Während sich seit dem Ende des zweiten Weltkriegs immer mehr Staaten zum Kreis der Demokratien zählen, bleibt ein wesentlicher Teil unserer Gesellschaft in Grundprinzipien verhaftet, die sich zu Beginn des 19. Jahrhundert entwickelt haben. Während Wirtschaftspolitik spätestens seit dem Ende der Finanzkrise in aller Munde und Notenbankchefinnen und -chefs zu vermeintlichen Propheten der Märkte aufsteigen, werden grundsätzliche Fragen kaum gestellt. Die Spielregeln des Kapitalismus, die zu einer Zeit aufgestellt wurden, in der in weiten Teilen Europas noch Könige und Kaiser das Sagen hatten, gelten Vielen weiterhin, entgegen aller Krisenerfahrungen, als der Weisheit letzter Schluss. Als Sozialist*innen akzeptieren wir nicht die in manchen Lebensbereichen nahezu unbeschränkte Herrschaft des Kapitals und setzen uns für die Demokratisierung der gesamten Gesellschaft und damit auch der Wirtschaft ein.
A. Das organisierte Marktversagen Jedem Anspruch an Veränderung muss ein ehrlicher Blick auf die Verhältnisse, wie sie sich derzeit darstellen, vorangestellt werden. Die fehlgeleitete Ideologie der freien Marktwirtschaft Der Kapitalismus beseitigte die überkommenen Strukturen des feudalen Systems (auf Grundbesitz beruhende hierarchisch aufgebaute Herrschaftsform). Die wachsenden Produktivkräfte der Gesellschaft sprengten den Rahmen der überkommenen Strukturen der in Europa weiterhin feudalistisch geprägten Länder. Der Kapitalismus verspricht scheinbar Aufstieg für jeden. Tatsächlich beobachten wir jedoch zunehmende Ungleichheit und gleichbleibend hohe oder sogar wachsenden Anteil der Bevölkerung, die nicht am ökonomischen Aufschwung partizipieren oder sogar weiterhin in Armut leben. Während die Ideologie der freien Marktwirtschaft mit dem Versprechen der maximalen Freiheit und des maximalen Wohlstands für alle Bürger*innen, durch ein maximales Zurückdrängen des Staates zugunsten der Kapitalist*innen, lockt, realisiert sich das Wohlstandsversprechen nur für die wenigsten. Die globale Vermögensungleichheit nimmt stetig zu. Seit den 80er Jahren mit steigendem Tempo. Während eine Gruppe von wenigen Milliardär*innen so viel Vermögen akkumuliert wie die ärmsten 60%, zeigen Studien selbst für reiche Industrieländer mit einem bestehenden Sozialsystem wie Deutschland, dass die Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg nur für sehr wenige wahr werden und unsere Gesellschaft weit davon entfernt ist, das Versprechen der sozialen Mobilität einzulösen. Gerade in der Coronapandemie stehen Wohlstandsverluste vieler Arbeitnehmer*innen Rekordvermögenszuwächsen einiger weniger Milliardäre gegenüber. Während Start-Ups mit zweifelhaftem gesellschaftlichem Mehrwert Millioneninvestitionen von reichen Investor*innen erhalten, erkaufen sie sich die Gelder mit der Ausbeutung ihrer Arbeitnehmer*innen. Statt Freiheit zu gewährleisten, schafft der Kapitalismus ökonomische Zwänge und Abhängigkeiten, die Freiheit verhindern. Statt das Versprechen des Wohlstands durch eigene Arbeit einzulösen, arbeiten fast alle, nämlich alle Arbeiter*innen zumindest teilweise für das leistungslose Einkommen einiger weniger Kapitalist*innen, die in Bereichen mit geringem gewerkschaftlichen Einfluss die Bedingungen diktieren unter denen die Vielen für ihren Wohlstand arbeiten. Am gesamtgesellschaftlichen Wohlstand partizipieren nur wenige.
Die Ausbeutung der Arbeitnehmer*innen geht dabei Hand in Hand mit der Ausbeutung des Planeten. Das Zeitalter des Kapitalismus ist das Zeitalter des Klimawandels. Die Industrialisierung wird mit einem Raubbau an unserer Erde erkauft und insbesondere die ärmsten Regionen leiden unter den Emissionen, die die wohlhabenden Länder verursachen. Den grundsätzlichen Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital aufzulösen und die Entscheidung über unser Wirtschaftssystem, die gesellschaftliche Produktion und die Entwicklung unseres Planeten in die Hände der demokratischen Gesetzgeber und in die der Arbeitnehmer*innen und Arbeiter*innen zu legen, ist unser Anspruch als Sozialist*innen.
Die Innovationslüge Der Kapitalismus nimmt für sich in Anspruch Motor für gesellschaftliche Innovation zu sein. Stattdessen beobachten wir, dass im Kapitalismus Unternehmer*innen im Wettbewerb vielmals gesellschaftliche Bedürfnisse erst künstlich kreieren. Hingegen versagt die kapitalistische Marktwirtschaft zunehmend davor, die erforderlichen Transformationsprozesse, die unsere Gesellschaft bedarf, aus eigener Kraft anzustoßen. Die großen Innovationen der vergangenen Jahrzehnte sind häufig nicht etwa auf den Unternehmer*innengeist schöpferischer Kapitalist*innen zurückzuführen, sondern auf die Ausdehnung der Produktivkräfte der Bevölkerung und gezielt demokratisch gelenkte Prozesse. Maßgebliche Innovationen der vergangenen Jahre wie die Computerisierung, die Erfindung des Internets oder Fortschritte in der Medizinforschung werden zwar von kapitalistischen Unternehmer*innen genutzt, die sich den steigenden relativen Mehrwert aneignen und den Fortschritt für ihre Zwecke teilweise besser und teilweise schlechter nutzen. Sie gehen jedoch aus den steigenden Produktivkräften der Gesellschaft hervor. Häufig entfalten sich diese zuerst eben nicht in kapitalistischen Unternehmen, sondern im Bereich der gesellschaftlich finanzierten und freien Forschung. Dass dies vor allem im Rahmen der militärischen Forschung erfolgt ist, zeigt uns, dass auch eine vermeintlich starre staatliche Zielsetzung innovative Ergebnisse liefert. Ohne dabei den Militarismus zu befürworten, können wir feststellen, dass öffentliche Forschung häufig Grundlage für Innovation ist.
