Auch ein Jahr nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau bleiben Überlebende, Angehörige und betroffene Menschen aus den Communitys schockiert und angsterfüllt zurück. Wir trauern und nehmen Anteil an dem Schicksal der betroffenen Familien und Communities. Der Satz „Hanau betrifft uns alle, aber nicht alle gleich“ ist uns in den letzten Monaten nur allzu oft über den Weg gelaufen und er ist wahr. Hanau geht uns alle etwas an, denn politisch sind wir es den Opfern – Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Pun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçolu – schuldig, alles dafür zu tun, rechtsterroristische Gewaltakte und Anschläge zu verhindern und aktiv dafür zu sorgen, dass sich ein solches Attentat nie wieder wiederholt. Wir sind in der Verantwortung, das Sterben durch die Hand des rechten Terrors ein für alle Mal zu beenden. Es darf kein Vergeben und kein Vergessen geben. Wir Jusos solidarisieren uns deutlich mit den Hinterbliebenen von Hanau und allen anderen Menschen, die eine Bedrohung durch den rechten Terror erfahren. Deshalb unterstützen wir unter anderem die Forderungen der Hinterbliebenen des 19. Februar 2020.
„Vili Viorel Pun, Mercedes Kierpacz und Kaloyan Velkov waren Romnja. Darüber wurde in der Berichterstattung zu Hanau kaum gesprochen. Auch sonst findet sich im Diskurs über Rassismus, Antisemitismus und weitere Diskriminierungsformen kaum etwas über Antiziganismus. Antiziganismus ist die Diskriminierung von Sintizze und Romnja und weiteren Gruppen, die unter einer bestimmten rassistischen Fremdbezeichnung zusammengefasst werden. Wenn wir Konsequenzen aus Hanau ziehen wollen, dann muss eine Konsequenz auch die Solidarität mit Sintizze und Romnja sein und ein entschlossener Kampf gegen Antiziganismus. Sowohl in der Politik, im Gedenken, in der Gesellschaft als auch in den Medien müssen Sintizze und Romnja sichtbar sein und ihre Erfahrungen und Perspektiven ernstgenommen werden. Unser Kampf gegen Antiziganismus muss solidarisch an der Seite der Betroffenen stattfinden. Die Ausmaße von Antiziganismus ziehen sich also durch alle Ebenen unserer Gesellschaft und deshalb ist es nicht zu akzeptieren, dass bei Anschlägen wie in Hanau ein großes Schweigen in Bezug auf Antiziganismus herrscht. Dieses Schweigen ist gefährlich, darum sagen wir entschieden: gegen jeden Antiziganismus!“
Wir haben kein Verständnis dafür, dass der deutsche Staat immer und immer wieder darin versagt, Bürger*innen vor rassistischen Angriffen zu schützen. Es ist Zeit, endlich Konsequenzen aus den rassistischen Morden von Hanau und dem Scheitern der staatlichen Sicherheits- und Ordnungsbehörden zu ziehen und zu handeln.
Der Täter von Hanau war seit 2002 legal im Besitz von Waffen – und das, obwohl seit vielen Jahren bekannt war, dass er Anhänger eines zutiefst rassistischen Weltbildes voller angeblicher Verschwörungen war. Er wurde sogar kurz vor der Tat einer Routineprüfung unterzogen. Es stellt sich immer wieder die Frage, wie es sein kann, dass Rechtsextreme legal Waffen besitzen können. Bis Ende Dezember 2020 hatten Sicherheitsbehörden rund 1200 Rechtsextremisten registriert, die legal Waffen besaßen. Aber nicht nur bei der Prävention, auch in der Tatnacht zeigte sich eklatantes staatliches Versagen: So waren Notrufleitungen nicht besetzt und mehrere Notrufe von Vili Viorel Pun wurden nicht entgegengenommen. Wie konnte es dazu kommen, dass die Morde vom 19. Februar 2020 trotz konkreter Warnsignale nicht verhindert werden konnten? Darüber hinaus mussten die Notausgänge einer Shisha-Bar nach behördlichen Anordnungen verschlossen bleiben. Diese Umstände und die Verantwortung dafür wurden bis heute nicht geklärt.
Wir fordern deshalb:
Ebenso ist es unentschuldbar, dass, auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, die Gefahr durchrechten Terror von den Behörden weiterhin unterschätzt wird und nicht genug Ressourcen in seine Bekämpfung fließen. Zusätzlich zur rassistisch motivierten rechten Waffengewalt, stellt aber auch die Stigmatisierung der Politik, Medienberichterstattung und Polizei eine Gefahr für Migrant*innen in Deutschland dar. Dass das Anschlagsziel von Hanau eine Shisha-Bar war, ist kein Zufall. Diese Orte dienen für migrantisch bzw. muslimisch gelesene Menschen oft als Aufenthaltsort, beispielsweise, weil ihnen an anderen Orten der Zutritt verweigert wird. Gleichzeitig haben Medien und politische Verantwortliche in der Vergangenheit mit ihrer Berichterstattung bzw. mit öffentlichen Aussagen dazu beigetragen, Shisha-Bars als kriminalitätsbelastete Orte zu stigmatisieren und pauschal bspw. mit sogenannter „Clankriminalität“ in Verbindung zu bringen. Diese Stigmatisierung setzt sich in den oftmals mindestens fragwürdigen polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegen die Betreiber*innen fort. Dahinter verbirgt sich oftmals ein Generalverdacht, der sich gegen Menschen mit Migrationsgeschichte oder Migrant*innen richtet. Und hinter diesem verbirgt sich im Kern Rassismus, dem wir uns entschieden entgegenstellen.
Wir fordern deshalb
2021 darf es nicht mehr sein, dass wir es schon als großen Erfolg verbuchen, wenn rassistische Attentate öffentlich auch von Amtsinhaber*innen als solche benannt werden. Denn das ist das absolut Mindeste. Dinge müssen beim Namen genannt werden und Personen, die von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und rechtem Terror bedroht sind, müssen unseren höchsten Schutz und die Anerkennung ihrer Leiden und der Gefahren, die von rechts ausgehen, erhalten. Wie kann es sein, dass Hessens Innenminister Beuth sowohl vor als auch am 19. Februar um die konkreten Warnsignale wusste, keine Schritte zur Verhinderung der Morde in Hanau einleitete und das Geschehene bis heute kleinredet? Das darf nicht passieren, denn vor allem die Politik muss konkrete Konsequenzen aus der Nacht des 19. Februar ziehen, dazu gehört ganz klar, dass auf Worte auch Taten folgen müssen. Es darf nicht sein, dass Angehörige Verstorbener, Überlebende und Hinterbliebene rassistischer Attentate mit warmen Worten und Kondolenzen abgespeist werden.
Wir fordern deshalb
Sich auf den Schutz der Behörden zu verlassen, ist ein Privileg. Beim Anblick von Polizist*innen nicht sofort den Impuls des Weglaufens zu verspüren, ist ein Privileg. Keine Angst vor Gewalt durch Rassist*innen haben zu müssen, ist ein Privileg.
Hanau war kein Einzelfall!