Antrag P01: Gesundheit vor Profite
Gesundheit ist ein Menschenrecht. Die Sicherung dieses Menschenrechts ist Teil der
staatlichen Daseinsvorsorge. Dazu gehört eine gute Verfügbarkeit von medizinischer,
therapeutischer und pflegerischer Versorgung. Dies schließt sowohl die Versorgung von
Erkrankten oder medizinisch Hilfsbedürftigen ein, aber umfasst ebenso verschiedenste
präventive Aspekte für die gesamte Gesellschaft. Aufgabe unseres Gesundheitssystems
ist es, allen Menschen eine Versorgung zu garantieren, die auf aktuellem
wissenschaftlichen Stand basiert. Dieser Standard kann nur bestmöglich erfüllt
werden, wenn die Arbeit von gut ausgebildeten Fachkräften durchgeführt wird und diese
ausreichend Zeit für die Patient*innenversorgung haben. Sind die genannten
Rahmenbedingungen gegeben, kann die Versorgung möglichst individuell gestaltet werden
und orientiert sich an den spezifischen Bedürfnissen der zu behandelnden Person.
In Deutschland sind moderne Behandlungsmethoden verfügbar und Fachkräfte können
häufig auf ein großes Wissen sowie und eine große Vielfalt an medizinischen Geräten
und Hilfsmitteln zurückgreifen. Trotzdem ist die Realität, dass dieser Standard der
optimalen Gesundheitsversorgung aller Patient*innen und guter Arbeitsbedingungen für
die Beschäftigten im Gesundheitswesen in der Bundesrepublik noch längst nicht
erreicht, obwohl wir über eine stark ausgebaute Gesundheitsinfrastruktur verfügen.
Dies liegt auch zu großen Teilen an den kapitalistischen Zwängen, denen alle Akteure
der Gesundheitsversorgung unterworfen sind. Aktuell erfolgt die
Krankenhausfinanzierung dual. Betriebskosten, also Kosten für die Behandlung
(Personalkosten, Materialkosten oder Energiekosten) werden von den Krankenkassen
finanziert. Investitionskosten, zum Beispiel Umbaumaßnahmen oder kostenintensive
Geräteneuanschaffungen werden von den Ländern getragen. Bei beiden Säulen der dualen
Finanzierung gibt es große Herausforderungen und Fehlanreize.
Aufgrund dessen werden Behandlungsentscheidungen tagtäglich auf Grundlage
finanzieller Erwägungen getroffen, um die Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses, der
Praxis oder der Abteilung sicherzustellen.
Blutige Entlassungen (d.h. Entlassungen vor tatsächlicher Beendigung der Behandlung), fehlende Anschlussbehandlung oder
unnötig lange stationäre Aufnahmen gehören zum ungeschönten Alltag im
Gesundheitssystem. Die Erwägung finanzieller Fragen spielt in der Klinik permanent
eine Rolle. Die Finanzierung unseres Gesundheitswesens grenzt den ärztlichen und
pflegerischen Entscheidungsspielraum in der Gestaltung von Therapie und Diagnostik
stark ein. Dies führt einerseits zu einer medizinischen Überversorgung von
Patient*innen, andererseits zu Unterversorgung und am Ende schadet das System damit
erkrankten Personen.
Medizinische Entscheidungen auch in Abhängigkeit von finanziellen Erwägungen zu
treffen, ist fast nie den einzelnen Ärzt*innen und Fachkräften vorzuwerfen. Dass das
Fortbestehen der eigenen Abteilung oder Praxis auch an der Wirtschaftlichkeit der
medizinischen Entscheidungen hängt, ist eine Tatsache, die medizinische
Entscheidungen beeinflusst. So wird gerade in Anstellungsverhältnissen Druck auf
Behandelnde ausgeübt, gewinnbringender zu arbeiten. Das Problem liegt hier also klar
im System und nicht bei den einzelnen Behandelnden.
Die Bundesländer haben laut Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) die Aufgabe, bei
allen Einrichtungen, die im Landeskrankenhausplan genannt werden, die
Investitionskosten zu tragen. Aus dieser Aufgabe haben sie sich in den letzten Jahren
immer weiter zurückgezogen und die Krankenhäuser sind somit gezwungen, die
Investitionen über die Betriebskosten mitzufinanzieren. Das hat bis zur Ausgliederung
des Pflegebudgets aus den Fallpauschalen (Diagnoses related Groups) dazu geführt,
dass insbesondere an Personalkosten gespart wurde. Die fehlende Finanzierung ist
insbesondere für kommunale Kliniken und Klinikverbünde fatal. Es übersteigt die
finanzielle Möglichkeit kleinerer Kommunen, die roten Zahlen zu kompensieren und
viele haben über kurz oder lang nur die Wahl: privatisieren oder schließen. Im Jahr
1991 gab es noch rund 2.400 Kliniken, im Jahr 2022 zählt das Statistische Bundesamt
aktuell noch 1.903 Kliniken. Die privaten Träger konnten dabei ihren Anteil von 21,7
Prozent im Jahr 2000 auf rund 38 Prozent der Häuser im Jahr 2020 ausbauen. All diese
Umstände zeigen auf, dass das derzeitige Finanzierungskonzept vielerlei negative
Konsequenzen für Patient*innenversorgung und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten
mit sich bringt.
