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Beschlussarchiv

P1 2022
Gesundheit vor Profite

Antrag P01: Gesundheit vor Profite
Gesundheit ist ein Menschenrecht. Die Sicherung dieses Menschenrechts ist Teil der
staatlichen Daseinsvorsorge. Dazu gehört eine gute Verfügbarkeit von medizinischer,
therapeutischer und pflegerischer Versorgung. Dies schließt sowohl die Versorgung von
Erkrankten oder medizinisch Hilfsbedürftigen ein, aber umfasst ebenso verschiedenste
präventive Aspekte für die gesamte Gesellschaft. Aufgabe unseres Gesundheitssystems
ist es, allen Menschen eine Versorgung zu garantieren, die auf aktuellem
wissenschaftlichen Stand basiert. Dieser Standard kann nur bestmöglich erfüllt
werden, wenn die Arbeit von gut ausgebildeten Fachkräften durchgeführt wird und diese
ausreichend Zeit für die Patient*innenversorgung haben. Sind die genannten
Rahmenbedingungen gegeben, kann die Versorgung möglichst individuell gestaltet werden
und orientiert sich an den spezifischen Bedürfnissen der zu behandelnden Person.
In Deutschland sind moderne Behandlungsmethoden verfügbar und Fachkräfte können
häufig auf ein großes Wissen sowie und eine große Vielfalt an medizinischen Geräten
und Hilfsmitteln zurückgreifen. Trotzdem ist die Realität, dass dieser Standard der
optimalen Gesundheitsversorgung aller Patient*innen und guter Arbeitsbedingungen für
die Beschäftigten im Gesundheitswesen in der Bundesrepublik noch längst nicht
erreicht, obwohl wir über eine stark ausgebaute Gesundheitsinfrastruktur verfügen.
Dies liegt auch zu großen Teilen an den kapitalistischen Zwängen, denen alle Akteure
der Gesundheitsversorgung unterworfen sind. Aktuell erfolgt die
Krankenhausfinanzierung dual. Betriebskosten, also Kosten für die Behandlung
(Personalkosten, Materialkosten oder Energiekosten) werden von den Krankenkassen
finanziert. Investitionskosten, zum Beispiel Umbaumaßnahmen oder kostenintensive
Geräteneuanschaffungen werden von den Ländern getragen. Bei beiden Säulen der dualen
Finanzierung gibt es große Herausforderungen und Fehlanreize.
Aufgrund dessen werden Behandlungsentscheidungen tagtäglich auf Grundlage
finanzieller Erwägungen getroffen, um die Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses, der
Praxis oder der Abteilung sicherzustellen.
Blutige Entlassungen (d.h. Entlassungen vor tatsächlicher Beendigung der Behandlung), fehlende Anschlussbehandlung oder
unnötig lange stationäre Aufnahmen gehören zum ungeschönten Alltag im
Gesundheitssystem. Die Erwägung finanzieller Fragen spielt in der Klinik permanent
eine Rolle. Die Finanzierung unseres Gesundheitswesens grenzt den ärztlichen und
pflegerischen Entscheidungsspielraum in der Gestaltung von Therapie und Diagnostik
stark ein. Dies führt einerseits zu einer medizinischen Überversorgung von
Patient*innen, andererseits zu Unterversorgung und am Ende schadet das System damit
erkrankten Personen.
Medizinische Entscheidungen auch in Abhängigkeit von finanziellen Erwägungen zu
treffen, ist fast nie den einzelnen Ärzt*innen und Fachkräften vorzuwerfen. Dass das
Fortbestehen der eigenen Abteilung oder Praxis auch an der Wirtschaftlichkeit der
medizinischen Entscheidungen hängt, ist eine Tatsache, die medizinische
Entscheidungen beeinflusst. So wird gerade in Anstellungsverhältnissen Druck auf
Behandelnde ausgeübt, gewinnbringender zu arbeiten. Das Problem liegt hier also klar
im System und nicht bei den einzelnen Behandelnden.