Zuletzt erweist sich das Kapital immer mehr als Hemmnis des gesellschaftlichen Fortschritts. Insbesondere in Europa und Deutschland zeigt sich, dass viele Unternehmen sich gegen Transformationsprozesse sperren, die in Richtung einer klimafreundlichen Produktion weisen. Grund hierfür ist, dass die kurzfristigen Gewinnerwartungen der Investor*innen dem gesellschaftlichen Bedürfnis des Umbaus der Produktionsweise entgegenstehen und werden, wenn, dann nur mit erheblichem gesellschaftlichen Druck und mit hohen staatlichen Investitionen erkämpft. Die bedeutenden Herausforderungen, insbesondere des Klimawandels, machen vielleicht am deutlichsten, dass die Produktivkräfte der Gesellschaft und das Bedürfnis einer besseren und demokratischen Lenkung der gesamtgesellschaftlichen Produktion über die bestehenden Produktionsverhältnisse hinausweisen.
Daseinsvorsorge
Am deutlichsten zeigt sich das Versagen der kapitalistischen Marktwirtschaft an der zunehmenden Ökonomisierung von Bereichen der Daseinsvorsorge. Verstärkt seit den 90ern setzt eine zunehmende Privatisierung ehemals staatlich organisierter Bereiche der Daseinsvorsorge ein. Wo dies nicht bereits erfolgt ist, werden staatliche Einrichtungen zunehmend gewinnoptimierend geführt. Auch der Bereich der Daseinsvorsorge, insbesondere der Infrastruktur, der in staatlicher Hand bleibt, gerät aufgrund von künstlichen Budgetrestriktionen, durch die Übertragung privatwirtschaftlicher Grundsätze auf die öffentlichen Haushalte, immer mehr unter Druck. Insbesondere im Bereich der Gesundheitsversorgung wird dieser an die Beschäftigten weitergegeben und durch eine zunehmend lückenhaftere Grundversorgung erkauft. Nur durch erhebliche staatliche Interventionen konnte ein zeitweiliger Kollaps des Gesundheitssystems inder Coronakrise verhindert werden. Der Versuch, den Netzausbau als Voraussetzung für eine flächendeckende Digitalisierung über Lizenzvergaben, die den Aufbau von Infrastruktur durch den Staat ersetzten sollten, zu organisieren, darf als krachend gescheitert angesehen werden. Der Aufbau flächendeckender Infrastrukturen durch Private hat sich als ungeeignet erwiesen. Und während die Deutsche Bahn in den Jahren vor Corona steigende Dividenden an das Finanzministerium zahlen musste, das sich in der Rolle des privaten Eigentümers erprobte, wurde immer mehr Strecken im ländlichen Raum eingestellt, weil sie sich wirtschaftlich vermeintlich nicht mehr lohnten. Die Privatisierung großer Bestände des Wohnungsbaus und der damit einhergehende Verlust der Steuerungsmöglichkeit der Wohnungspreise hat in den großen Städten zu prekären Situationen geführt, die die Rufe nach Enteignungen auf den Straßen lauter haben werden lassen. Es zeigt sich der große Nutzen der wenigen verbliebenen Möglichkeiten der staatlichen Einflussnahme auf einzelne Bereiche der Daseinsvorsorge. Das Zurückdrängen des Staates aus vielen Bereichen muss als große Fehlentscheidung des neoliberalen Mainstreams der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts erkannt werden.
B. Wirtschaftspolitik – Die Demokratisierung der gesellschaftlichen Produktion Growth for the better Am Anfang der Demokratisierung gesellschaftlicher Produktion steht die Frage nach dem Blick auf die produktiven Fähigkeiten einer Gesellschaft und deren Kraft, materiellen Wohlstand zu produzieren, insbesondere durch die Art und Weise ihre Arbeit zu organisieren. Produziert eine Gesellschaft in einer Zeiteinheit mehr als zuvor, sprechen wir von Wachstum. Im vergangenen Jahrzehnt lässt sich eine Vereinnahmung dieser Konzepte und Begrifflichkeiten von konservativer und neoliberaler Seite erkennen. Die Gegenbewegung stellt eine zunehmende kritische Auseinandersetzung mit volkswirtschaftlichem Wachstum im herkömmlichen Sinne von linker beziehungsweise progressiver Seite dar. Die Postwachstumsbewegung und postmaterialistische Degrowth-Ansätze als Ganzes erkennen in dem Streben nach wirtschaftlichem Wachstum den Kernwiderspruch zu einer ökologisch nachhaltigen Organisation von Wirtschaft. Die Zielsetzung, den Ressourcenverbrauch drastisch zu reduzieren, ist richtig. Die Annahmen der Degrowth- Vertreter*innen verkennen aber, dass Wachstum und ein geringerer Ressourcenverbrauch gleichzeitig möglich sind. Dies zu ermöglichen ist Aufgabe staatlicher Wirtschaftspolitik. Weder positives noch negatives Wachstum sagen per se etwas darüber aus, ob klimafreundlich produziert wird und natürliche Ressourcen geschont werden. Auf der anderen Seite schafft die Verbesserung der produktiven Fähigkeiten auch die notwendigen Voraussetzungen, um unter anderem durch technologische Innovation emissionsfreie Produktion zu etablieren. Dabei ist für uns klar, dass allein technischer Fortschritt die Klimakrise nicht lösen können wird, jedoch leistet er einen unverzichtbaren Beitrag. Postmaterialistische Ansätze stehen zudem im Zielkonflikt zu Entwicklungsperspektiven von weniger stark industrialisierten Staaten und beinhalten die Gefahr des bloßen Verschiebens CO2- intensiver Produktion in Länder mit geringeren Umweltauflagen. Die Postwachstumsrhetorik ist für uns eine politische Sackgasse, die keine Antwort auf die Fragen von Transformation von Industrie und die Vermehrung und Verteilung von gesellschaftlichem Wohlstand geben kann. Wir gehen davon aus, dass sich die produktiven Fähigkeiten einer Gesellschaft, insbesondere die Art und Weise, ihre Arbeit zu organisieren, stets verbessern. Damit geht die Möglichkeit einher, stetig mehr materiellen Wohlstand zu erlangen und mithin als Volkswirtschaft zu wachsen. Wir begrüßen ein stetiges Wachstum des Wohlstands der Gesellschaft. Es stellt für uns eine der Grundlagen des sozialistischen Versprechens dar, dass es künftigen Generationen bessergehen wird und ist Teil unserer sozialistischen Analyse. Die Voraussetzung von volkswirtschaftlichem Wachstum macht eben dieses jedoch nicht zum Selbstzweck. Entscheidend muss sein, wie Wachstum ausgestaltet wird, das heißt, in welchen Bereichen die produktiven Fähigkeiten der Gesellschaft eingesetzt werden, also wo “gewachsen wird” und insbesondere wie die hieraus erzielten Wohlstandsgewinne verteilt werden. Insbesondere die häufig unter- oder gar nicht bezahlte Carearbeit zeigt, dass hier in vielen Bereichen nachgesteuert werden muss. Dies sehen wir als Aufgabe des Staates an. Dieser muss stetiges Wachstum steuern und eine gerechte Verteilung der Wohlstandsgewinne befördern. Dabei kann genau dies als Hebel zur gerechteren Verteilung von Einkommen und Vermögen genutzt werden, denn durch das freie marktwirtschaftliche Spiel ergibt sich weder ein wachstums- noch ein wohlstandsoptimaler Zustand. Auch wenn langfristig stetiges Wachstum vorausgesetzt wird, übersteigen die hypothetischen Produktionsmöglichkeiten einer Gesellschaft zwangsläufig die tatsächlichen Produktionskapazitäten. Auch hieraus ergibt sich, insbesondere vor dem Hintergrund historischer Aufgaben wie der sozial-ökologischen Transformation der Gesellschaft, der Bedarf für eine politische Steuerung.
