Wer rechten Terror bekämpfen will, muss sich auch die Rollen der Sicherheitsbehörden und der rechten Netzwerke in diesen Behörden anschauen. Aber auch die Rolle, die andere Behörden, Politik und Medien spielen, muss analysiert werden – und aus dieser Analyse müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Rolle der Bundeswehr Im Zuge von Terrorermittlungen gegen Bundeswehrsoldat*innen im Jahr 2017 wurde das sogenannte rechtsradikale “Hannibal”-Netzwerk entdeckt, welches Ende 2018 durch Medienberichte bekannt wurde. Das “Hannibal”-Netzwerk stellt dabei einen Zusammenschluss von aktiven und ehemaligen (Elite)-Soldat*innen, Polizist*innen und Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes dar, welche sich als “Prepper” verstehen und sich in auf einen sogenannten “Tag X” vorbereiten, an welchem die öffentliche Ordnung zusammenbrechen würde. Dafür wurden öffentliche Feindeslisten von politischen Gegner*innen erstellt, Waffen und Munition in großem Maße besorgt, Leichensäcke und Ätzkalk bestellt. Laut Chatprotokollen, Bestelllisten und Eigenaussagen einiger Prepper, wollten sie einen bewaffneten Umsturz und Massentötungen politischer Gegner vorbereiten. Hauptagitatoren des Netzwerks waren zum einen der ehemalige KSK-Soldat André S. alias „Hannibal“, welcher den Verein Uniter e.V gründete, und zum anderen der Bundeswehroffizier Franco A., der bereits in seiner Masterarbeit rassistische, antisemitische und rechtsradikale Ansichten vertrat und trotz dessen in der Bundeswehr aufgenommen wurde. Franco A. legte sich dabei eine falsche Identität als syrischer Geflüchteter zu und plante Terroranschläge in Berlin und weiteren Orten. In dem von S. gegründeten Verein und den Chatgruppen, die unter dem Sammelbegriff “Nordkreuz” bekannt wurden, organisierten sich die Prepper. Im Hannibal- Netzwerk waren auch weitere Gruppen unter dem Namen Westkreuz und Südkreuz vernetzt. Es ist davon auszugehen, dass weitere Netzwerke in die AfD, vor allem zu Björn Höcke und seinem Flügel, zum rechtsradikalen “Thule-Seminar”, zu den Identitären und zum sogenannten “Institut für Staatsforschung” bestanden. Auch der Verfassungsschutz soll bereits Ende 2016 Kenntnis von den Rechten Strukturen bzw. dem “Nordkreuz” gehabt haben. Das Bekanntwerden des Hannibal-Netzwerks zeigt, wie viele Rechtsradikale schon mit den Sicherheitsbehörden wie Polizei und Bundeswehr vernetzt sind. Die bekanntesten Agitatoren des Netzwerks wie André S. und Franco A. waren fast alle Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, ein Teil der Prepper nutze die berufliche Stellung dazu, Munition und Waffen zu entwenden und zu horten. Hinzu kommt, dass die Mitglieder des Netzwerks über die durchgeführten Razzien im Vorfeld durch Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes informiert wurden und so große Teile des Beweismaterials weggeschafft wurden. Die Folgen, die durch die Entdeckung des Netzwerks entstanden, waren bzw. sind dabei gering. Es folgte wenig gesellschaftlicher Diskurs und die auf den Todeslisten benannten Personen wurden teilweise erst mit einer Verzögerung von fast 2 Jahren informiert und blieben so unwissend und ungeschützt. Gegen sechs Nordkreuz-Mitglieder wird inzwischen hauptsächlich ermittelt, allerdings wurden nur zwei von ihnen bisher einer Straftat beschuldigt. Jan-Hendrik H. (Anwalt) und Haik J. (Polizist) wird die »Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat« vorgeworfen. Der Administrator der Chat-Gruppe Mark G. und der erwähnte André S. gelten in dem Verfahren als Beschuldigte. Die grundlegenden Strukturen wurden und werden nicht bekämpft.