Gesundheitsplanung statt Krankenhausplanung
Gesundheitspolitik und ihre Umsetzung sollten darauf ausgelegt sein, Menschen gesund
zu halten, anstatt Krankheiten zu verwalten. Für uns steht fest, wir brauchen eine
Umstrukturierung des Gesundheitssystems! Wir müssen dazu übergehen, dass
intersektoral zusammengearbeitet wird, um Menschen gesund zu halten und die Anreize
minimieren, mit Krankheiten oder Überversorgung Geld zu verdienen.
Aktuell werden Krankenhäuser vor allem daran gemessen, wie die Bettenbelegungsquote
aussieht. Diese soll Aussagen über die Bedarfsgerechtigkeit des Krankenhauses
treffen. Anhand dieser Quote leiten sich viele Entscheidungen in Politik und Justiz
ab. Es braucht eine stärkere Fokussierung und Relevanz verschiedenster Indikatoren,
die tatsächlich Aussagen über die Qualität eines Krankenhauses treffen und die
Bedürfnisse der Patient*innen und Arbeitnehmer*innen im Blick haben. Wir müssen neu
definieren, wie wir Qualität messen wollen und wie diese sichergestellt werden soll.
Unserer Meinung nach muss unter anderem das Outcome für die Patient*innen im
Mittelpunkt des Interesses stehen, insbesondere die einschränkungsfreie bzw.
einschränkungsarme Zukunft sollte anstelle der reinen Überlebenszeit nach der
Therapie Berücksichtigung finden. Außerdem muss neben der individuellen
Behandlungszufriedenheit der Patient*innen auch verstärkt die
Mitarbeiter*innenzufriedenheit eine Rolle spielen.
In Deutschland stehen wir mittlerweile außerdem vor der Problematik, dass Kliniken
auch dann geschlossen werden, wenn sie im Landeskrankenhausplan gelistet sind und
einen wichtigen Beitrag zur wohnortnahen Versorgungsinfrastruktur leisten. Diese
Tatsache ist untragbar. Gemessen an der Bevölkerungsgröße hat Deutschland im
europäischen Vergleich zwar die meisten stationären Krankenhausbetten, jedoch sind
regionale Unterschiede und vor allem das Gefälle der Patient*innenversorgung zwischen
Ballungszentren und ländlichen Räumen enorm. Wir wollen uns der Konsolidierung der
vorhandenen Infrastruktur nicht verschließen. Diese soll aber nicht nach
ökonomischen, sondern nach Qualitätskriterien stattfinden, wie beispielsweise gute
Arbeitsbedingungen und die Gewährleistung einer wohnortnahen Erstversorgung. Das kann
aber nur dann gelingen, wenn sektorenübergreifend geplant wird: Krankenhäuser,
niedergelassene Allgemein- und Fachmediziner*innen, Physio-, Psycho-,
Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, Hebammen, Geburtshäuser, ambulante und stationäre
pflegerische Infrastrukur - sie alle sind Gewährleister*innen einer wohnortnahen
Versorgungsinfrastruktur. Deshalb wollen wir die Landeskrankenhausplanung durch eine
sektorenübergreifende Gesundheitsplanung ersetzen. Das bedeutet auch, dass die
Kompetenz zur Bedarfsplanung der Kassen(zahn)ärztlichen Kassensitze von der
Kassen(zahn-)ärztlichenvereinigung weg und hin zu einem neu zu schaffenden
demokratischen Gremium verlagert werden muss.
Die bedarfsgerechte Finanzierung ist keinesfalls ein Widerspruch zur
Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser muss sich anhand einer
optimalen Versorgungsqualität und guten Arbeitsbedingungen von Beschäftigten messen
lassen. Durch eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung können vermeidbare
Folgeerkrankungen, - behandlungen und somit auch - kosten verhindert werden. Ebenso
verringern adäquate Arbeitsbedingungen das Risiko für Berufskrankheiten sowie
psychische Belastung und beugen daraus resultierende Personalausfälle vor. Eine
bedarfsgerechte Finanzierung ist somit auch eine wirtschaftlich effiziente
Finanzierung.