Unsere Wirtschaft - So demokratisch wie möglich
Eine Voraussetzung kapitalistischer Produktion ist das Fernhalten demokratischer Strukturen in Fragen von Arbeit, Produktion und Wirtschaft. Im Kapitalismus setzt sich nicht die Überzeugung oder das Unternehmen durch, das aufgrund von bewussten Entscheidungen als sinnvoll für die Gesellschaft angesehen wird, sondern das jeweilige Profitinteresse der Eigentümer*innen. Diese gesellschaftlich extrem kleine Gruppe an Personen trifft Entscheidungen, die für die Gesamtgesellschaft von erheblicher Relevanz sind. Heute wissen wir zum Beispiel um die enorme Schädlichkeit bestimmter Technologien im Energiesektor, im Mobilitätssektor oder in der Chemieindustrie für die Umwelt und den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Trotz alledem wird die Entscheidung über den Umgang mit diesem Dilemma weitestgehend in der Hand der privat geführten Betriebe angesiedelt. Eine zusätzliche Voraussetzung kapitalistischer Produktion ist das weitestgehende Fernhalten demokratischer Strukturen aus der Arbeitswelt. Kaum etwas bestimmt den Lebensalltag eines Großteils der Bevölkerung so sehr wie die Art und Weise, wie ihre Arbeit organisiert ist. Die Möglichkeit, über diese Ausgestaltung mitzubestimmen, ist in einem Großteil der Unternehmen weiterhin vernichtend gering. Die Ausklammerung von Wirtschaft aus gesellschaftlichen Demokratisierungsprozessen zementiert die aktuellen Zustände, die auf Ungleichheit und Ausbeutung beruhen. Die Demokratisierung der gesellschaftlichen Produktion ist letztlich der entscheidende Schritt auf dem Weg zu einer vollständig demokratisierten Gesellschaft.
Demokratisierung hat in diesem Prozess einen doppelten Charakter und nimmt sowohl die Form von individueller als auch kollektiver Mitbestimmung an. Dabei bezieht sie sich auf die demokratische Kontrolle betrieblichen Handelns als auch auf die Gesellschaft und damit auf die Entscheidung, was und wie produziert wird. Wesentliche Grundlage der demokratischen Organisation innerhalb der Betriebe ist die Fähigkeit der einzelnen Menschen, sich mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit auseinanderzusetzen, dementsprechend zu bearbeiten und zu organisieren. Die arbeitenden Menschen brauchen keine zentral erstellten Vorgaben, um zu bestimmen, welche Arbeitsschritte sinnvoll sind und welche nicht. Stattdessen können sie selbstständig und gemeinsam erarbeiten, welche Unternehmungen, Organisationsformen und Arbeitsschritte für die gesamtgesellschaftliche Produktion notwendig sind. Auf diese Weise können wir sicherstellen, dass die Produktion die Freiheit der einzelnen Menschen nicht untergräbt, sondern zu ihrer grundlegenden Voraussetzung macht. In einer demokratisierten Organisation der Produktion erfolgt das Zusammenspiel zwischen der Arbeit eines jeden Einzelnen mit den gesellschaftlichen Bedürfnissen bewusst. In der Arbeit nicht undemokratisch und hierarchisch wie im Kapitalismus oder nur im Sinne der Erreichung eines vorgegebenen Produktionsziels wie in der zentralen Planwirtschaft. Planwirtschaftliche Modelle stehen der Demokratisierung der Betriebe entgegen und verhindern selbstbestimmtes Arbeiten und Leben der Beschäftigten. Den angesprochenen Ausgleich stellen die sozialistischen Marktlösungen dar. Diese zeichnen sich durch den Mechanismus aus, dass die Steuerung weiterhin durch Nachfrage der Gesamtheit aller Personen bestimmt wird und damit die gesellschaftlichen Präferenzen abbildet. Die Nachfrage der Güter am Markt steuert die gesamtwirtschaftliche Produktion. Die ergibt sich aus der demokratischen Entscheidung der Betriebe unter den regulatorischen Rahmenbedingungen des Staates. Die Unternehmen entscheiden demokratisch, welche Güter sie produzieren und wie sie ihre Arbeit organisieren, worin der wesentliche Unterschied zur kapitalistischen Marktwirtschaft liegt. Verstaatlichte Unternehmen sind im Normalzustand die Ausnahme in für die Daseinsvorsorge besonders relevanten Bereichen. Eine sozialistische Marktwirtschaft ist dabei besser in der Lage, Mengenpräferenzen abzubilden und Fehlverteilungen und Verschwendung vonRessourcen zu vermeiden. Das Konzept der sozialistischen Marktwirtschaft eröffnet die Möglichkeit, Formen demokratisierten Produktionskapitals in das bestehende System zu implementieren ohne größere Friktionen und Verluste zu riskieren und somit als antikapitalistische Strukturreform wirksam zu werden. Ziel muss es sein, Unternehmen innerhalb des bestehenden Systems demokratisch zu transformieren und damit eine schrittweise Demokratisierung der Gesamtwirtschaft zu erreichen. Dieser Prozess kann auf der Grundlage unterschiedlicher Ausgangssituationen angestoßen werden. Hierbei steht außer Frage, dass eine Demokratisierung der Betriebe über bloße Mitbestimmung oder Entscheidungsgewalt hinausgeht. Es geht hier um die Umwälzung der Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln.
Dabei muss es gelingen, einen Ausgleich zwischen dem Erfordernis nach möglichst hoher betrieblicher Mitbestimmung und gleichzeitig der Möglichkeit der demokratischen Gesamtkontrolle der gesellschaftlichen Produktion geschaffen werden. Um einen Übergang in eine demokratische Produktion nach und nach zu organisieren, unterscheiden sich die Herangehensweisen abhängig von der Art der Unternehmen.
Neuzugründende Unternehmen Es bedarf der Schaffung einer neuen Gesellschaftsform für die Möglichkeit, Betriebe mit demokratischen Mitbestimmungsmöglichkeiten zu bilden.