Wir fordern daher:
Der Fall des Patrick J. zeigt weiterhin, dass Teile der Bundeswehr und des militärischen Abschirmdienstes kein Interesse an Aufklärung und Arbeit gegen Rechte Netzwerke und Strukturen haben. Der Soldat wies auf eine Vielzahl rechtsextremer Vorfälle, Fotos und Aktionen hin und wurde dafür mit einer fadenscheinigen Begründung aus dem Dienst entlassen, nicht die Beschuldigten. Wir verurteilen ein solches Verhalten auf das Schärfste. Er schickte dem militärischen Abschirmdienst ein Dossier mit den gesammelten Informationen aus Chatgruppen u.ä., nur sehr vereinzelt wurde den von J. erhobenen Vorwürfen nachgegangen. So schrieb ein Hauptgefreiter, dass er „gegen die komplette Selbstaufgabe der weißen Nationen“ kämpfe oder ein Oberstabsgefreiter, der – als Reichsbürger – schrieb, sie alle seien nur „dumme Arbeiter, die einer großen GmbH angehören“. Statt weiteren Hinweisen nachzugehen, wies in vielen Fällen, bevor er sich an den Abschirmdienst wandte, das Personalamt der Bundeswehr viele Hinweise von J. als völlig übertrieben und haltlos zurück und zog stattdessen seine Eignung als Soldat in Zweifel.
Wir fordern daher:
Die Rolle der Polizeien
Der sogenannte “NSU 2.0” ist nur ein weiteres Beispiel für rechtsradikale Netzwerke, Strukturen und/oder womöglich Gewaltbereite im öffentlichen Dienst. Aufgetauchte Schreiben mit der Unterschrift “NSU 2.0” konnten mit der Polizei Hessens in Verbindung gebracht werden. Im August 2018 erhielt Seda Başay-Yildiz, eine Rechtsanwältin, die die Angehörigen eines Opfers des NSU vertritt, ein solches Drohschreiben. Das zeigt uns, dass, trotz Bekanntwerden der oben erwähnten Netzwerke, die Dunkelziffer groß bleibt und dass die notwendige Aufklärung oftmals gar nicht erfolgt, was nicht zuletzt auf das offensichtlich mangelnde Interesse der Verantwortlichen zurückzuführen ist. Auch die Ermittlungen im Komplex “NSU 2.0” lassen bereits jetzt viele Fragen offen und sind wenig erfolgreich, da vom LKA Berlin und Hessen im kollegialen Umfeld ermittelt werden müsste. Weitere Vorwürfe belasten das LKA Berlin darüber hinaus im sogenannten “Neukölln-Komplex”: Es gab einige rechte Bedrohungen und Brandstiftungen auf linke Personen und antirassistisch arbeitende Menschen und Hinweise legen nahe, dass die Täter*innen ebenfalls Informationen aus Reihen der Polizei bekamen. Der Bundestags-Untersuchungsausschuss machte bekannt, dass beim Anschlag auf den Breitscheidplatz der Polizist und AfD-Mitglied Detlef M. Ermittlungsinterna an eine Gruppe ähnlich Eingestellter weitergeleitet hat – in dieser Gruppe Tilo P., ein Hauptverdächtiger in der Anschlagsserie. Weiterhin wurde ein Polizist mit weiteren Personen und Sebastian T., einem weiteren Hauptverdächtigen der Anschlagsserie, gesehen. Die Polizei und der Beamte bestreiten das Treffen und eine Wohnungsdurchsuchung wurde richterlich abgelehnt. Ob hier Informationen weitergegeben wurden oder welchen Grund es sonst für das Treffen gab, kann also nicht überprüft werden. In Neukölln wurde das Auto des LINKEN-Politikers Ferat Koçak angezündet. Sowohl LKA als auch Verfassungsschutz wussten, dass Kocak von Neonazis ausspioniert wurde, da sie ein entsprechendes Telefonat