Die Flutkatastrophe im Ahrtal, versiegendes Grundwasser und immer heißere Sommer – es
ist ganz klar: regional sind die direkten Folgen des Klimawandels hier in Deutschland
längst angekommen. Zum Abwenden der Langzeitwirkungen der Umweltbelastungen laufen
unter dem Schlagwort Biodiversität, also dem Erhalt der Artenvielfalt,
deutschlandweit zwar viele Maßnahmen. Doch sie sind in ihrem jetzigen Umfang nicht
ausreichend. Auch werden die selbstgesetzten Vorgaben nicht zuverlässig erreicht. Und
so ist auch das 2%-Wildnis-Ziel aus der Nationalen Strategie zur biologischen
Vielfalt (NBS) 2020 krachend verfehlt worden.
Ist das wild (?)
Wildnis wurde in der NBS folgendermaßen definiert: „Wildnisgebiete i. S. der NBS sind
ausreichend große, (weitgehend) unzerschnittene, nutzungsfreie Gebiete, die dazu
dienen, einen vom Menschen unbeeinflussten Ablauf natürlicher Prozesse dauerhaft zu
gewährleisten.“ Die Mindestgröße eines unzerschnittenen Gebietes ist dabei 1.000
Hektar. Erst dann gilt es als „Wildnis“. Im Jahr 2020 kam die Bundesrepublik
Deutschland somit gerade einmal auf 0,6 Prozent Wildnis, d.h. Fläche, auf der sich
Wildnis entwickeln kann. Denn sogenannte primäre Wildnis gibt es in Deutschland kaum
bis gar nicht. Auch sind Wildnisgebiete nicht einfach mit Naturschutzgebieten oder
anderen Schutzkategorien gleichzusetzen. Es gibt für Wildnisräume, in denen die Natur
sich selbst überlassen wird, keine klassifizierte Schutzkategorie.
Die Flächenverteilung in Deutschland beläuft sich auf etwa 51 % landwirtschaftliche
Nutzung, 30 % Wälder und 14,5 % Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die übrige Fläche
bedecken Seen, Flüsse und Gewässer sowie genauso wie Kies- und Braunkohlegruben,
Abraumhalden und ehemalige Militärgelände.
Wildnis ist Biodiversität ihrer pursten Form
Bereits der Antrag U4 des Juso-Bundeskongresses 2021 setzt sich intensiv mit
klimaneutraler Landwirtschaft und Biodiversität auseinander. Daran anschließend soll
mit diesem Antrag zum Thema Biodiversität die Forderung nach Wildnisgebieten in
Deutschland entwickelt werden.
Denn mit dem Sterben der Arten (ein Drittel der Arten in Deutschland steht auf der
Roten Liste) wird die Balance des Ökosystems ins Mark getroffen. Nach zwei
Jahrhunderten der industriellen Ausbeutung von Menschen und Natur, benötigt die Natur
ein Minimum an Rückzugsraum, um sich endlich zu erholen. Von einem großen Paket
Biodiversitätsmaßnahmen ist Wildnis ein vergleichbar kleiner Teil, doch gleichzeitig
ein unglaublich wichtiger und nicht verzichtbarer Teil, den wir als Jusos fordern.
Wildnis ist Biodiversität in ihrer pursten Form. Wenn ein Gebiet zu Wildnis erklärt
wird, muss zuerst eine Analyse dieses Gebiets erfolgen. Menschliche Einflüsse, wie
das Ansiedeln von Neophyten oder enorm nährstoffbeanspruchenden Pflanzen, müssen
entfernt werden, bevor das Gebiet sich selbst überlassen wird, um die Entwicklung
einer ursprünglichen, biodiversen Fläche zu fördern.
Wegen des Artensterbens schwindet Jahr für Jahr die Lebensgrundlage auf unserem
Planeten. Für die Bundesrepublik Deutschland ist es wichtig, Wildnisgebieten
ausreichend Platz einzuräumen. Erstens um regional ganz praktisch und konkret für
klimatische Verbesserung zu sorgen. Und zweitens, weil nur so die notwendige
Reputation für die aktuell stagnierenden internationalen Verhandlungen aufgebaut
werden kann, ohne die die weltweit zum Klima- und Umweltschutz entscheidenden
Vorstöße, etwa zum Erhalt von Regenwäldern und anderen Naturschutzgebieten, nicht
gelingen können.
Wir fordern deshalb:
Die Erhöhung des Anteils an Wildnisgebieten in Deutschland von 0,6 % auf
mindestens 3 % bis 2030 und auf mindestens 5% bis 2050\.
Eine Strategie für die Flächen, die sich zu Wildnis (zurück-)entwickeln soll, um
menschliche Einflüsse rückgängig zu machen.
Die Fortentwicklung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt auf
Bundesebene sowie eine einschlägige Definition von Wildnisgebieten als
zusammenhängende Gebiete von mehr als 1.000 Hektar.
Klassifizierung von Wildnis gebieten als eigene Schutzkategorie mit dem Zweck,
die Natur ohne menschliche Einflüsse sich selbst zu überlassen.