Diese zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass die komplette Belegschaft den Betriebsrat wählt. Aus der Mitte dieses Betriebsrates soll die Managementebene und Unternehmensleitung gewählt werden. Diese organisiert den Betrieb und trifft gemeinsam mit dem Betriebsrat alle betrieblichen Entscheidungen. Der Betriebsrat und die Unternehmensleitung sollen getrennt gewählt werden. Wirtschaftliche Entscheidungen von bedeutender gesellschaftlicher Auswirkung sollten zusätzlich von einem Aufsichtsrat genehmigt werden. Liquiditätsengpässe können durch ein staatliches Kreditprogramm beseitigt werden. Da weiterhin eine freie Wahl der Unternehmensform gegeben sein muss, ist es wichtig, dass staatliche Subventionen grundsätzlich so ausgelegt sind, dass demokratische Unternehmensformen in ihrer Gründung und in ihrem Erhalt unterstützt werden und in der staatlichen Regulierung eine grundsätzliche Präferenz gegenüber undemokratischen Unternehmensformen erkennbar ist. Beispielsweise bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Dieses Modell wird in seinen Einzelheiten nicht auf Unternehmen mit einer sehr geringen Beschäftigtenanzahl anwendbar sein. Trotzdem ist es unser Anspruch, dass diese demokratisch organisiert sind.
Unternehmen im Krisenfall Unternehmensrettungen im Krisenfall treten spätestens mit Beginn der Corona Pandemie wieder häufiger auf. In diesem Fall soll der Staat zukünftig durch Ankauf oder Kapitalerhöhung als (Teil-)Eigentümer*in betroffener Unternehmen auftreten, solange das Geschäftsmodell weiterhin im Grundsatz tragfähig ist. Diese Beteiligungen sind nicht in Form von stillen Beteiligungen gedacht, sondern der Staat hat klare Kriterien dafür aufzustellen, wie er seine Eigentümer*innenrechte ausübt. Sofern es sich nicht um Aufgaben der Daseinsvorsorge handelt, ist das Unternehmen in einen mitarbeiter*innengeführten demokratischen Betrieb mit öffentlicher Kontrolle zu überführen.
Unternehmen mit hoher strukturpolitischer Relevanz Bei Industrieunternehmen, deren Investoren nicht willens oder in der Lage sind, die notwendigen Investitionen für eine ökologische Transformation der entsprechenden Unternehmen einzuleiten, muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass der Staat als strategischer Investor einsteigt, um eine Zerschlagung oder ein langsames Sterben der Unternehmen mit einem entsprechenden Verlust an Arbeitskräften zu verhindern. Eine solche Beteiligung muss jedoch von Anfang an auf den entsprechenden Zeitraum begrenzt werden, der als erforderlich erachtet wird, um die erforderlichen Transformationsaufgaben zu bewältigen. Die Beteiligung ist anschließend dafür zu nutzen, die Unternehmen in demokratische Unternehmensformen unter Führung der Mitarbeiter*innen umzuwandeln.
Unternehmen mit hoher systemischer Relevanz Die Möglichkeit zur Steuerung der gesamtgesellschaftlichen Produktion macht es erforderlich, dass Unternehmen ab einer bestimmten Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Produktion nicht mehr der Verfügung einzelner Menschen unterstehen. Die Schaffung neuer demokratischer Gesellschaftsformen ist ein erster Schritt, um demokratische Unternehmensformen zu etablieren. Zentral ist die staatliche Unterstützung eben dieser Unternehmen, um die freiwillige Etablierung zu fördern. Weitergehend und in einem zweiten
Schritt sollen aber auch struktur- und systemisch relevante Unternehmen durch Verstaatlichung und schließlich Überführung in demokratische Unternehmensformen demokratisiert werden. Unser Ziel über einen langen Zeitraum stellt ein vollständig demokratisiertes Wirtschaftssystem dar.
C. Daseinsvorsorge – viel Staat ist nötig
Der demokratische Wohlfahrtsstaat legitimiert sich in erster Linie durch die Gewährleistung von Daseinsvorsorge, Dazu zählen alle Infrastrukturen und öffentlichen Güter, auf die jede Person für ihr individuelles wie gesellschaftliches Leben existenziell angewiesen ist. Welche Infrastrukturen zur Daseinsvorsorge gezählt werden, steht dabei nicht final fest, sondern ist Resultat technischer und gesellschaftlicher Entwicklung. Als unbestrittene Teile der Daseinsvorsorge zählen in jedem Fall Bildung und Gesundheit, Energie und Telekommunikation, Mobilität und Verkehr, Wohnen, Wasserversorgung und -entsorgung und Abfallentsorgung. Wir sehen auch große Plattformen der Digitalisierung als öffentliche Daseinsvorsorge an. In räumlicher Hinsicht schlägt sich diese besondere Bedeutung der Daseinsvorsorge in der Garantie der Gleichwertigkeit bzw. der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nieder wie in Art. 72 des GG verankert. Das Gleichwertigkeitsgebot etabliert den Anspruch auf gleiche Teilhabe, um ein räumliches Gebot für gleichen Zugang und gleiche Qualität von Daseinsvorsorge zu garantieren. So dient die Teilhabe nicht mehr allein dem sozialen Ausgleich zwischen Gesellschaftsschichten, sondern erweitert die soziale Funktion von Daseinsvorsorge um den Anspruch auf gleichwertige Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet. Allerdings hat sich der Maßstab für die Bestimmung der Daseinsvorsorge gewandelt. Von den 1960er bis in die 1990er Jahre orientierte man sich an einem sehr anspruchsvollen Standard: Die Daseinsvorsorge sollte alle Lebensbereiche einschließlich des Konsums umfassen und dabei ein hohes wohlfahrtsstaatliches Niveau abbilden. Doch diese Zeiten haben sich geändert: Seit den späten 1990er Jahren musste die Unterhaltung von Daseinsvorsorge stets mit dem Fetisch um ausgeglichene Haushalte konkurrieren, welcher spätestens mit der Etablierung der Schuldenbremse im Grundgesetz seinen Höhepunkt fand. Mit der Dezimierung von wohlfahrtsstaatlicher Leistung geht ein Anstieg von sozialen und ökonomischen Spannungen und Spaltungen einher. Die Funktion der Daseinsvorsorge, sozial integrierend zu wirken, nimmt seither stetig ab. Folgend aus dieser Analyse bedarf es in der Bundesrepublik einer radikalen Neuorganisation dieser öffentlichen Güter. Für soziale und ökonomische Selbstbestimmung aller, für eine lebendige Demokratie, für eine leistungsfähige und innovative Wirtschaft, für gesellschaftlichen Wohlstand und für die Sicherung des Gemeinwohls sind öffentliche Güter und Dienstleistungen eine unverzichtbare Voraussetzung. Die Debatte um Daseinsvorsorge macht eines mehr als deutlich: Nicht alle sinnvollen Unternehmen und gesellschaftlichen Aufgaben können und sollen sich in einem Wettbewerb um Verfügung über die gesellschaftlichen Produktionsmittel miteinander messen. Gewisse Bereiche der Produktion müssen garantiert werden. Insbesondere die bereits aufgezählten Bereiche der Elektrizitäts-, Nahverkehrs-, Internet-, Wasser- und Energienetze, aber auch die Care-Arbeit sowie die Gesundheitsversorgung und die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum fallen hierunter. Auch die Versorgung mit Geld- und Kreditmitteln (Bankwesen) stellt für uns eine staatliche Aufgabe dar, die perspektivisch vollständig zu vergesellschaften ist. Diese Produktionsmittel stellen eine so wesentliche Voraussetzung unserer gesamtgesellschaftlichen Produktion dar, dass sie nicht der Verfügungsgewalt Einzelner überlassen werden dürfen. Die rechtliche Verfügungsmöglichkeit über sie muss den Einzelnen entzogen und der Gesellschaft übertragen werden.