abhörten. Kocak selber wusste bis zum Brandanschlag nichts davon. Diese Reihe an verstörenden, völlig inakzeptablen und zu Recht Misstrauen schürenden Beispielen ließe sich noch fortsetzen. Tilo P. hat z.B. in einer Gruppe geschrieben, dass der ihn vernehmende Staatsanwalt durchblicken ließ, AfD-Mitglied zu sein und P. nichts zu befürchten habe. Es gab weitere Datenabfragen von Polizeirechnern zu Betroffenen der Anschläge durch den Staatsschutz, die sich das LKA Berlin nicht erklären kann und eine Zusammenarbeit mit der Datenschutzbeauftragten ablehnt (trotz gesetzlicher Verpflichtung!). Mitte dieses Jahres wurde ein Spezialeinsatzkommando in Hessen aufgelöst, denn mindestens 20 aktive und ehemalige SEK-Mitglieder waren Mitglied in einer Chatgruppe, in der rechtsextreme Inhalte ausgetauscht wurden. 29 weitere Polizisten wurden kurz darauf auch als Mitglieder derselben Gruppe identifiziert. Das Perfide daran ist, dass mindestens 13 der genannten SEK- Beamten in der Tatnacht des Anschlags in Hanau im Einsatz waren. Es ist immer noch unbekannt, ob die Gesinnung der Beamten eine Rolle beim Ablauf der Nacht spielte, aber gleichzeitig ist unbekannt – immer noch! – warum es fünf Stunden dauerte, bis jemand des SEK in das Haus des Anschlags eindrang und was überhaupt in dieser Nacht in dem Haus geschah. Daneben stehen der antisemitische Anschlag auf die Synagoge in Halle, Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, der Mord an Walter Lübcke, der rassistische Anschlag im Olympia- Einkaufszentrum in München. Es kann nicht länger verleugnet werden, dass es rechtsextremen Terror in Deutschland gibt, dass es sich nicht um Einzeltäter handelt, dass Rassismus, Antisemitismus sowie Antiziganismus und Rechtsextremismus Struktur haben, für Anhänger*innen einer rechten Gesinnung Handlungsimplikationen beinhalten und bereits weit in den deutschen Sicherheitsbehörden verbreitet und auch verwurzelt sind. Dazu kommen dann noch die große Menge „Einzelfälle“, wie der Mord an Oury Jalloh und weitere ungeklärte Todesfälle in Polizeigewahrsam, unzählige Fälle von Racial Profiling, die große Zahl an aufgedeckten Chatgruppen von Polizist*innen, die voll von rechtsextremen, rassistischen, antisemitischen Inhalten sind. Ebenso gab es bei den Ermittlungen zum NSU diverse Ungereimtheiten. Auch ist der Anteil von Polizist*innen in rechtsextremen Parteien wie der AfD erschreckend hoch und insbesondere aus der sogenannten Deutschen Polizei- „Gewerkschaft“ (DPolG) kommen viele rechte Äußerungen, Forderungen und Positionierungen. Gerade bei der DPolG ist immer wieder eine gewisse Nähe zu rechten Strukturen sichtbar, so war bspw. der Chef der DPolG-Berlin Mitglied und Kandidat der Partei „Die Republikaner“ und Mitglied in einer rechtsextremen Tarn-Organisation (Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk). Darüber hinaus ist ein Ungleichgewicht im Vorgehen gegenüber Demonstrationen zu beobachten, abhängig von der politischen Ausrichtung der Kundgebungen: Nicht erst seit den sogenannten Querdenker- Demos scheint die Polizei mit rechten Demos deeskalierender umzugehen, als mit Demos aus dem linken, antifaschistischen und antirassistischen Spektrum.