Ein System der Gewinnerwirtschaftung und marktförmigen Organisation im
Gesundheitswesen lehnen wir entschieden ab. Stattdessen brauchen wir ein System, das
eine bedarfsgerechte Finanzierung sicherstellt und die Patient*innen im Blick hat.
Deshalb fordern wir:
Morbiditäts- und Qualitätsorientierte Planung
Betriebskosten – DRG Fallpauschalen abschaffen und dann?
Die Betriebskostenfinanzierung erfolgt durch die Fallpauschalen oder auch DRGs
(diagnosis related groups). Demnach werden bestimmte Diagnosen mit jeweiliger
Therapie in Gruppen zusammengefasst und pauschal vergütet. Wenn die Kosten für einen
Fall höher ausfallen, bleibt das Krankenhaus auf den Kosten sitzen, schafft das
Krankenhaus die Versorgung mit weniger Kosten, erwirtschaftet es Gewinne.
Anreize finden zum Beispiel in Form von pauschalen sogenannten „oberen Verweildauern“
statt, nach denen das Krankenhaus durch die Verlängerung des stationären Aufenthaltes
Verluste erwirtschaftet. Diese Zeitpunkte werden im Alltag im Krankenhaus als
Verweilgrenze kommuniziert. Auch die pauschalen Vergütungen unabhängig von der
tatsächlich benötigten Versorgung setzen Anreize, zum Beispiel zum Durchführen
besonders lukrativer Eingriffe. Das DRG - System ist stark auf die Vergütung
operativer Leistungen ausgerichtet. Beispielsweise ist der Einsatz einer Hüft- oder
Knieprothese im Vergleich zu konservativen Behandlungsformen viel gewinnbringender.
Das Problem geht aber über die pauschale Vergütung von Erkrankungen und Behandlungen
noch einmal weit hinaus. Bei den DRG Fallpauschalen handelt es sich um
Verhältniszahlen der Anteile oder ein Vielfaches eines Basisfallwertes, welcher zuvor
zwischen Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften ausgehandelt wird. An die
tatsächlich entstehenden Kosten sind diese Basisfallwerte grundsätzlich nicht
gebunden und auch die DRG Fallpauschalen werden durch defacto nicht repräsentative
Methoden ermittelt.
Durch die Fallpauschalen kommt es beispielsweise zu Personaleinsparung, zur
Verkürzung der Liegedauer, zur Einsparung von Medikamentenkosten, zur Verlängerung
von Beatmungsdauern oder zur vorzeitigen Entbindung von Frühchen. Diese Fehlanreize
müssen sich durch eine bedarfsgerechte Finanzierung erübrigen.
Bedarfsgerecht bedeutet für uns, die tatsächlich entstandenen Kosten müssen
refinanziert werden. Unabhängig vom Modus der unterjährigen Auszahlung an die
Krankenhäuser muss klar sein, dass am Ende das Krankenhaus nicht auf entstandenen
Kosten oder notwendigen Vorhaltekosten sitzen bleibt. Des Weiteren dürfen
Einsparungen an Personal oder Verlängerungen von Beatmungsdauern nicht zu
finanziellen Belohnungen führen. Dies kann erreicht werden, indem die Ausgaben der
Krankenhäuser vollumfänglich mit den Krankenkassen abgerechnet werden. In einem
solchen System können Krankenhäuser keinen Gewinn und auch keinen Verlust
erwirtschaften. Denn unabhängig davon, wie die Abrechnung mit den Krankenkassen
monatlich stattfindet, werden am Ende des Geschäftsjahres die tatsächlichen Kosten
abgerechnet. Dabei darf kein Platz für Beliebigkeit oder verschwenderischen Umgang
mit den Geldern der Krankenkassen und damit mit den Versicherungsbeiträgen aller
Versicherten bleiben. Natürlich kann nicht beliebig viel Material erworben oder das
teuerste der Medikamente eingekauft werden. Dabei geht es um einen
verantwortungsbewussten Umgang, der ausdrücklich nicht zu Lasten der
Versorgungsqualität gehen darf. Jedoch gibt es im Gesundheitssystem genau wie in
allen anderen kapitalistisch funktionierenden Systemen immer einen gewissen Markt.
Beispielsweise werden Medikamente mit dem selben Wirkstoff und der identischen
Wirkweise von unterschiedlichen Herstellern angeboten und an diesen Stellen gibt es
preisliche Unterschiede. Bereits vor der Einführung der DRG Fallpauschalen war
gesetzlich geregelt, dass die Krankenhäuser wirtschaftlich handeln und angemessen mit
den Geldern der Versicherten umgehen mussten. Daraufhin müssen sich die Krankenhäuser
regelmäßig überprüfen lassen.
Deshalb fordern wir:
Pädagogische Gespräche zwischen Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen und Eltern
müssen ebenfalls als abrechenbare Leistungen gezählt werden.
Aus aktuellem Anlass:
Eine grundlegende Reform der Finanzierung im Gesundheitswesen ist längst überfällig.
Trotzdem hat es dieses Ziel nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Dort beschränkt
sich die Regierungskoalition aktuell ausschließlich auf das Ziel, eine Reform der
Finanzierung der Pädiatrie (Kinderheilkunde) und der Geburtshilfe als Teilbereich der
Gynäkologie vorzunehmen und die fehlende Vergütung der Vorhaltekosten in der
Notfallversorgung in den Blick zu nehmen. Die ersten Pläne, die zu diesem Thema
aktuell bekannt geworden sind, alarmieren uns. Statt die Chance zu ergreifen, diese
Bereiche zu Vorreitern einer grundlegenden Reform in Richtung einer bedarfsgerechten
Finanzierung durch das Selbstkostendeckungsprinzip zu machen, ist der Grundgedanke
der aktuellen Überlegungen weiterhin mit Hilfe von finanziellen Anreizen bestimmte
Qualitätskriterien zu erreichen oder die Zahl der Kliniken zu regulieren. In der
Stellungnahme des wissenschaftlichen Gremiums ist von „Anreizen für eine hohe
Versorgungsqualität und Angemessenheit, bezogen auf die regionalen Bedarfe und die
regionale Bevölkerung” die Rede, die Qualität wird also als Vergütungskriterium
eingeführt. Mit dem Ziel zur Schließung von kleinen Abteilungen, die vermeintlich
nicht dem Bedarf entsprechen, statt eine Landeskrankenhausplanung zu etablieren, die
diese Regulierungsaufgabe der Bedarfsfeststellung übernimmt, wird dies dem Markt
überlassen. Weiter formuliert die Regierungskommission, dass eine Zentrumsbildung und
die Aufgabe kleiner Geburtshilfen mit wenigen Geburten zu forcieren seien.
Kurzfristig sollen pädiatrische Abteilungen jenseits der Budgetverhandlungen und der
DRG Pauschalen ein zusätzliches Vergütungsvolumen, das nicht leistungsabhängig
vergeben wird, erhalten. So sollen sie vom betriebswirtschaftlichen Druck befreit
werden. Für geburtshilfliche Abteilungen, die nur eine geringe Zahl an Geburten
haben, aber bei ihrem Wegfall eine Versorgungslücke hinterlassen würden, sollen
kurzfristig ebenfalls nicht leistungsabhängige zusätzliche Finanzmittel ergänzt
werden.
Weil wir die Chance für einen ersten Schritt in Richtung Selbstkostendeckung im
Gesundheitssystem nicht verstreichen lassen dürfen fordern wir:
Beschäftigte
Unsere aktuelle Krankenhauspolitik und die damit verbundene Finanzierung beutet
Fachkräfte im Gesundheitsbericht systematisch aus, um Profite zu generieren.
Besonders prekär betroffen sind Pflegekräfte, die Tag für Tag heillos unterbesetzt
Höchstleistungen erbringen müssen. Es bedarf tiefgreifender Maßnahmen, um die Arbeit
im Krankenhaus endlich menschenwürdig zu gestalten!
Die Abkopplung der Pflegepersonalkosten vom Fallkostenpauschalensystem war ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Durch die Abkopplung vom Fallkostenpauschalensystem
ist zwar dieser Anreiz akut beseitigt, allerdings bedarf es immer noch einer wirklich
bedarfsgerechten Personalbemessung, durch welche die Arbeitsbedingungen von
Pfleger*innen nachhaltig verbessert werden.
Natürlich muss ein bedarfsgerechter Personalschlüssel auch in der Praxis umgesetzt
werden; es braucht genug Fachkräfte. Oft wird behauptet, dass der Pflegenotstand
zustande komme, weil zu wenige Pfleger*innen existierten; dieses Narrativ ist jedoch
zu kurz gegriffen. Das Problem ist nicht ausschließlich, dass es zu wenig Personal
gibt, sondern auch, dass zu Wenige langfristig im Beruf bleiben. Immer mehr
Pflegekräfte verlassen trotz einer starken Verbundenheit zum Beruf die Branche, weil
sie unter den gegenwärtigen Bedingungen die an sie gestellten Anforderungen nicht
mehr tragen können oder wollen. Um den aktuellen Pflegenotstand zu beenden, bedarf es
neben einer Fachkräfteinitiative auch Entlastungsmaßnahmen, damit Pflegende
langfristig ihren Beruf ausüben können.