Da die vergangenen 20 Jahre das Marktversagen in diesem Bereich offenbart haben, muss das Stichwort im zukünftigen Umgang mit Daseinsvorsorge Rekommunalisierung und somit die Verstaatlichung sein. Dabei sind sie nach dem Grundsatz der Subsidiarität an die jeweilige staatliche Ebene (Gemeinden, Kreise, Land, Bund) anzubinden. Die Ausgestaltung der Daseinsvorsorge kann den Bedürfnissen entsprechend nur dezentral effektiv geschehen. Dabei sind Unternehmensformen zu wählen, die eine direkte Anbindung an die jeweiligen demokratischen Strukturen gewährleisten, um die größtmögliche demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Dies geschieht bestenfalls in Form von Bundes- oder Landesanstalten, Körperschaften des öffentlichen Rechts oder landeseigenen Unternehmen, bei denen die Mitwirkung der jeweiligen parlamentarischen Strukturen über die Aufsichtsräte unmittelbar sichergestellt wird. Insbesondere im Sozialbereich kann der Staat auch mit freien, nicht gewinnorientierten Trägerschaften zusammenarbeiten.
Eine weitere Herausforderung in Bezug auf öffentliche Güter ist die Entstehung von natürlichen Monopolen. Die Herausbildung eines Monopols ist die radikalste Form mangelnden Wettbewerbs. Eine Unternehmung verfügt über ein Monopol, wenn sie der Alleinanbieter eines Gutes ist, für das es keinen vergleichbaren Ersatz gibt. Diese natürlichen Monopole begünstigen das Entstehen von Unternehmen, die in der Lage dazu sind, Preise zu diktieren und deshalb sind derartige Unternehmen sinnvollerweise zu verstaatlichen. Dies betrifft insbesondere Unternehmen mit ausgeprägten Skalenerträgen, dies bezeichnet die Rate an, um die sich der Output bei Erhöhung der Produktionsfaktoren verändert oder proportional erhöht aufgrund hoher Eintrittsbarrieren oder Netzwerkeffekten, diese sind sinnvollerweise zu vergesellschaften und im Einzelfall zu verstaatlichen. Wichtige Beispiele derartiger Unternehmen sind insbesondere Plattformunternehmen. Bei diesen ergibt sich das Problem, dass es sich dabei häufig um Global Player handelt, deren Sitz sich außerhalb der Bundesrepublik befindet. Deren Marktmacht und Agieren ist weder transparent für demokratisch legitimierte deutsche oder europäische Institutionen durchschaubar. Wir begrüßen daher die Bestrebungen, eine öffentliche, europäische Alternative zu diesen Cloud-Diensten zu schaffen, die Prinzipien wie Transparenz, Interoperabilität, Dezentralitätund Datensouveränität (Kontrolle über Daten und ihre Erhebung, Speicherung und Verarbeitung) in den Fokus stellt. Weiterhin darf es kein Tabu sein den europäischen Zweig dieser Unternehmen zu vergesellschaften.
D. Die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherstellen
Spätestens seit 2011 wird die deutsche Wirtschaftspolitik begrenzt durch das Dogma der Budgetdisziplin. Durch eine aktive Fiskalpolitik sollte der Staat eigentlich in der Lage sein, gesellschaftliche Produktion umfassend zu steuern. Verfassungsrechtlich verankert durch die seit 2011 geltende Schuldenbremse und politisch flankiert von dem Dogma der schwarzen Null, wird er hierbei jedoch in seinen Möglichkeiten begrenzt. Beabsichtigt der Staat von der kommunalen bis hin zur Bundes- oder europäischen Ebene eine aktive Wirtschaftspolitik zu betreiben, benötigt er ausreichend Geldmittel. Ein wesentlicher Mechanismus, an diese zu gelangen, ist die Aufnahme von Krediten. Ebendies wird derzeit stark erschwert und beeinträchtigt den demokratischen Lenkungsanspruch des Staates über die Wirtschaft.
I. Im Anfang war der Kredit Der neoliberalen Vorstellung, dass Staatshaushalte stets ausgeglichen sein müssten, liegt die Annahme zu Grunde, dass hohe Budgetdefizite des Staates in der Regel mit ineffizienter Verwendung entsprechender Geldmittel verbunden seien und durch den Schuldendienst eine unbillige Belastung zukünftiger Generationen einherginge. Diese Grundannahme wird allein dadurch herausgefordert, dass die öffentliche Hand in den vergangenen Jahren zu negativen Zinsen hätte Kredite aufnehmen können, während das vorhergesagte (mit Ausnahme der Corona- Jahre) und auch beobachtete Wachstum stets positiv war. Diese Differenz nährt bereits erhebliche Zweifel daran, ob staatliche Investitionen, die in diesem Umfeld getätigt würden, nur aus den laufenden Einnahmen finanziert werden sollten. Die Wohlstandsgewinne durch öffentliche Investitionen wären in jedem Fall größer gewesen als die Kosten der anfänglich aufgenommenen Kredite. Zudem zeigt sich, dass eben die Industriestaaten, die seit Jahrzehnten die höchsten Budgetdefzite aufweisen, namentlich die USA und Japan, zu keiner Zeit handlungsunfähig waren, sondern sich stets an den Kreditmärkten refinanzieren konnten. Bisherige Versuche neoliberaler Ökonom*innen, einen grundsätzlichen Zusammenhang zwischen hoher Staatverschuldung und geringeren Wachstumsraten herzustellen, vermögen keinen Beleg für diese Kausalität zu liefern.
Der neoliberalen Austeritätspolitik liegt ein grundlegend falsches Verständnis von öffentlicher und privater Verschuldung zu Grunde. Entsprechend der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung muss jedem bestehenden Guthaben ein Kredit gegenüberstehen. Die weltweiten Guthaben entsprechen den bestehenden Krediten.