Wir fordern daher:
Die Rolle des Verfassungsschutzes
In all den genannten Fällen zu rechten Netzwerken tauchen auch immer wieder V-Leute des Verfassungsschutzes oder dieser selbst auf, leider meist auf der unrühmlichen Seite. Der Verfassungsschutz operiert immer noch mit der sogenannten “Hufeisen-Theorie” und finanziert über V-Leute sogar Gruppierungen und deren Aktionen mit – teilweise bis zur Ausführung der Tat mit anschließender Beweismittelvernichtung. Vor allem der NSU-Komplex hat das ganze Ausmaß der strukturellen Probleme des Verfassungsschutzes auf tragische Weise deutlich gemacht. Nicht nur, dass der Verfassungsschutz den NSU nicht enttarnt hat, um so die Mordserie zu beenden, nach der Selbstenttarnung des NSU Akten vernichtete und bis heute eine vollständige Aufklärung behindert, sondern auch, dass der Verfassungsschutz nachweislich den NSU mit Ressourcen mit aufgebaut hat, ist unerträglich. Im Fall der Nordkreuz-Ermittlungen wird vermutet, dass unter den weiteren Mitgliedern auch V- Leute sind, daher wird gegen nicht mehr als zwei (als Zahl 2!) Personen dieses Netzwerkes Anklage erhoben. Bei drei Beteiligten kann auf Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt werden. Falls allerdings an etwaigen Straftaten maßgeblich V-Leute beteiligt sind, könnte es sein, dass die gesamte Ermittlung eingestellt werden muss. Darüber hinaus liegen unzählige Informationssammlungen durch den Verfassungsschutz einzelner Bundesländer oder des Bundes vor, die verdeutlichen, wie einzelne Personen immer und immer wieder durch ihre rechte Gesinnung auffallen, jedoch nichts unternommen wird. So der Fall Marko G., Administrator der Preppergruppe, die sich auf den “Tag X” vorbereiteten, ehemaliges Mitglied des SEK in der Funktion eines Präzisionsschützen aus Mecklenburg-Vorpommern und u.a. leitend in der Gruppe “Nord-Kreuz”. Bereits 2009 erschien Marko G. mit Büchern über die Wehrmacht und die SS zur Arbeit, er trage T-Shirts, die einen eindeutigen Spruch hatten, berichten Kollegen ihrem Vorgesetzten, Marko G. sei “rechts verankert”. Es passiert nichts – G. wird für den gehobenen Dienst ausgebildet. Bereits in der Bundeswehrakte wurde sein „Interesse für die jüngere Militärgeschichte“ angemerkt. Bereits 1993 verschwand in Marko G.s Einheit die Uzi, die 2019 in seinem Arbeitszimmer wiedergefunden wurde. Die Bundeswehr möchte sich nicht äußern und der MAD wisse nichts darüber. Seit 2012 zweigt Marko G. unter Mithilfe weiterer Polizei- Mitarbeitenden und SEK-Mitgliedern tausende Schuss Munition ab, die 2019 bei ihm gefunden werden als er nach zwei Jahren Ermittlung nicht mehr als Zeuge, sondern als Angeklagter vorgeladen wird. Dieser und all die anderen Vorfälle zeigen zwei Dinge deutlich: Die Sicherheitsbehörden scheint es nicht zu interessieren oder sie ignorieren absichtlich rechtsextreme Tendenzen in ihren Reihen. Zweitens konnten die V-Leute und der Verfassungsschutz nicht verhindern und/oder aufdecken, dass rechte Prepper sich für einen “Tag X” vorbereiten, Munition klauen, Waffen beschaffen und Daten für Todeslisten abgreifen. Stattdessen werden die Taten als Einzeltaten abgetan und noch einmal bestärkt, dass es keinen Generalverdacht gegenüber der Polizei geben könne.
Wir fordern daher:
Hufeisen im Reitstall lassen
Im Zuge verschiedener aktueller Ereignisse, beispielsweise nach dem Anschlag von Hanau, bei denen rechtsextreme Taten verübt wurden, geschieht ein wiederkehrendes Muster. Anstatt diese rechten Taten zu verurteilen und nach Ursachen und Lösungen für das Problem zu suchen, findet eine Debattenverschiebung statt. Dabei werden in diesen Diskussionen links- und rechtsextremes Gedankengut gleichgesetzt. Über nahezu alle Parteien hinweg schaffen Politiker*innen es nicht, diese Gewalttaten zu verurteilen, ohne gleichzeitig auch auf “die Gefahr von links” hinzuweisen. Durch diese Debattenverschiebung, wozu auch Aussagen wie “Jeder Extremist ist Mist!” gehören, soll Rechtsextremismus und rechte Gewalt relativiert und verharmlost werden. Der Versuch vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen Rechtsextremismus und “Linkextremismus” zu ziehen, ist aus unterschiedlichen Gründen völlig falsch. Zunächst mal gibt es keine zufriedenstellende Definition dessen, was “Extremismus” in diesem