Die Bundesländer haben laut Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) die Aufgabe, bei
allen Einrichtungen, die im Landeskrankenhausplan genannt werden, die
Investitionskosten zu tragen. Aus dieser Aufgabe haben sie sich in den letzten Jahren
immer weiter zurückgezogen und die Krankenhäuser sind somit gezwungen, die
Investitionen über die Betriebskosten mitzufinanzieren. Das hat bis zur Ausgliederung
des Pflegebudgets aus den Fallpauschalen (Diagnoses related Groups) dazu geführt,
dass insbesondere an Personalkosten gespart wurde. Die fehlende Finanzierung ist
insbesondere für kommunale Kliniken und Klinikverbünde fatal. Es übersteigt die
finanzielle Möglichkeit kleinerer Kommunen, die roten Zahlen zu kompensieren und
viele haben über kurz oder lang nur die Wahl: privatisieren oder schließen. Im Jahr
1991 gab es noch rund 2.400 Kliniken, im Jahr 2022 zählt das Statistische Bundesamt
aktuell noch 1.903 Kliniken. Die privaten Träger konnten dabei ihren Anteil von 21,7
Prozent im Jahr 2000 auf rund 38 Prozent der Häuser im Jahr 2020 ausbauen. All diese
Umstände zeigen auf, dass das derzeitige Finanzierungskonzept vielerlei negative
Konsequenzen für Patient*innenversorgung und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten
mit sich bringt.
Gesundheitsplanung statt Krankenhausplanung
Gesundheitspolitik und ihre Umsetzung sollten darauf ausgelegt sein, Menschen gesund
zu halten, anstatt Krankheiten zu verwalten. Für uns steht fest, wir brauchen eine
Umstrukturierung des Gesundheitssystems! Wir müssen dazu übergehen, dass
intersektoral zusammengearbeitet wird, um Menschen gesund zu halten und die Anreize
minimieren, mit Krankheiten oder Überversorgung Geld zu verdienen.
Aktuell werden Krankenhäuser vor allem daran gemessen, wie die Bettenbelegungsquote
aussieht. Diese soll Aussagen über die Bedarfsgerechtigkeit des Krankenhauses
treffen. Anhand dieser Quote leiten sich viele Entscheidungen in Politik und Justiz
ab. Es braucht eine stärkere Fokussierung und Relevanz verschiedenster Indikatoren,
die tatsächlich Aussagen über die Qualität eines Krankenhauses treffen und die
Bedürfnisse der Patient*innen und Arbeitnehmer*innen im Blick haben. Wir müssen neu
definieren, wie wir Qualität messen wollen und wie diese sichergestellt werden soll.
Unserer Meinung nach muss unter anderem das Outcome für die Patient*innen im
Mittelpunkt des Interesses stehen, insbesondere die einschränkungsfreie bzw.
einschränkungsarme Zukunft sollte anstelle der reinen Überlebenszeit nach der
Therapie Berücksichtigung finden. Außerdem muss neben der individuellen
Behandlungszufriedenheit der Patient*innen auch verstärkt die
Mitarbeiter*innenzufriedenheit eine Rolle spielen.
In Deutschland stehen wir mittlerweile außerdem vor der Problematik, dass Kliniken
auch dann geschlossen werden, wenn sie im Landeskrankenhausplan gelistet sind und
einen wichtigen Beitrag zur wohnortnahen Versorgungsinfrastruktur leisten. Diese
Tatsache ist untragbar. Gemessen an der Bevölkerungsgröße hat Deutschland im
europäischen Vergleich zwar die meisten stationären Krankenhausbetten, jedoch sind
regionale Unterschiede und vor allem das Gefälle der Patient*innenversorgung zwischen
Ballungszentren und ländlichen Räumen enorm. Wir wollen uns der Konsolidierung der
vorhandenen Infrastruktur nicht verschließen. Diese soll aber nicht nach
ökonomischen, sondern nach Qualitätskriterien stattfinden, wie beispielsweise gute
Arbeitsbedingungen und die Gewährleistung einer wohnortnahen Erstversorgung. Das kann
aber nur dann gelingen, wenn sektorenübergreifend geplant wird: Krankenhäuser,
niedergelassene Allgemein- und Fachmediziner*innen, Physio-, Psycho-,
Ergotherapeut*innen, Logopäd*innen, Hebammen, Geburtshäuser, ambulante und stationäre
pflegerische Infrastrukur - sie alle sind Gewährleister*innen einer wohnortnahen
Versorgungsinfrastruktur. Deshalb wollen wir die Landeskrankenhausplanung durch eine
sektorenübergreifende Gesundheitsplanung ersetzen. Das bedeutet auch, dass die
Kompetenz zur Bedarfsplanung der Kassen(zahn)ärztlichen Kassensitze von der
Kassen(zahn-)ärztlichenvereinigung weg und hin zu einem neu zu schaffenden
demokratischen Gremium verlagert werden muss.