Solche Gebiete
können auch in anderen Schutzzonen identifiziert und weiterentwickelt werden.
Außerdem muss klargestellt werden, dass solche Gebiete nicht nur dem Schutz
wildlebender Tier-, Pilz- und Pflanzenarten, sondern auch dem Schutz natürlicher
Prozesse dienen.
Für Wildnisgebiete sind rechtliche Verpflichtungen zur Bewirtschaftung sowie zur
Jagd und Fischerei aufzuheben,Außer diese sind Krankheiten, die eine massive
Gefährdung für Pflanzen Tier und Pilzarten außerhalb des Wildniss Gebietes sind.
Geltende Gesetze und Verordnungen über gebietsfremde Arten müssen so angewendet
werden, dass eine aktive Eingriffsverpflichtung auf die Randzonen eines
Wildnisgebiets beschränkt bleibt
Die belastbare Feststellung der bundesweit bestehenden Wildnisgebiete nach den
zuvor auf Bundesebene bestimmten Kriterien durch die Länder. Dabei sollen
vorrangig Monokulturen in der Landwirtschaft als potentielle Flächen für die
Ausweitung der Wildnis in Betracht gezogen werden, um einen weiteren Beitrag zur
Biodiversität zu leisten. Zukünftig soll ein bundesweit einheitliches Monitoring
zu Wildnisgebieten aufgebaut werden.
Die Erhöhung der jeweiligen Anteile an Wildnisgebieten in jedem Bundesland auf
mindestens 3 % bis 2030 und auf mindestens 5% bis 2050\. Für die Stadtstaaten
müssen diesbezüglich Ausgleichsmechanismen geschaffen werden.
Die Feststellung von Räumen unter 1.000 Hektar, die Wildnis aufweisen, und die
Bewertung zur Entwicklung dieser Räume zu einschlägigen Wildnisgebieten durch
die Länder in Zusammenarbeit mit der kommunalen Kreisebene.
Einen dauerhaften Verzicht auf die Privatisierung von Potentialflächen für
Wildnisgebiete und die Identifizierung von für Wildnisentwicklung geeigneten
Flächen in bestehenden Schutzräumen und im öffentlichen Raum. Diese
Potenzialräume dürfen von Neuplanungen von Infrastrukturmaßnahmen nicht
beeinträchtigt werden.
Private Flächen, die sich für Wildnisgebiete eignen sollen perspektivisch in
staatliche Hand übergehen, um diese zu verbinden und erweitern zu können.
Dadurch könnten wichtige Hürden genommen werden, um beispielsweise auf die
Mindestgröße von 1.000 Hektar, die in der NBS definiert ist, zu kommen.
Die schon zu 2020 geplanten 5 % der bundesdeutschen Waldfläche (etwa 1,5 % der
Gesamtfläche Deutschlands) als Wildnisgebiet zu 100 Jahren als
Wildnisschutzgebiet zu erklären, damit die entsprechenden Positiveffekte
überhaupt beginnen können, einzutreten.
Für den Anteil der bundeseigenen Wälder die Erhöhung der Festschreibung zur
natürlichen Entwicklung von 20 % auf mindestens 50%.
Die Aufhebung rechtlicher Verpflichtungen zur Bewirtschaftung und Jagd bzw.
Fischerei von Wildnisgebieten
Die Einrichtung und Einplanung von Querungshilfen, Korridoren und
Trittsteinbiotopen zur Verbindung von Wildnisgebieten auch bei Biotopverbund-
und Infrastrukturplanungen
Einen konsequenteren Schutz von bestehenden Schutzgebieten durch Verzicht auf
Nutzung wie Forst- und Landwirtschaft
Die Erhöhung des Anteils an Wildnisgebiete und der Ausbau der Windenergie sollen
einander nicht im Weg stehen
Anzustreben sind außerdem Nullnutzungszonen in bereits geschützten Gebieten
anderer Klassifizierung (z.B. Naturschutzgebiete) um auch diese besonders
sensiblen Zonen zu schützen. Dazu sollen beispielsweise der Einsatz von
Pestiziden, sowie der Abbau von Bodenschätzen, unterbunden werden.
Wir setzen uns explizit für die Renaturierung von beispielsweise Mooren und
Auwäldern ein. Für Wildnisgebiete sollte der Fokus von Wäldern auch auf andere
Gebiete gesetzt werden, denn Wildnis sind nicht nur der Hirsch und das
Wildschwein, sondern auch der Wattwurm und der Sonnentau.
Ähnlich zu den Nationalparkhäuser zum Wattenmeer sollen auch für Wildnisgebiete
Einrichtungen geschaffen werden, die über das Wildnisgebiet informieren und
schulen. Dabei soll es nach Möglichkeit auch Plätze für FÖJler*innen und
Naturpädagog*innen geben. Diese können an z.B. Schulen über den mit dem
Wildnisgebiet zusammenhängenden Naturschutz aufklären.