Sinne überhaupt bedeuten soll. Christoph Butterwegge bezeichnet “Extremismus” als “inhaltsleeren Kampfbegriff”. Vertreter*innen der Extremismustheorie geht es vor allem darum, die politische Linke zu diffamieren. Es wird versucht eine Gewisse Nähe zwischen Rechts und Links zu schaffen, die es nicht gibt. So verkennt die Extremismustheorie völlig, dass Rechtsextreme inhaltliche Überschneidungen mit Rechtspopulisten oder Konservativen haben, die sie mit Linken überhaupt nicht haben Weit verbreitet unter Verfechter*innen der Extremismustheorie ist die Annahme, beide “Ränder” stellten gleichermaßen eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Es sind jedoch im Gegenteil oft gerade diese als “linksextremistisch” abgestempelten Gruppen und Initiativen, die die Werte unserer Demokratie und des Grundgesetzes schützen. Sie treten ein für Menschenwürde, Gleichberechtigung und gegen jegliche Diskriminierung. Sie retten Menschenleben auf dem Mittelmeer, unterstützen Geflüchtete vor Ort und stellen sich Nazis auf der Straße entgegen. Vielen linken Bewegungen geht es zudem sogar um mehr demokratische Mitbestimmung, wohingegen das Ziel von Rechtsextremist*innen die Zerstörung derselben ist. Doch nicht nur die verharmlosende Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus ist problematisch an dieser Theorie. Denn Teil dieser Darstellung sind nicht nur die “extremistischen Ränder”, sondern auch eine sogenannte “gemäßigte Mitte”. Was jedoch eine Partei oder politische Strömung zum Teil der “Mitte” macht, bleibt dabei relativ unkonkret. Es ist deshalb kein Zufall, dass sich rechte bis faschistische Parteien selbst zur bürgerlichen Mitte erklären und damit eine Verschiebung des ganzen politischen Diskurses bewirken. Zudem ignoriert die Theorie komplett die rassistischen und antisemitischen Tendenzen, die auch in der sogenannten “bürgerlichen Mitte” Anschluss finden. Auch hier findet wieder eine Verharmlosung statt, menschenfeindliche Einstellungen werden ignoriert. Mittlerweile ist die Extremismustheorie auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung stark kritisiert und widerlegt worden. Dabei wird vor allem der Fokus auf die Vereinfachung und Eindimensionalität der Theorie gelegt. So betont Prof. Dr. Stöss, Politikprofessor an der FU Berlin, dass sich die politische Realität wie im Extremismuskonzept nicht auf einer einzigen Achse (Rechts – Mitte – Links) abbilden lasse und für die wissenschaftliche Analyse viel zu unterkomplex sei.
Auch Prof. Dr. Salzborn, ebenfalls Politologe, lehnt die Extremismustheorie ab. Sie verharmlose den Rechtsextremismus. Eine dynamische, komplexere Theorie sei notwendig, um die Dimensionen richtig darstellen zu können.
Viele Expert*innen halten die derzeit gängige Extremismustheorie für unterkomplex und falsch, trotzdem wird von vielen Seiten in unserer Gesellschaft noch immer damit argumentiert. Sie veröffentlichen Stellungnahmen, die diese unterstützen und handeln zum Teil auf Basis dieser Analysen. Das muss endlich aufhören. Wir müssen endlich auch in unserer kompletten Partei mit all ihren Gliederungen am Puls der Wissenschaft ankommen und die Extremismustheorie ablehnen. Wie fest die Extremismustheorie nach wie vor in der politischen Landschaft vertreten ist, zeigte auch ein Vorfall im Januar 2021: Im Online-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) zum Thema Linksextremismus wurde der ideologische Unterschied zum Rechtsextremismus u.a. so beschrieben: „Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.“ Gegen diese Differenzierung mobilisierte die rechte Szene auf Twitter, bis die BILD und Bundesinnenminister Horst Seehofer mitzogen. Auf direkten Druck des Ministerbüros hin ändert die bpb das Dossier und ersetzte die politikwissenschaftliche Definition durch die Definition der Sicherheitsbehörden. Damit wird nicht nur eine deutliche Missachtung gegenüber wissenschaftlichen Fakten ausgedrückt, es wird auch massiv in die Unabhängigkeit der bpb eingegriffen. Dabei zieht die bpb ihre Legitimation nicht zuletzt aus ihrem Grundsatz überparteilich und wissenschaftlich ausgewogen zu sein. Zudem zeigt sich, wie schnell konservative Innenpolitiker*innen beim Stichwort „Linksextremismus“ bereit sind, der rechten Szene nach dem Mund zu reden.