“Geld” ist dabei nichts anderes als unterschiedliche Verbindlichkeiten gegenüber Geschäfts- oder Zentralbanken. Es unterscheidet sich von anderen Verbindlichkeiten dadurch, dass der Staat es als allgemeines Zahlungsmittel definiert, indem damit insbesondere die Steuerschuld beglichen werden kann. Geld hat anders als Kapital lediglich eine abgeleitete Funktion und keinen Wert durch sich selbst. Die Geldschöpfung findet entweder über den Giralgeldkreislauf (Geschäftsbanken) oder über den Zentralbankgeldkreislauf statt. Eine gut funktionierende Geldschöpfung zeichnet sich dadurch aus, dass sie ausreichend Geldmittel schafft und damit die Produktion nicht restringiert.
Wenn jeder Guthabenbildung ein Kredit vorangehen muss, ist nicht mehr die Frage, ob sich eine Gesellschaft verschuldet, sondern lediglich wer sich verschuldet. Entweder Private, das heißt Privatpersonen oder Unternehmen können sich verschulden oder der Staat. Findet keine Neuverschuldung durch den Staat statt, müssen sich Private verschulden oder das Ausland verschuldet sich bei der eigenen Volkswirtschaft, dies entspricht den Leistungsbilanzüberschüssen. Letzteres spielt seit Jahren in Deutschland eine wesentliche Rolle. Dies spricht gleichermaßen für eine Unterversorgung mit Geldmitteln im eigenen Wirtschaftsraum, als auch für eine strukturelle Schwäche der Binnennachfrage. Dies resultiert in einer starken Abhängigkeit der eigenen Volkswirtschaft von externen Schocks und einem zu niedrigen Konsumlevel.
Anders als Private kann der in der eigenen Währung verschuldete Staat nicht insolvent gehen und somit theoretisch unbegrenzt Geld schöpfen. Nimmt der Staat Kredite auf, überweist ihm die Zentralbank praktisch Geld auf das Girokonto. Dabei ist unerheblich, ob der Staat dieses Geld vermittelt über Geschäftsbanken von der Zentralbank erhält oder die Zentralbank direkt Anleihen kauft. Die Zentralbank ist entgegen der ökonomisch unerheblichen, rechtlichen Beschreibung der Zentralbank als “unabhängig” niemals unabhängig. Sie ist Teil der Staatlichkeit, ihre Bedeutung hängt davon ab, dass der Staat für den Wert des Zahlungsmittels garantiert. Wie in der Eurokrise gezeigt, kann eine Zentralbank nicht ohne die Staaten existieren, die ihren Währungsraum ausmachen. Somit ist die Zentralbank im Ergebnis nichts anderes als die Zahlungsstelle des Staates oder der Staaten. Wenn der Staat sich also bei der Zentralbank “verschuldet”, gibt er tatsächlich einfach nur sein eigenes Geld aus, das heißt der Staat schöpft über die Zentralbank Geld. Tut er dies über den Umweg von Krediten, kann er dadurch den Zinssatz steuern. Der massenhaften Geldschöpfung durch die Zentralbanken wird regelmäßig die Gefahr einer automatisch eintretenden höheren Inflation entgegengehalten. Dieser von der neoklassischen Volkswirtschaft gleichermaßen magisch wie unverrückbar proklamierte Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation beruht auf der Annahme einer konstant bleibenden Umlaufgeschwindigkeit des Geldes. Diese Pseudokausalität darf spätestens seit der Euro-Krise als widerlegt gelten, als eine massive Ausweitung der Geldmenge durch die Zentralbank jahrelang stagnierenden Preisen gegenüberstand. Inflation ist ein Phänomen, das auf den Gütermärkten entsteht, wenn die Nachfrage die Produktionsmöglichkeiten übersteigt (nachfrageinduziert) oder das Angebot einbricht und die Nachfrage nicht mehr bedienen kann (angebotsinduziert). Sofern der Staat also sicherstellt, dass seinen Ausgaben – etwa in Form von Investitionen – mit der Fähigkeit der Gesellschaft korrespondieren, die entsprechende Nachfrage zu bedienen, droht keine automatische Inflation durch eine Erhöhung der Ausgaben. Zwar kann insbesondere bei bereits bestehenden inflationären Tendenzen ein Anstieg der Geldmenge diese weiter bestärken, im Normalfall besteht jedoch kein Automatismus zwischen der Ausweitung der Geldmenge und der Erhöhung der Preise durch die Entscheidungen der einzelnen Unternehmen. Regelmäßig wird die Befürchtung angeführt, dass eine hohe Verschuldung die Souveränität der Staaten beeinträchtigen würde, indem es zu Staatspleiten kommen kann. Das ist jedoch solange nicht der Fall, solange der Staat oder der Staatenbund erstens seine eigene Währung herausgibt, zweitens der Staat über Steuern in der Lage ist, die eigene Währung einzutreiben und damit für ihren Wert zu garantieren und der Staat drittens hauptsächlich in eigener Währung verschuldet ist.
Im europäischen Zentralbanksystem beobachten wir die Besonderheit, dass Entscheidungen der Zentralbank maßgeblich nicht auf nationaler Ebene getroffen werden. Solange die EZB bei ihrer Linie bleibt, dass die Garantie des Zusammenhalts und der Stabilität des Währungsraums Teil des Mandats sind, sind die Zusammenhänge aber übertragbar. Wir erachten es als wesentlich und als Grundvoraussetzung für die europäische Gemeinschaft, dass dieser Auftrag fest im Mandat der EZB verankert sein muss.
Staatliche Verschuldung ist nichts weiter als der normale Prozess der Geldschöpfung, auf den eine Volkswirtschaft angewiesen ist. Verschuldet sich nicht der Staat, müssten es Private tun, dies ist jedoch einerseits aufgrund des bestehenden Insolvenzrisikos, insbesondere von Privatpersonen, weder begrüßenswert, noch aufgrund der faktisch durch die Kreditvergabepraxis der Geschäftsbanken limitierten Verfügbarkeit von Geldmitteln realistisch und überdies politisch aufgrund der geringeren Steuerungsmöglichkeiten auch nicht wünschenswert.
Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass der Staat, sofern er sich nicht selbst Budgetrestriktionen auferlegt oder durch künstliche Geldmittelverknappung durch Zentralbanken und Geschäftsbanken limitiert wird, theoretisch unbegrenzt in seiner Ausgabe von Geldmitteln ist. Sowohl der bestehende rechtliche Rahmen in Form von Schuldenbremse als auch die rechtlich limitierte Möglichkeit der EZB, Staatsanleihen zu kaufen, begrenzen künstlich die eigentlich vorhandene Handlungsfähigkeit des Staates. Das Mandat der EZB muss umfassend angepasst werden, um, statt der über die Zentralbanken nicht möglichen Inflationssteuerung, die umfassende Versorgung der Volkswirtschaft mit Geldmitteln ins Auge zu fassen und die faktisch ohnehin stattfindende Staatsfinanzierung rechtlich zu legitimieren.