Die bedarfsgerechte Finanzierung ist keinesfalls ein Widerspruch zur
Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit der Krankenhäuser muss sich anhand einer
optimalen Versorgungsqualität und guten Arbeitsbedingungen von Beschäftigten messen
lassen. Durch eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung können vermeidbare
Folgeerkrankungen, - behandlungen und somit auch - kosten verhindert werden. Ebenso
verringern adäquate Arbeitsbedingungen das Risiko für Berufskrankheiten sowie
psychische Belastung und beugen daraus resultierende Personalausfälle vor. Eine
bedarfsgerechte Finanzierung ist somit auch eine wirtschaftlich effiziente
Finanzierung.
Ein System der Gewinnerwirtschaftung und marktförmigen Organisation im
Gesundheitswesen lehnen wir entschieden ab. Stattdessen brauchen wir ein System, das
eine bedarfsgerechte Finanzierung sicherstellt und die Patient*innen im Blick hat.
Deshalb fordern wir:

  • Rekommunalisierung aller Privaten Krankenhäuser
  • Interdisziplinäre Gesundheitsplanung (& - wesen)
  • Gesundheitsplanung statt Krankenhausplanung
  • Gemeinsames Wirken von Kommunen, Ländern und Bund in der Landesgesundheitsplanung
  • Flächendeckende Grundversorgung des Gesundheitswesens sicherstellen
  • Flächendeckende Grundversorgung mit Krankenhäusern + Maximalversorger
  • Sozialgerechte Planung der Primärversorgung und der Krankenhäuser
  • Festhalten an der zunehmenden Spezialisierung von Fachbereichen und der Bildung
    von Zentren zur Erhöhung der Versorgungsqualität
  • Evaluation der Bedarfsplanung auch anhand sozialer Kriterien + sinnvolle,
    weitreichende Erforschung der Bedarfe
  • Ausbau der psychiatrische/psychotherapeutische Versorgung
  • Intersektorale Zusammenarbeit mit dem Ziel, funktionsgerecht zu verzahnen
  • Orientierung für Patient*innen schaffen - hausärztlich zentrierte Versorgung &
    community-health nurses
  • Demokratisierung der Kassenplatzvergabe (mehr Plätze, weniger Geld)
  • Qualitätssteigerung für Arbeitnehmer*innen und Patient*innen
  • Soziale Gerechtigkeit in Ausbildung und Studium stärken
  • Morbiditäts- und Qualitätsorientierte Planung

    Betriebskosten – DRG Fallpauschalen abschaffen und dann?
    Die Betriebskostenfinanzierung erfolgt durch die Fallpauschalen oder auch DRGs
    (diagnosis related groups). Demnach werden bestimmte Diagnosen mit jeweiliger
    Therapie in Gruppen zusammengefasst und pauschal vergütet. Wenn die Kosten für einen
    Fall höher ausfallen, bleibt das Krankenhaus auf den Kosten sitzen, schafft das
    Krankenhaus die Versorgung mit weniger Kosten, erwirtschaftet es Gewinne.
    Anreize finden zum Beispiel in Form von pauschalen sogenannten „oberen Verweildauern“
    statt, nach denen das Krankenhaus durch die Verlängerung des stationären Aufenthaltes
    Verluste erwirtschaftet. Diese Zeitpunkte werden im Alltag im Krankenhaus als
    Verweilgrenze kommuniziert. Auch die pauschalen Vergütungen unabhängig von der
    tatsächlich benötigten Versorgung setzen Anreize, zum Beispiel zum Durchführen
    besonders lukrativer Eingriffe. Das DRG - System ist stark auf die Vergütung
    operativer Leistungen ausgerichtet. Beispielsweise ist der Einsatz einer Hüft- oder
    Knieprothese im Vergleich zu konservativen Behandlungsformen viel gewinnbringender.