Deshalb fordern wir:
Die Rolle weiterer Behörden, Politik und Medien:
Rassismus ist überall! Nach Anschlägen wie in Hanau wird in den Medien, aber auch von Politiker*innen schnell von „Fremdenfeindlichkeit“ geredet. Dieser Begriff verschleiert aber das wahre Problem und suggeriert Dinge, die so nicht stimmen. Täter*innen, wie dem in Hanau oder am Olympia-Einkaufszentrum in München geht es nicht darum, ob die Opfer einen deutschen Pass haben oder nicht. Es geht ihnen darum, dass die Personen nicht weiß sind oder dass sie einer nicht-christlichen Religion angehören. Der Begriff Fremdenfeindlichkeit suggeriert außerdem, dass es sich bei den Opfern um Fremde handelt. Das ist keineswegs der Fall. Es handelt sich um Menschen, die wir kennen, die in Deutschland leben, hier arbeiten. Es sind Nachbar*innen, Kolleg*innen, Freund*innen, keine Fremden! Sie sind Teil unserer Gesellschaft, unserer Leben. Wir sollten diese Taten endlich richtig benennen: es sind rassistische Taten. Und es sind, anders als ebenfalls oft von Vertreter*innen der Sicherheitsbehörden oder Politiker*innen dargestellt, keine Einzelfälle. Es sind rassistische Ideologien, Netzwerke und Strukturen, die zu rassistischen Taten führen und die Aufklärung derselben verhindern. Neben diesen offensichtlichen rassistischen Strukturen und Netzwerken, spielen Antisemitismus wie auch Antiziganismus eine nicht klein zu redende Dimension in rechten Anschlägen und Übergriffen. Geprägt von einem antisemitischen Weltbild, verübte nicht nur der NSU-Komplex seine Taten, auch bei dem Täter in Halle ist eine antisemitische Gesinnung nicht von der Hand zu weisen. In Zeiten, in denen vor deutschen Synagogen Polizeischutz zum Alltag gehört und in denen antisemitische Übergriffe sich häufen, müssen wir verstärkt mahnen und uns gegen jeden Antisemitismus einsetzen. Und auch Antiziganismus – also die Diskriminierung von Sinti*zzen und Rom*nja sowie weiterer Gruppen, die unter einer bestimmten rassistischen Fremdbezeichnung zusammengefasst werden – muss als das strukturelle Problem benannt werden, das es ist. Etwa nach dem NSU-Mord an Michèlle Kiesewetter verdächtigten die zuständigen Ermittler*innen zunächst in der Nähe wohnende Sinti*zze und Rom*nja, obwohl es dafür keinerlei Anhaltspunkte gab. Fälle wie dieser zeigen: Auch Antiziganismus ist innerhalb der Polizei und weiteren Ermittlungsbehörden tief verankert. Ebenso ist es unentschuldbar, dass auch zehn Jahre nach dem NSU die Gefahr durch rechten Terror von den Behörden, Politik und vielen Medien weiterhin unterschätzt wird und nicht genug Ressourcen in seine Bekämpfung fließen. Zusätzlich zur rassistisch motivierten rechten Waffengewalt stellt aber auch die Stigmatisierung durch Politik, Medienberichterstattung und Polizei eine Gefahr für Migrant*innen in Deutschland dar. Rassismus begegnet Betroffenen überall – ob auf Ämtern, in der Berichterstattung oder aber auch in und aus der Politik. Darüber hinaus scheint auf vielen Ebenen kein Bewusstsein für rechte Ideologien, ihre Symbole oder ihre Gefährlichkeit zu existieren. Ebenso sind auch in Institutionen wie der Staatsanwaltschaft und Gerichten Anhänger rechter Ideologien zu finden, viele von ihnen sind auch in einschlägigen Organisationen aktiv, manche sitzen gar für die rechtsextreme AfD im Bundestag. Dass es auch im Justizapparat Probleme gibt, zeigt sich darüber hinaus auch in einem Bias bei der Beurteilung von Zeugenaussagen in Bezug auf Polizeigewalt – Polizist*innen gelten immer als glaubwürdiger als andere Zeug*innen, unabhängig von wissenschaftlichen Fakten – oder dem Durchstecken von Ermittlungswissen an die rechte Szene, und vielem mehr.
Wir fordern daher: