Antrag INI15: “Pssst”: Wir brauchen den Verfassungsschutzschutz -
NSU Aufklärung jetzt!
Wir Jusos fordern seit Jahren die vollständige und lückenlose Aufklärung des NSU
Komplexes. Seit 2019 haben knapp 135.000 Menschen und die Angehörigen der Opfer die
Freigabe dieser Akten gefordert. Doch die Hessische Landesregierung aus CDU und
Grünen hat trotz aller (falschen) Bekenntnisse zur Aufklärung, diese aktiv durch den
Verschluss der Akten verhindert. Diese Geheimhaltung endete am 28. Oktober 2022 für
den Verfassungsschutz und die Landesregierung - unfreiwillig. Wir danken den
investigativen Recherchen des ZDF Magazin Royales und dem Informationsportal
FragDenStaat sowie allen antifaschistischen Journalist*Innen, die sich seit Jahren
für die Aufklärung einsetzen.
Die Sicherheitsorgane im Bund und in den Ländern dürfen sich nicht mehr hinter dem
Schleier des Vergessens verstecken. Wir fordern eine lückenlose Aufklärung des NSU-
Komplexes und insbesondere der Verstrickungen des Bundesamtes und der einzelnen
Landesämter für Verfassungsschutz.
Ein erster Blick auf den „Abschlussbericht zur Aktenprüfung im LfV Hessen Im Jahre
2012“ zeigt wie unterkomplex das Netzwerk rund um den sogenannten
Nationalsozialistischen Untergrund betrachtet wird. Es ist hinlänglich bekannt, dass
das Trio um Mundlos, Böhnhard und Zschäpe über ein breites Unterstützer:innennetzwerk
verfügte.
Für uns steht fest, um den NSU Komplex aufzulösen braucht es die Aufhebung der
Geheimhaltung, sowie einen vollumfänglichen Blick auf die bekannten Ereignisse rund
um das NSU Trio. Außerdem fehlt dem hessischen Bericht, jedweder Blick für
rechtsextreme Strukturen außerhalb von Hessen und ihren Verbindungen zum NSU. Wir
sehen es als unabdingbar, dass die Länderübergreifende Zusammenarbeit zwischen den
Behörden in der Betrachtung des NSU Komplex stattfindet. Der Bericht hält selbst
fest: „In der Auswertung erfolgten häufig weder Nachfragen bei Quellen noch wurde
versucht, den Sachverhalt durch ergänzende Informationen anderer Behörden zu
verifizieren oder in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und zu bewerten.
Die nun veröffentlichten NSU-Akten zeigen einmal mehr deutlich das Versagen des
Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz versagte, indem er lange Zeit ignorierte,
dass ein rechtsextremistisches und rassistisches Motiv hinter den Morden stand. Nicht
nur ignorierte er lange Zeit den Zusammenhang zwischen der Ermordung von BIPoC,
insbesondere Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte und der Gefahr von Rechts.
Stattdessen nahmen die Beamt*innen an, hinter den Morden müsse organisierte
Kriminalität stecken und suchten die Schuld zunächst bei den Opfern und ihren
Familien. Das steht beispielhaft für einen tief verwurzelten, institutionellen
Rassismus in Sicherheitsbehörden, der sich im unzureichenden Schutz von BIPoC
niederschlägt. Der Verschluss der Akten war nichts anderes, als der Schutz einer
Behörde, das Verschweigen, Verharmlosen und Vertuschen rechtsextremen Terrors vor
einer Aufklärung des NSU-Komplex. Der Bericht macht erneut deutlich, was
antifaschistische Politiker*innen, Aktivist*innen und Opfer rechtsextremer Gewalt
seither vermuten: Mit der Geheimhaltung der NSU-Akten schützt der Verfassungsschutz
nicht die Verfassung, sondern die Behörde selbst und dadurch rechtsextreme
Strukturen. Rechter Terror wurde durch die Finanzierung eines V-Leute-Netzwerkes
unterstützt, um Informationen, die sich später als falsch herausstellten oder aus
denen keine Konsequenzen gezogen wurden. Das zeigen bereits die Berichte der
Thüringer Untersuchunsausschüsse zum NSU. Das macht deutlich: Der NSU war nicht zu
dritt!