    Das Problem geht aber über die pauschale Vergütung von Erkrankungen und Behandlungen
    noch einmal weit hinaus. Bei den DRG Fallpauschalen handelt es sich um
    Verhältniszahlen der Anteile oder ein Vielfaches eines Basisfallwertes, welcher zuvor
    zwischen Krankenkassen und Krankenhausgesellschaften ausgehandelt wird. An die
    tatsächlich entstehenden Kosten sind diese Basisfallwerte grundsätzlich nicht
    gebunden und auch die DRG Fallpauschalen werden durch defacto nicht repräsentative
    Methoden ermittelt.
    Durch die Fallpauschalen kommt es beispielsweise zu Personaleinsparung, zur
    Verkürzung der Liegedauer, zur Einsparung von Medikamentenkosten, zur Verlängerung
    von Beatmungsdauern oder zur vorzeitigen Entbindung von Frühchen. Diese Fehlanreize
    müssen sich durch eine bedarfsgerechte Finanzierung erübrigen.
    Bedarfsgerecht bedeutet für uns, die tatsächlich entstandenen Kosten müssen
    refinanziert werden. Unabhängig vom Modus der unterjährigen Auszahlung an die
    Krankenhäuser muss klar sein, dass am Ende das Krankenhaus nicht auf entstandenen
    Kosten oder notwendigen Vorhaltekosten sitzen bleibt. Des Weiteren dürfen
    Einsparungen an Personal oder Verlängerungen von Beatmungsdauern nicht zu
    finanziellen Belohnungen führen. Dies kann erreicht werden, indem die Ausgaben der
    Krankenhäuser vollumfänglich mit den Krankenkassen abgerechnet werden. In einem
    solchen System können Krankenhäuser keinen Gewinn und auch keinen Verlust
    erwirtschaften. Denn unabhängig davon, wie die Abrechnung mit den Krankenkassen
    monatlich stattfindet, werden am Ende des Geschäftsjahres die tatsächlichen Kosten
    abgerechnet. Dabei darf kein Platz für Beliebigkeit oder verschwenderischen Umgang
    mit den Geldern der Krankenkassen und damit mit den Versicherungsbeiträgen aller
    Versicherten bleiben. Natürlich kann nicht beliebig viel Material erworben oder das
    teuerste der Medikamente eingekauft werden. Dabei geht es um einen
    verantwortungsbewussten Umgang, der ausdrücklich nicht zu Lasten der
    Versorgungsqualität gehen darf. Jedoch gibt es im Gesundheitssystem genau wie in
    allen anderen kapitalistisch funktionierenden Systemen immer einen gewissen Markt.
    Beispielsweise werden Medikamente mit dem selben Wirkstoff und der identischen
    Wirkweise von unterschiedlichen Herstellern angeboten und an diesen Stellen gibt es
    preisliche Unterschiede. Bereits vor der Einführung der DRG Fallpauschalen war
    gesetzlich geregelt, dass die Krankenhäuser wirtschaftlich handeln und angemessen mit
    den Geldern der Versicherten umgehen mussten. Daraufhin müssen sich die Krankenhäuser
    regelmäßig überprüfen lassen.

    Deshalb fordern wir:

  • Einführung einer gemeinwohlorientierten Finanzierung anstelle der marktförmigen
    Organisation der Betriebskostenfinanzierung durch die DRG
  • Finanzierung von Krankenhäusern nach dem Selbstkostendeckungsprinzip, mit
    jährlichen Budgetverhandlungen unter Einbeziehung der Beschäftigten
  • Abrechnung der tatsächlichen Kosten
  • Gewinnerzielungsverbot - Krankenhäuser dürfen keine Gewinne erzielen
  • Einführung einer Bürger*innenversicherung für die gerechte Finanzierung unseres
    Gesundheitssystems
  • Krankenkassen nicht länger als Aktiengesellschaften organisieren
  • Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze
  • Verbeitragung aller Einkünfte statt ausschließliche Verbeitragung von Einkommen
  • Klar progressive Beitragshöhen mit im Vergleich zu heute niedrigeren Beiträgen
    für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen
  • Abschaffung von Selektivverträgen
  • Pädagogische Gespräche zwischen Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen und Eltern
    müssen ebenfalls als abrechenbare Leistungen gezählt werden.

    Aus aktuellem Anlass:
    Eine grundlegende Reform der Finanzierung im Gesundheitswesen ist längst überfällig.