II. Auf die Produktion konzentrieren
Wenn der Staat also theoretisch so viel Geld ausgeben kann wie er möchte und dabei nicht einmal im Vorhinein auf die Einnahme von Steuern angewiesen ist, stellt sich die Frage, warum er dies nicht tut. Es ergibt sich eine faktische Begrenzung für die Ausgaben des Staates lediglich durch die begrenzten Möglichkeiten einer Volkswirtschaft, die entsprechende Nachfrage zu bedienen, also durch die bestehenden Produktionskapazitäten. Die Produktionskapazitäten beschreiben die Möglichkeit einer Volkswirtschaft, in einem definierten Zeitraum werthaltige Arbeit zu verrichten. Solange Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung bestehen, schöpft eine Gesellschaft nicht ihre maximalen Produktionskapazitäten aus. Fraglich ist, ob ein maximales Ausschöpfen sinnvoll wäre. Grundsätzlich bedeutet eine nicht maximale Produktion einen Verlust an realisierbarem, gesellschaftlichem Wohlstand. Vor dem Hintergrund der aktuellen, historischen Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation ebenso wie des bestehenden Investitionsstaus in Daseinsvorsorge und Infrastruktur, wäre es zudem geradezu verantwortungslos, unfreiwillig nicht ausgeschöpfte Produktionskapazitäten einer Gesellschaft unangetastet zu lassen. Es ist also grundsätzlich sinnvoll, alle verfügbaren Produktionskapazitäten über gezielte staatliche Nachfrage in gesellschaftlich wünschenswerte Produktion zu lenken. Eine rein “antizyklische” Fiskalpolitik würde zu kurz greifen, der Staat darf nicht lediglich korrigierend tätig sein, sondern muss seine erforderliche, fiskalpolitische Lenkungswirkung zu jedem Zeitpunkt ausfüllen. Der Staat ist dazu auch in der Lage, weil ihm die entsprechenden Mittel unbegrenzt zur Verfügung stehen. Fraglich ist also nicht das “Ob”, sondern allein das “Wie”, also die Herausforderung, gesellschaftliche Produktion so zu steuern, dass gesamtgesellschaftlich wünschenswert produziert wird. Die Qualität dieser Steuerung ist das Maß an dem sich erfolgreiche Wirtschaftspolitik bemisst. Sie verteilt gleichermaßen Wohlstand gerecht, als auch begrenzt sie unerwünschte Nebeneffekte, wie etwa hohe Inflation. Geldpolitik hat eine abgeleitete Funktion, indem es dieser Wirtschaftspolitik die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Eine Limitierung ergibt sich allein aus der Fähigkeit von Politik, die entsprechenden Mittel im Rahmen der Produktionsmöglichkeiten sinnvoll einzusetzen.
III. Über direkte und indirekte Lenkung
Wenn Fiskalpolitik keinen geldpolitischen Begrenzungen ausgesetzt ist und es wesentlich auf die demokratische Lenkung von Produktion ankommt, ist es fraglich, wie eine solche gewährleistet werden kann. Derzeit ist die “Lenkung” der Produktion weitgehend den freien Marktkräften überlassen. Dadurch ergibt sich ein freies Spiel der Kräfte, bei dem der*diejenige den meisten Einfluss hat, der*die über die meisten Kapitalkräfte verfügt. Der Staat versucht sich derzeit lediglich als Korrektiv krasser wirtschaftspolitischer Fehlentwicklungen, bleibt jedoch aufgrund seiner limitierten Handlungsfähigkeit (s.o.) und dem fehlenden Willen, lenkend einzuschreiten, weitgehend Zaungast. Wie sich eine fehlende Steuerung von Geldmitteln auswirkt konnte während der Eurokrise gut beobachtet werden, als Kredite, die eigentlich notleidenden Unternehmen zugutekommen sollten, defacto massenhaft in Vermögenswerte, wie insbesondere Aktien und Immobilien, flossen und dadurch volkswirtschaftlich letztlich verpufften, allerdings nicht ohne dabei erheblich die Vermögensungleichheit weiter zu befördern.
Demokratisch kann nicht hingenommen werden, dass sich ein wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft der demokratischen Kontrolle entzieht. Gleichzeitig darf sich eine demokratische Kontrolle nicht an historischen “staatssozialistischen” Vorbildern orientieren, die erstens nicht einmal ihrem Grundsatz nach demokratisch waren und zweitens zu einem weitgehenden Ausschluss persönlicher Freiheiten geführt haben. Eine demokratische Lenkung muss den Anspruch haben, Freiheit, auch persönliche Freiheit, zu ermöglichen, indem sie von den Fesseln der Ausbeutungsstrukturen der kapitalistischen Produktionsweise befreit. Perspektivisch muss diese Fiskalpolitik auf der europäischen Ebene und mithin auf der gleichen Ebene wie die Geldpolitik angesiedelt werden. Daher muss die Europäische Währungsunion durch eine Fiskalunion ergänzt werden, indem die EU mit einer echten Fiskalkapazität ausgestattet wird, d.h. der Fähigkeit, europäische Steuern zu erheben und europäische Schulden aufzunehmen. Wie eine aktivere makroökonomische Lenkung aussehen kann, kann niemals abschließend beantwortet werden, es können jedoch die Instrumente und Institutionen skizziert werden, derer der Staat sich bedienen kann. Dies sind im Wesentlichen fünf:
1. Staatliche Investitionen
Indem der Staat gezielte Nachfrage schafft in gesellschaftlichen Bereichen, in denen vermehrt produziert wird, kann er beeinflussen, wie sich Produktion verlagert. Dabei bleiben die Volumina vergangener Investitionsprogramme hinter dem Erforderlichen zurück. Insbesondere im Bereich der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur, Bildung, Digitalisierung und des schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien und der ökologischen Transformation der Industrieproduktion (etwa in Form der Verwirklichung eines “Green New Deals”) kann gezielte staatliche Nachfrage das Mittel der Wahl sein. Dabei darf diese nicht die gesellschaftlichen Produktionskapazitäten überschreiten.
1. Jobgarantie
Gezielt gesellschaftliche Produktionskapazitäten können durch die staatliche Jobgarantie (vgl. Beschluss 2019) in wesentlichen Bereichen erhöht werden. Hiermit kann zu jedem Zeitpunkt Vollbeschäftigung garantiert werden. Neben den positiven sozialpolitischen Implikationen kann dadurch sichergestellt werden, dass keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit besteht und gezielt Produktionskapazitäten in als wesentlich erkannten gesellschaftlichen Bereichen aufgebaut werden. Zudem wirkt die Jobgarantie Preisniveaustabilisierend, nachfrageinduzierte Inflation (gleichermaßen wie Deflation) wird abgeschwächt.