Beim Thema Entlastungsmaßnahmen spielen Tarifverträge und Partizipationsmöglichkeiten
der Beschäftigten eine entscheidende Rolle. Wenn es nach den Beschäftigten gehen
würde, würde es schon längst eine 25h Woche und neue Arbeitszeitmodelle geben. Die
Arbeitskämpfe 2022 der Beschäftigten der Universitätskliniken in NRW, aber auch die
vergangenen Kämpfe in Berlin der Charité und Vivantes, zeigen, dass die Beschäftigten
nicht länger die aktuellen Bedingungen für Personal und Patient*innen in
Krankenhäusern akzeptieren wollen.
Die Streikenden des „Notruf NRW” forderten dabei nicht nur einen
Entlastungstarifvertrag für Pflegende, sondern für nahezu alle Berufsgruppen und
Arbeitsbereiche der Kliniken. Denn viel zu oft werden in Debatten um Beschäftigte im
Gesundheitswesen bestimmte Beschäftigtengruppen vergessen. Nicht nur Pflegepersonal,
sondern auch das Reinigungs- oder Servicepersonal ist überlastet und wird trotz ihrer
elementaren Rolle für das Funktionieren eines Krankenhauses wenig gesellschaftlich
wertgeschätzt.
Deutschland läuft sehenden Auges auch in einen Ärzt*innenmangel. Neben der
bevorstehenden Berentungswelle der Babyboomer und dem erhöhten Krankheitsaufkommen
durch das steigende Alter der selben Generation sind auch immer mehr junge Ärzt*innen
nicht mehr bereit, das kranke System Krankenhaus durch unbezahlte Überstunden und
Arbeit bis zur eigenen Erkrankung zu stützen. Daher solidarisieren wir uns mit allen
Berufsgruppen im Krankenhaus und fordern gemeinsam mit ihnen flächendeckende
Entlastungen im Sinne der bisher beschlossenen Entlastungstarifverträge. Außerdem
muss das Medizinstudium in Deutschland massiv ausgebaut und modernisiert werden. Wir
brauchen mehr Studienplätze an mehr Universitäten in ganz Deutschland. Die hier
entstehenden Mehrkosten dürfen weder durch sinkende Qualität der Lehre, noch durch
unbezahlte Mehrarbeit für Ärzt*innen an Unikliniken finanziert werden.
Obwohl die Beschäftigten, allen voran das Pflegepersonal und auch das Reinigungs- und
Servicepersonal, unser Gesundheitssystem tragen, sind ihre Perspektive, ihre
Überbelastung und ihre Bedürfnisse nicht maßgeblich im öffentlichen Diskurs präsent.
Während zu Beginn der Corona-Pandemie das Thema Pflege omnipräsent war und viele ihre
Dankbarkeit durch Klatschen am Fenster zeigten, schafften es die Arbeitskämpfe selten
bis gar nicht, eine große Mediale Aufmerksamkeit zu erreichen. Und das, obwohl gerade
diese Arbeitskämpfe die Aufmerksamkeit verdient hätten, denn „Klatschen reicht
nicht!”
Wir fordern also
eine Möglichkeit auf einen vorgezogen, abschlagsfreien Renteneintritt für
Pflegekräfte, die länger als 20 Jahre in einem Wechselschichtmodell gearbeitet
haben.
Überwindung des Kapitalismus- auch im Gesundheitssystem!
Das deutsche Gesundheitssystem mit seiner dualen Finanzierung unterliegt
kapitalistischen Zwängen. Aufgrund marktwirtschaftlicher Fehlanreize kommt es zum
Qualitätsverlust bei der Patient*innenversorgung und Beschäftigte arbeiten zumeist
unter prekären Umständen. Die Sicherstellung einer optimalen Gesundheitsversorgung
und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in allen Bereichen
des Gesundheitswesens muss oberstes Ziel sein. Dafür muss das Finanzierungssystem von
Krankenhäusern endlich weg von einem schlechten Anreizsystem hin zu einer
Orientierung an der bestmöglichen Gesundheitsversorgung für alle.
Gesundheit ist ein Menschenrecht! Die kapitalistischen Zwänge stehen der
bestmöglichen Erfüllung dieses Rechts im Weg, dabei haben diese im Gesundheitsbereich
nicht zu suchen. Gesundheit vor Profite!