    Trotzdem hat es dieses Ziel nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Dort beschränkt
    sich die Regierungskoalition aktuell ausschließlich auf das Ziel, eine Reform der
    Finanzierung der Pädiatrie (Kinderheilkunde) und der Geburtshilfe als Teilbereich der
    Gynäkologie vorzunehmen und die fehlende Vergütung der Vorhaltekosten in der
    Notfallversorgung in den Blick zu nehmen. Die ersten Pläne, die zu diesem Thema
    aktuell bekannt geworden sind, alarmieren uns. Statt die Chance zu ergreifen, diese
    Bereiche zu Vorreitern einer grundlegenden Reform in Richtung einer bedarfsgerechten
    Finanzierung durch das Selbstkostendeckungsprinzip zu machen, ist der Grundgedanke
    der aktuellen Überlegungen weiterhin mit Hilfe von finanziellen Anreizen bestimmte
    Qualitätskriterien zu erreichen oder die Zahl der Kliniken zu regulieren. In der
    Stellungnahme des wissenschaftlichen Gremiums ist von „Anreizen für eine hohe
    Versorgungsqualität und Angemessenheit, bezogen auf die regionalen Bedarfe und die
    regionale Bevölkerung” die Rede, die Qualität wird also als Vergütungskriterium
    eingeführt. Mit dem Ziel zur Schließung von kleinen Abteilungen, die vermeintlich
    nicht dem Bedarf entsprechen, statt eine Landeskrankenhausplanung zu etablieren, die
    diese Regulierungsaufgabe der Bedarfsfeststellung übernimmt, wird dies dem Markt
    überlassen. Weiter formuliert die Regierungskommission, dass eine Zentrumsbildung und
    die Aufgabe kleiner Geburtshilfen mit wenigen Geburten zu forcieren seien.
    Kurzfristig sollen pädiatrische Abteilungen jenseits der Budgetverhandlungen und der
    DRG Pauschalen ein zusätzliches Vergütungsvolumen, das nicht leistungsabhängig
    vergeben wird, erhalten. So sollen sie vom betriebswirtschaftlichen Druck befreit
    werden. Für geburtshilfliche Abteilungen, die nur eine geringe Zahl an Geburten
    haben, aber bei ihrem Wegfall eine Versorgungslücke hinterlassen würden, sollen
    kurzfristig ebenfalls nicht leistungsabhängige zusätzliche Finanzmittel ergänzt
    werden.
    Weil wir die Chance für einen ersten Schritt in Richtung Selbstkostendeckung im
    Gesundheitssystem nicht verstreichen lassen dürfen fordern wir:

  • Kurzfristige zusätzliche Vergütungsvolumen zur Verhinderung von Schließungen
    weiterer pädiatrischer und geburtlicher Abteilungen
  • Flächendeckende Auszahlung der DRG unabhängigen Zuschläge
  • Mittelfristige Anpassung der Finanzierung an tatsächlich entstandene Kosten ohne
    Anreizsetzung nach dem Prinzip der Selbstkostendeckung
  • Das Ziel, eine qualitativ hochwertige Versorgung zu organisieren, teilen wir. In
    Häusern, die eine gewisse Zahl an Fällen unterschreiten, kann dies
    möglicherweise nicht gegeben sein und eine Zentrumsbildung oder Zusammenlegung
    von Kliniken möglicherweise erforderlich werden. Eine solche Entscheidung muss
    durch die politischen Verantwortungsträger*innen im Rahmen der Krankenhaus- oder
    Gesundheitsplanung getroffen werden, statt durch marktförmige Organisation der
    Gesundheitsinfrastruktur Abteilungen bis in den betriebswirtschaftlichen Ruin zu
    führen, um so eine Schließung zu erreichen. Außerdem muss die Schließung kleiner
    Abteilungen oder Kliniken immer eine Einzelfallentscheidung sein, in der immer
    auch die regionale Versorgung eine Rolle spielt. Die schnelle Erreichbarkeit von
    medizinischer Behandlung ist ein Standortfaktor, der bei seinem Wegfall
    strukturschwache Regionen weiter entwertet.
  • Zentrumsbildung oder Zusammenlegung von Kliniken zur Sicherung qualitativ
    hochwertiger Versorgung, wenn notwendig
  • Entscheidungen über derartige Zentralisierungsprozesse sind durch politische
    Verantwortungsträger*innen im Rahmen der Krankenhaus- oder Gesundheitsplanung zu
    treffen
    Investitionskosten
    Wie bereits thematisiert steht die Krankenhausfinanzierung auf zwei Säulen, also
    unterliegt einer sogennaten dualen Finanzierung. Die Bundesländer kommen jedoch den
    Verpflichtungen zur Finanzierung betriebsnotwendiger Investitionskosten schon
    jahrzehntelang nicht im erforderlichen Umfang nach. Der reale Wertverlust der
    Investitionsfinanzierung beträgt von 1991 bis 2020 bundesweit 45 %, die Kosten
    stiegen aber auf mehr als das Zweieinhalbfache (lt. DKG). In den letzten Jahren hat
    sich dadurch ein Investitionsstau von ca. 30 Milliarden aufgebaut, der jährlich um
    ca. 4-6 Milliarden ansteigt.
    Aus diesem Grund ist es praktisch oft notwendig, nicht geleistete
    Investitionsförderungen durch die DRGs querzufinanzieren. Die DRGs sind ohnehin kaum
    kostendeckend. Über 60 % der Krankenhauskosten sind Personalkosten. Es ist also klar,
    wo gespart werden muss: massive Engpässe durch Stellenabbau in der Pflege,
    Outsourcing, sogar Krankenhausschließungen gehören dazu. Eine Alternative wäre dann
    noch, Krankenhäuser an private Konzerne zu verkaufen, die mehr Möglichkeiten haben,
    Verluste zu umgehen. Dieser Umstand darf nicht akzeptiert werden.
    Gute Gesundheitsplanung und Investitionsfinanzierung sind unerlässlich. Unser Ziel
    ist eine wirklich kostendeckende Krankenhausfinanzierung entsprechend des Grundsatzes
    der dualen Finanzierung. Experimente wie eine monistische Finanzierung lehnen wir ab.
    Die Investitionskostenförderung muss bedarfsgerecht erfolgen. Grundsätzlich sollten
    Investitionen, deren Erforderlichkeit den zuständigen Landesbehörden nachvollziehbar
    dargelegt wird, in vollem Umfang übernommen werden. Bisher wird oft - wenn überhaupt
    • eine zu geringe Teilförderung unter Einberechnung eines Eigenanteils bewilligt. Es
      bedarf einer Investitionskostenfinanzierung, die den jahrzehntelangen
      Investitionsstau, sowie den aufkommenden Kosten durch Klimaanpassungen, der
      Erreichung von Klimaneutralität, sowie Digitalisierung und Energiekostensteigerungen
      gerecht wird.
      Unterfinanzierung ist ein Mittel zur Marktbereinigung, aber auch Fonds und
      Förderzahlungen, welche die hinkende Investitionsförderung kompensieren sollen,
      verfolgen dasselbe Ziel. Ein Beispiel ist der sogenannte Krankenhaus-Strukturfonds,
      der zum „Abbau von Überkapazitäten” und zur „Konzentration von stationären
      Versorgungsangeboten und Standorten” (§ 12 KHG) ins Leben gerufen wurde. Der Bund
      zahlt über den Gesundheitsfonds 500 Mio. Euro pro Jahr an den Strukturfonds unter der
      Maßgabe, dass die Länder die gleiche Summe aufbringen. Was noch hinzukommt, ist ein
      Vetorecht der gesetzlichen Krankenkassen bei der Bewilligung der Investitionsmittel.
      Eine weitere „Alternative” wäre die Investitionsförderung nach leistungsorientierten
      Investitionspauschalen. Der Unterschied zur monistischen Finanzierung ist, dass diese
      sogenannten „Invest-DRGs” bereits auf Bundesebene ab dem Jahr 2012 beschlossen wurden
      und nur durch ein Kontra des Bundesrats in eine mögliche Investitionsform mit
      Wahlfreiheit für die Bundesländer umgemünzt werden konnten. Die Einbeziehung der
      Investitionskosten in die DRGs spiegelt ähnlich - wie den DRGs innewohnend - nicht
      den wirklichen Bedarf wider und verschärft sowohl Investitionsprobleme als auch
      Konkurrenzdenken. Wir fordern daher deren Abschaffung.