1. Staatliche Daseinsvorsorge
Indem der Staat bestimmte, als besonders wesentlich erkannte Bereiche verstaatlicht, kann die Produktion in diesem Bereich unter direkte demokratische Kontrolle der jeweiligen Ebenen gebracht werden. Dies ermöglicht, insbesondere in den wesentlichen Bereichen des Verkehrs, der Infrastruktur, der Gesundheit, der Bildung und des Wohnens, einen Aufbau der erforderlichen Kapazitäten. Dabei sind wir bereit, alle Instrumente auszuschöpfen, die das Grundgesetz bietet. Hierzu gehört auch die Enteignung von großen Wohnungskonzernen.
4. Steuern und Preis Zu einer gezielten Lenkung gehört aber nicht nur, Produktion in wesentlichen Bereichen zu stärken, sondern auch, sie auch in überbetonten Bereichen zu reduzieren und dadurch freie Kapazitäten, die in anderen Bereichen benötigt werden, zu schaffen. Davon betroffen, sind insbesondere Wirtschaftsbereiche, die etwa aufgrund ihrer umweltschädlichen Effekte starke negative gesellschaftliche Externalitäten aufweisen. Wesentliches Lenkungsinstrument zur Steuerung auf der Nachfrageseite sind hier Pigou-Steuern (als Lenkungssteuern) oder ein funktionierender staatlicher Zertifikatehandel auf der Angebotsseite, abhängig davon, wie intensiv der Grad der Produktionssteuerung in den entsprechenden Bereichen sein soll. Zudem kann eine gezielte Besteuerung bestimmter Bereiche, oder der Verzicht auf ebendiese, Investitionen attraktiver oder unattraktiver machen. Auch wenn Steuern, wie oben gezeigt, nicht die Voraussetzung für eine finanzielle Handlungsfähigkeit schaffen, tragen sie jedoch zusätzlich dazu bei und sind wesentliches Steuerungsinstrument, um Ungerechtigkeiten der ökonomischen Primärverteilung über die umverteilende Rolle des Staates entgegenzuwirken. Hierfür stellen Einkommenssteuern und Gewinnsteuern ein wesentliches Instrument dar. Zudem haben sich in den letzten Jahrzehnten in den Händen Einzelner durch die Aneignung fremder Arbeit derartige Kapitalmengen akkumuliert, dass sie neben einem Gerechtigkeitsproblem auch ein gesellschaftliches Machtungleichgewicht zugunsten einiger weniger Hochvermögender schaffen. Dies stellt neben den unerwünschten sozialen Implikationen auch eine Bedrohung für den Anspruch dar, gesellschaftliche Produktion zu lenken. Somit ist es erforderlich, insbesondere über erhöhte vermögenswirksame Steuern (d.h. Erbschafts- und Vermögenssteuern), akkumulierte Guthaben wieder zu vergesellschaften und gesamtwirtschaftlich nutzbar zu machen.
E. Unsere Forderungen im Einzelnen
Für uns leiten sich folgende unmittelbare Feststellungen für eine sozialistische Wirtschaftspolitik ab:
Für die Demokratisierung der Wirtschaft:
Eine stärkere staatliche Lenkung zur Realisierung eines ökologisch nachhaltigen Wachstums bei gerechter Verteilung der Wohlstandsgewinne.
Die nach und nach erfolgende Demokratisierung der bestehenden Unternehmen.
Die Schaffung demokratischer Rechtsformen für Unternehmen und die staatliche Förderung der Umwandlung bestehender Unternehmen in demokratische Rechtsformen.
Sozialisierung von Unternehmen mit hoher strukturpolitischer und systemischer Relevanz.
Umwandlung von Unternehmen, die in der Krise zur Rettung (teil-)verstaatlicht wurden, in demokratische Rechtsformen. Für die Daseinsvorsorge:
Die Sicherung der Daseinsvorsorge ist staatliche Aufgabe und darf nicht privatisiert werden, sondern muss unter der Kontrolle der jeweiligen demokratisch legitimierten, staatlichen Ebene stehen.
Wir haben ein breites Verständnis von Daseinsvorsorge, das neben den klassischen Bereichen auch Wohnen, Mobilität, das Bankwesen und den Zugang zum Internet einschließt.
Unabhängig vom Wohnort muss für alle Menschen ein gleicher oder zumindest vergleichbarer Zugang zu Leistungen der Daseinsvorsorge bestehen.
Natürliche Monopole müssen vergesellschaftet warden.
Insbesondere im Gesundheitssektor kämpfen wir gegen die Ökonomisierung und für eine Rekommunalisierung privatisierter Kliniken ein.
Der Aufbau von Netzinfrastruktur ist staatliche Aufgabe und muss staatlich organisiert werden. Das gilt gleichermaßen für sämtliche Infrastruktur des Datenaustauschs, wie Mobilfunk, Breitband und Satellitenkommunikation, wie auch für die Ladeinfrastruktur.
Der Staat steuert durch eine offensive Investitionspolitik gezielt lokale wirtschaftliche Entwicklung und ermöglicht so Strukturwandel und gleichwertige Lebensverhältnisse. Zur Herstellung der Handlungsfähigkeit durch ein neues Verständnis der geldpolitischen Potenziale:
Wir setzen uns für die Abschaffung der Schuldenbremse im Bund und den Ländern sowie des Stabilitäts-und-Wachstums-Pakts (Maastrichtkriterien) auf EU-Ebene ein.
Wir setzen uns für einen Schuldenerlass von Altschulden überschuldeter Kommunen und kommunaler Unternehmen ein (insbesondere kommunaler Wohnbauunternehmen ostdeutscher Kommunen).
Wir setzen uns für eine staatliche Investitionsoffensive in den nächsten Jahren ein, die die erforderlichen Mittel für eine Transformation unserer Gesellschaft hin zu einer CO2-neutralen Produktionsweise bis spätestens 2045 mobilisiert.
Die EZB-Geldpolitik muss in erster Linie die fiskalpolitische Handlungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten sicherstellen, sodass ausreichend investiert werden kann und die Staaten gesellschaftliche Produktion effektiv steuern können.
Eine direkte Staatsfinanzierung der Staaten durch die Zentralbank ist notwendig und richtig.
Das Mandat der EZB muss dementsprechend angepasst werden und die europäische Währungsunion muss perspektivisch zu einer europäischen Fiskalunion ausgebaut werden.
Wir setzen uns für eine Demokratisierung der EZB-Politik durch die Wahl der EZB-Präsident*in durch das EU-Parlament ein.
Wir streben die Verstaatlichung des Bankensektors als Teil der Daseinsvorsorge, Lenkungsinstrument für gesellschaftliche Produktion und zur Gemeinwohlsicherung an.
Steuern sind für uns zentrale Mittel zur Steuerung der Produktion (insbesondere durch Pigou- Steuern) und zur Umverteilung ungerecht verteilten Wohlstands.