Wir verurteilen die systematische Vertuschung des Verfassungsschutzes und die
Beseitigung zahlreicher Akten im Zusammenhang mit dem NSU durch Mitarbeiter*innen auf
Bundes- und Landesebene. Aufgrund der neuen Informationslage fordern wir vehement den
sofortigen Rücktritt des hessischen Innenministers Peter Beuth und eine Aufklärung
der Rolle Volker Bouffiers, der die Ermittlungen zur Ermordung Halit Yozgats durch
den NSU im Jahr 2006 behindert hat. Wir wollen wissen, warum Volker Bouffier den V-
Mann Andreas Temme vor einer umfassenden Untersuchung geschützt hat.
Wir fordern mehr als die wichtige, aber nicht ausreichende Symbolpolitik à la
Umbenennung von Straßennamen und müssen die Perpektive der Betroffenen stärker
miteinbeziehen. Ebenso müssen wir es respektieren, wenn sich diese nicht mehr zu den
schrecklichen Verbrechen äußern möchten.
Für die Angehörigen der Opfer des NSU war der NSU-Prozess in München kein
Schlussstrich. Statt Fragen zu beantworten wurden nur neue Fragen aufgeworfen. So
kommen Angehörige bis heute nicht zur Ruhe, auf die Frage "Wie konnte das passieren?"
ist ihnen der Rechtsstaat eine Antwort schuldig geblieben. Die These, dass es sich
beim NSU um Taten von ausschließlich drei Personen handelte, ist bei näherer
Betrachtung der Geschehnisse nicht haltbar. Daher fordern wir auch, aus den nun
öffentlichen Akten juristische Konsequenzen zu ziehen. Unklare Sachverhalte müssen
ermittelt und verantwortliche Personen vor Gericht gestellt werden. Dies gilt auch
für Beteiligte in den Reihen der Behörden.
Sicherheitsbehörden unterliegen der demokratischen Kontrolle. Untersuchungsausschüsse
und Gerichte müssen vollumfänglich Einsicht in Akten gewährt werden. Der Umfang von
Sperrfristen muss juristisch überprüfbar sein.
Nach der Selbstenttarnung des NSU wurde Hans-Georg Maaßen Präsident des Bundesamtes
für Verfassungsschutz. Schon während der aktiven Zeit des NSU und der
Vertuschungsaktionen in führender Position im Verfassungsschutz. Seit dem er dieses
Amt verlassen hat, hat er unzählige male Verschwörungsmythen, Rassismus verbreitet.
Eine solche Radikalisierung geschieht nicht über Nacht. Es ist daher unerlässlich das
Handeln des Verfassungsschutz in der Amtszeit von HGM und das wirken des Präsidenten
des Amtes in einem Untersuchungsausschuss zu überprüfen.
Auch der Mord an Walter Lübcke hat 2019 ganz Deutschland erschüttert. Sein Mörder
Stephan Ernst war dem Verfassungsschutz bekannt. Heute ist klar: Der Mord hätte wie
viele andere auch verhindert werden können. Insgesamt wird erneut deutlich, dass der
Verfassungsschutz in der bestehenden Form nicht reformierbar ist. Statt unsere
Demokratie zu schützen, schadet er ihr und untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung
in unseren Staat. Daraus kann nur die logische Konsequenz folgen: Wir fordern die
Abschaffung des Verfassungsschutzes in der jetzigen Form.
Die demokratische Zivilgesellschaft ist der bessere Verfassungsschutz. All die
Erkenntnisse zum NSU-Komplex sind das Resultat jahrelanger antifaschistischer
Recherche- und Aufklärungsarbeit. Umso verwerflicher ist es, dass immer noch linke
Organisationen unter Beobachtung des Verfassungsschutz stehen. Wir stehen an der
Seite der Betroffenen sowie aller Antifaschist*innen und kämpfen gegen rechte
Netzwerke sowie Strukturen auf allen Ebenen. Deshalb fordern wir: Kein Schlussstrich
- NSU Komplex auflösen - Jetzt
Niemals vergessen: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic,
Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und
Michèle Kiesewetter