      Die Investitionskostenfinanzierung könnte darüber hinaus als Anknüpfungspunkt zur
      Steuerung und zur sozialen Transformation des Gesundheitswesens dienen. Wenn
      insbesondere Krankenhauskonzerne Gewinne erwirtschaften, muss dieser vollständig
      refinanziert werden. Dies ist lückenlos nachzuweisen. Bei anderweitiger Verwendung
      sollen Mittel der Investitionsförderung entsprechend verweigert werden. Langfristig
      streben wir einen vollständige Rekommunalisierung von Kliniken an. Die Länder müssen
      ihrer Verantwortung nachkommen und die notwendigen Investitionskosten finanzieren. Um
      dem aktuellen Investitionsbedarf gerecht zu werden, ist eine feste Investitionsquote
      für die Länder notwendig.
      Daher fordern wir:
  • Investitionsquote für die Länder
  • vollständige Übernahme der Investitionskosten durch die Länder, keine
    Querfinanzierung von Investitionen durch die Betriebskostenfinanzierung und
    damit die Krankenkassenbeiträge
  • nachträgliche zweckgebundenen Investitionserstattung ermöglichen
  • Abkehr vom Krankenhausstrukturfonds
  • Gewinnerzielungsverbot - ein Krankenhaus darf keine Gewinne erzielen

Beschäftigte
Unsere aktuelle Krankenhauspolitik und die damit verbundene Finanzierung beutet
Fachkräfte im Gesundheitsbericht systematisch aus, um Profite zu generieren.
Besonders prekär betroffen sind Pflegekräfte, die Tag für Tag heillos unterbesetzt
Höchstleistungen erbringen müssen. Es bedarf tiefgreifender Maßnahmen, um die Arbeit
im Krankenhaus endlich menschenwürdig zu gestalten!
Die Abkopplung der Pflegepersonalkosten vom Fallkostenpauschalensystem war ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Durch die Abkopplung vom Fallkostenpauschalensystem
ist zwar dieser Anreiz akut beseitigt, allerdings bedarf es immer noch einer wirklich
bedarfsgerechten Personalbemessung, durch welche die Arbeitsbedingungen von
Pfleger*innen nachhaltig verbessert werden.
Natürlich muss ein bedarfsgerechter Personalschlüssel auch in der Praxis umgesetzt
werden; es braucht genug Fachkräfte. Oft wird behauptet, dass der Pflegenotstand
zustande komme, weil zu wenige Pfleger*innen existierten; dieses Narrativ ist jedoch
zu kurz gegriffen. Das Problem ist nicht ausschließlich, dass es zu wenig Personal
gibt, sondern auch, dass zu Wenige langfristig im Beruf bleiben. Immer mehr
Pflegekräfte verlassen trotz einer starken Verbundenheit zum Beruf die Branche, weil
sie unter den gegenwärtigen Bedingungen die an sie gestellten Anforderungen nicht
mehr tragen können oder wollen. Um den aktuellen Pflegenotstand zu beenden, bedarf es
neben einer Fachkräfteinitiative auch Entlastungsmaßnahmen, damit Pflegende
langfristig ihren Beruf ausüben können.
Beim Thema Entlastungsmaßnahmen spielen Tarifverträge und Partizipationsmöglichkeiten
der Beschäftigten eine entscheidende Rolle. Wenn es nach den Beschäftigten gehen
würde, würde es schon längst eine 25h Woche und neue Arbeitszeitmodelle geben. Die
Arbeitskämpfe 2022 der Beschäftigten der Universitätskliniken in NRW, aber auch die
vergangenen Kämpfe in Berlin der Charité und Vivantes, zeigen, dass die Beschäftigten
nicht länger die aktuellen Bedingungen für Personal und Patient*innen in
Krankenhäusern akzeptieren wollen.
Die Streikenden des „Notruf NRW” forderten dabei nicht nur einen
Entlastungstarifvertrag für Pflegende, sondern für nahezu alle Berufsgruppen und
Arbeitsbereiche der Kliniken. Denn viel zu oft werden in Debatten um Beschäftigte im
Gesundheitswesen bestimmte Beschäftigtengruppen vergessen. Nicht nur Pflegepersonal,
sondern auch das Reinigungs- oder Servicepersonal ist überlastet und wird trotz ihrer
elementaren Rolle für das Funktionieren eines Krankenhauses wenig gesellschaftlich
wertgeschätzt.
