dass diese Zurückhaltung
u.a. mit dem zurzeit auf Eis gelegten Atomabkommen zusammenhängen könnte, sind nicht
bestätigt. Jedoch signalisierte insbesondere die EU seit 2018, in Folge der
einseitigen US-amerikanischen Aufkündigung des Abkommens durch Donald Trump und den
verbundenen US-Sanktionen gegen den Iran, immer wieder großes Interesse daran, das
Abkommen zu reaktivieren. Immer mit dem Ziel verbunden, den Iran vom Bau einer
Atombombe abzuhalten. Wir Jusos stehen für eine Welt ohne Atomwaffen ein. Daher
teilen auch wir die Auffassung, dass das iranische Regime niemals über Atombomben
verfügen darf. Die aktuelle Unterstützung des russischen Angriffskrieges auf die
Ukraine durch iranische Kampfdrohnen, um kritische Infrastruktur und zivile Ziele zu
attackieren, zeigt deutlich, dass das iranische Regime auch außerhalb der eigenen
Staatsgrenzen nicht vor menschenverachtender und völkerrechtswidriger Gewalt
zurückschreckt. Die notwendige Reaktivierung des Atomabkommens darf nicht auf dem
Rücken der feministisch-revolutionären Zivilgesellschaft im Iran ausgetragen werden.
Vielmehr muss das Ziel verfolgt werden, diese Protestbewegung dabei zu unterstützen,
nach dem Fall der Theokratie zukünftig mit neuen iranischen Staatsvertreter*innen ein
nachhaltiges Atomabkommen zu schließen.

“Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben, für Tanzen auf den Straßen, für Küssen
ohne Angst”
Das sind Zeilen aus einem Song, der zur inoffiziellen Hymne der Protestbewegung im
Iran geworden ist. Der Urheber des Liedes, Scherwin Hadschipur, wurde daraufhin vom
Geheimdienst verhaftet und zu einer Distanzierung von seinem Lied gezwungen.
Nichtsdestoweniger vermittelt der Text das Lebensgefühl vor allem junger Menschen im
Iran, die von Freund*innen, Familie oder aus den Medien durchaus wissen, dass ein
Leben in Freiheit möglich ist. Die nicht länger bereit sind, sich diese Freiheit von
einem korrupten, gewalttätigen und patriarchalen System nehmen zu lassen. Um diesen
Kampf zu gewinnen, brauchen sie mehr als nur unsere symbolische Solidarität. Von der
Bundesregierung erwarten wir, dass sie ihren Ankündigungen der feministischen
Außenpolitik jetzt Taten folgen lässt!
Wir fordern deshalb:

  • Das Ende der Gewalt gegen die Demonstrant*innen im Iran.
    Umfassende Sanktionen gegen den Unterdrückungsapparat des iranischen Regimes und
    diejenigen, die davon profitieren. Die EU-Maßnahmen vom 17. Oktober, die unter
    anderem gegen die Gašt-e eršād (“Sittenpolizei”) sowie die Basidsch-Milizen
    gerichtet sind, sind ein richtiger erster Schritt. Die Liste der sanktionierten
    Personen und Organisationen muss jedoch deutlich ausgeweitet werden. So müssen
    auch die Revolutionsgarde, die mit ihnen verbundenen Unternehmen und
    Vermögenswerte sowie die obersten Machthaber im Iran in den Fokus der Sanktionen
    rücken. Denn bei aller Unterdrückung und Armut im Iran, die Angehörigen der
    Elite und ihre Angehörigen genießen nach wie vor Freiheiten, die sie anderen
    verwehren, sowie zum Teil enormen Wohlstand.
  • Die Revolutionsgarde auf die EU-Terrorliste zu setzen.
  • Das Ende der einseitigen Fokussierung auf die Atom-Verhandlungen. Die notwendige
    Reaktivierung des Atomabkommens darf nicht auf dem Rücken der feministisch-
    revolutionären Zivilgesellschaft im Iran ausgetragen werden. Iranische
    Oppositionelle fürchten nicht ohne Grund, dass der EU, insbesondere Deutschland,
    ein Erfolg in den Atom-Verhandlungen wichtiger ist als ein entschlossenes
    Vorgehen gegen das iranische Regime. Für uns ist klar: Mit einem Regime, das
    feministische und demokratische Proteste gewaltsam niederschlägt, kann kein
    verlässliches Abkommen geschlossen werden. Zwingende Voraussetzung für erneute
    Verhandlungen mit neuen Regierungen muss deshalb sein, dass verbindliche Zusagen
    zum Ende der Gewalt gegenüber und die Anerkennung grundlegender Freiheiten von
    FINTA erfolgen und dahingehende Fortschritte zu beobachten sind. Der
    internationale Einsatz für FINTA ist im Rahmen von feministischer Außenpolitik
    nicht verhandelbar.
  • ein entschlossenes Vorgehen auch gegen die konventionelle Aufrüstung im Iran,
    insbesondere das Mittelstreckenraketenprogramm, das bislang nicht im Atom-
    Abkommen enthalten war und eine enorme Bedrohung für Israel darstellt. Diese
    konventionelle Rüstung darf nicht länger ausgeklammert werden.
  • einen Stopp der Zusammenarbeit aller staatlichen Stellen mit Vereinen und
    Institutionen, die dem iranischen Regime nahestehen. Das betrifft unter anderem
    das Islamische Zentrum Hamburg.
    ein entschlossenes Vorgehen gegen Ableger des iranischen Regimes in Deutschland
    wie die Organisator*innen der antisemitischen Al-Quds-Märsche.
  • dass das Angebot der Deutschen Welle auf Farsi ausgebaut wird, um Iraner*innen
    den Zugang zu politischen Informationen jenseits der staatlichen Zensur zu erleichtern.
  • die Demonstrant*innen beim Zugang zum Internet zu unterstützen. Dabei reicht es
    nicht, wenn Privatpersonen aus dem Ausland versuchen zu helfen. Der Zugang zum
    Internet ist ein zentraler Bestandteil der Proteste und muss deshalb in
    Deutschland von staatlicher Seite unterstützt werden.
  • Sichere Fluchtrouten sowie eine erleichterte Einreise in die EU für Iraner*innen
    Das betrifft Asylverfahren ebenso wie die Vergabe von Visa. Die Zeiten, in denen
    vor allem junge Iraner*innen kein deutsches Visum bekommen haben, müssen endlich
    vorbei sein.
    • Erhöhte Schutzmaßnahmen für Exil-Iraner*innen durch deutsche
      Sicherheitsbehörden, sowie die Einrichtung von Anlauf- und Meldestellen für
      Betroffene.
  • dass die Haushaltskürzungen im Bereich der ausländischen Kultur- und
    Bildungspolitik gestoppt werden. Stattdessen braucht es einen Ausbau der Mittel,
    z.B. um iranischen Student*innen und Wissenschaftler*innen Stipendien in
    Deutschland zu finanzieren.
  • einen dauerhaften Abschiebestopp in den Iran
  • dass sich Jusos und SPD den vielerorts stattfindenden Demonstrationen gegen das
    iranische Regime anschließen.
  • das Ende der Diskriminierung von FINTA, ethnischen Minderheiten, Angehörigen der
    LGBTQIA+ Community und anderer marginalisierter Gruppen im Iran, die Freilassung
    aller politischen Gefangenen und wie von den Protestierenden stets gefordert,
    die Durchführung eines freien Referendums über die Zukunft des Irans.