Deutschland läuft sehenden Auges auch in einen Ärzt*innenmangel. Neben der
bevorstehenden Berentungswelle der Babyboomer und dem erhöhten Krankheitsaufkommen
durch das steigende Alter der selben Generation sind auch immer mehr junge Ärzt*innen
nicht mehr bereit, das kranke System Krankenhaus durch unbezahlte Überstunden und
Arbeit bis zur eigenen Erkrankung zu stützen. Daher solidarisieren wir uns mit allen
Berufsgruppen im Krankenhaus und fordern gemeinsam mit ihnen flächendeckende
Entlastungen im Sinne der bisher beschlossenen Entlastungstarifverträge. Außerdem
muss das Medizinstudium in Deutschland massiv ausgebaut und modernisiert werden. Wir
brauchen mehr Studienplätze an mehr Universitäten in ganz Deutschland. Die hier
entstehenden Mehrkosten dürfen weder durch sinkende Qualität der Lehre, noch durch
unbezahlte Mehrarbeit für Ärzt*innen an Unikliniken finanziert werden.
Obwohl die Beschäftigten, allen voran das Pflegepersonal und auch das Reinigungs- und
Servicepersonal, unser Gesundheitssystem tragen, sind ihre Perspektive, ihre
Überbelastung und ihre Bedürfnisse nicht maßgeblich im öffentlichen Diskurs präsent.
Während zu Beginn der Corona-Pandemie das Thema Pflege omnipräsent war und viele ihre
Dankbarkeit durch Klatschen am Fenster zeigten, schafften es die Arbeitskämpfe selten
bis gar nicht, eine große Mediale Aufmerksamkeit zu erreichen. Und das, obwohl gerade
diese Arbeitskämpfe die Aufmerksamkeit verdient hätten, denn „Klatschen reicht
nicht!”

Wir fordern also

  • Evidenzbasierte bedarfsgerechte Personalbemessung für Pflegekräfte
  • sofortige Umsetzung des PPR 2.0 zur Personalbedarfsermittlung
  • Personalbemessung/bedarfsermittlung für alle Berufsgruppen
  • eine Fachkräfteinitiative und Entlastungsmaßnahmen beispielsweise durch
    Entlastungstarifverträge für verschiedenste Berufsgruppen im Krankenhauskontext
  • mehr Berichterstattung über den Pflegenotstand und die Krankenhausbewegungen
  • TVöD und TVE für alle Berufsgruppen
  • Beendigung des Outsourcings von bestimmten Aufgaben
  • Trennung von Personal- und Sachkosten
  • Förderung von Ausbildungszentren und Ausbildungsvergütung in der Pflege & in
    Therapieberufen durch den Bund
  • Investition in Teilakademisierung der Pflegeberufe
  • Einen massiven Ausbau der Anzahl von Medizinstudienplätzen
  • eine Möglichkeit auf einen vorgezogen, abschlagsfreien Renteneintritt für
    Pflegekräfte, die länger als 20 Jahre in einem Wechselschichtmodell gearbeitet
    haben.

    Überwindung des Kapitalismus- auch im Gesundheitssystem!
    Das deutsche Gesundheitssystem mit seiner dualen Finanzierung unterliegt
    kapitalistischen Zwängen. Aufgrund marktwirtschaftlicher Fehlanreize kommt es zum
    Qualitätsverlust bei der Patient*innenversorgung und Beschäftigte arbeiten zumeist
    unter prekären Umständen. Die Sicherstellung einer optimalen Gesundheitsversorgung
    und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in allen Bereichen
    des Gesundheitswesens muss oberstes Ziel sein. Dafür muss das Finanzierungssystem von
    Krankenhäusern endlich weg von einem schlechten Anreizsystem hin zu einer
    Orientierung an der bestmöglichen Gesundheitsversorgung für alle.
    Gesundheit ist ein Menschenrecht! Die kapitalistischen Zwänge stehen der
    bestmöglichen Erfüllung dieses Rechts im Weg, dabei haben diese im Gesundheitsbereich
    nicht zu suchen. Gesundheit vor Profite!