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Beschlussarchiv

G2 2020
Raus aus Happyland

Raus aus Happyland

Der rechtsterroristische Anschlag in Hanau und die Black-Lives-Matter-Bewegung nach dem Mord an George Floyd gaben dem Thema Rassismus plötzlich einen enormen Aufschwung. Auch an unserem Verband darf dieser Diskurs nicht spurlos vorbei gehen und bedarf einer differenzierten Einordnung. Einerseits bewerten wir positiv, dass Ras­sismuserfahrungen von BPoC (Black and People of Color) in Deutschland sichtbarer wurden. Andererseits bleibt die Befürchtung, dass dies lediglich eine Momentaufnahme gewesen sein könnte und die dringende Bekämpfung von Rassismus in unserer Gesellschaft für die weiße Mehrheitsgesellschaft als kurzzeitiger Trend verebben könnte. „Des­wegen wollen wir nach dem Zitat von Tupoka Ogette „Raus aus Happyland“!

Jede einzelne Rassismuserfahrung sitzt tief. Sie hinterlassen tiefe Traumata, die das Leben von BPoC nachhaltig prä­gen und beeinflussen. Unser Verband ist an vielen Stellen für BPoC leider auch Teil des Problems, auch wenn er Teil der Lösung sein sollte. Genauso wie Menschen im Verlauf ihres Lebens lernen und sich weiterentwickeln, so durchlau­fen auch Organisationen Lern-und Entwicklungsprozesse. Themen, die vorher nicht umfangreich und Diskussionen, die nicht facettenreich genug geführt worden sind, bekommen neue Aspekte hinzu. Für uns Jusos gilt das auch ein­deutig beim Thema Rassismus. Wir wollen und müssen uns als Verband in diesem Bereich weiterentwickeln, um unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und um Rassismus besser bekämpfen zu können. Das gilt ausdrücklich auch für Rassismus im eigenen Verband.Rassismus in Deutschland gibt es nicht erst seit 11BLM. In der Hoffnung, eine nachhaltige Debatte anzustoßen, die nicht wie ein Trend wieder verschwinden wird, hat dieser An­trag das klare Ziel, den Diskurs innerhalb unseres Verbandes kritisch zu hinterfragen, internalisierte und strukturelle Rassismen aufzuarbeiten und innerverbandlich neue Perspektiven zu eröffnen.

Damit BPoC und ihre Perspektiven in unserem Verband sichtbarer werden, sollen BPoC mehr empowert werden. Dazu wurde schon letztes Jahr ein erster Schritt getan.

Beim letzten Bundeskongress der Jusos wurde im Arbeitsprogramm eine BPoC-Vernetzung beschlossen. Dort heißt es: „Wir Jusos stellen fest, dass es uns aktuell nicht gelingt, die Diversität unserer Gesellschaft auch im Verband abzu­bilden. Insbesondere People of Color sind in unseren Strukturen fast überall stark unterrepräsentiert.“ Die fehlende Repräsentanz von BPoC zeigt sich auch im aktuellen Bundesvorstand. BPoC sind, obwohl sie ein immer weiter wach­sender Teil unserer Gesellschaft sind, in unserem Verband weniger sichtbar und schaffen es seltener in die weiß dominierten Vorstände.

Dass die Perspektiven von BPoC in unserem Verband bis jetzt oft gefehlt haben, wird unter anderem am Stellenwert aktiver Antirassismus-Arbeit in unserem Verband sichtbar.

Dieser Antrag möchte die Perspektive des Antirassismus thematisch sowie organisatorisch aufzeigen. Damit wir Ras­sismus in unserem eigenen Verband bekämpfen können, aber auch als Querschnittsthema in unseren vier Grund­werten zu verstehen begreifen.

Feminismus und Diversität

In den letzten Jahren wird in feministischen Kontexten immer mehr von Intersektionalität gesprochen, obwohl es den Begriff schon einige Jahrzehnte gibt und den intersektionalen Feminismus als Idee schon über 100 Jahre.

Alle reden von Intersektionalität – doch was ist das?
Intersektionalität wurde als Begriff Ende der 1980er Jahre von Kimberlé Crenshaw zum ersten Mal genutzt und be­schreibt die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen aufgrund verschiedener Faktoren wie Rassis­mus, Klassismus, Homo-und Transhate, Behindertenfeindlichkeit und Sexismus. Intersektionalität geht es um die Anerkennung der Schnittmenge (engl.: intersection) und das Zusammenspiel dieser, da zum Beispiel eine schwarze Frau anders diskriminiert ist als eine weiße Frau und anders als ein schwarzer Mann. Zu oft erscheinen im Kampf gegen Diskriminierung die unterschiedlichen Formen als Auflistung. Dass sich unterschiedliche Diskriminierungsfor­men in einer Person widerspiegeln können und sie in unterschiedlichen Kontexten aufgrund verschiedener Aspekte ihrer Person sowie auch in dem Zusammenspiel dieser diskriminiert wird, wird oft im Kampf gegen die Unterdrückung und Diskriminierung bestimmter Gruppen nicht mitgedacht.

Da Frauen als diskriminierte Gruppe im Gegensatz zu anderen benachteiligten Gruppen keine Minderheit sind, finden sich vor allem bei ihnen Schnittmengen, weswegen Intersektionalität meist intersektionaler Feminismus bedeutet. Entstanden und geprägt wurde der Begriff durch die Perspektive von Women of Color (WoC).

Doch auch wenn Intersektionalität im feministischen Diskurs immer mehr Zustimmung bekommt, scheint es oft bei der Zustimmung zu bleiben und die Umsetzung in der feministischen Praxis fällt oft noch sehr schwer.

Intersektionen auch im Verband mitdenken
Der weiße Mainstream-Feminismus in unserer Gesellschaft thematisierte jahrelang lediglich die Unterdrückungs­erfahrungen weißer Mittelschichtsfrauen innerhalb des Patriarchats, ließ aber eine tiefergehende Analyse vom Zu­sammenspiel von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus eher außen vor. Gleichzeitig haben FLINT*-Personen in sozialistischen Bewegungen in den letzten 150 Jahren zwar gerade die Geschwisterschaft von Patriarchat und Kapita­lismus nicht nur am eigenen Leben erfahren, sondern auch thematisiert. Gerade die Geschichten von Arbeiterinnen* zeigen, dass es „den Feminismus“ auch in Deutschland nie gegeben hat, sondern verschiedene feministische Bewe­gungen existierten und existieren. Als Leerstelle feministischer Debatten, die in der Breite geführt wurden, ist im 20. Jahrhundert dabei jedoch insbesondere Rassismus hervorzuheben, der gerade in Deutschland erst in der jüngsten Vergangenheit überhaupt eine größere Rolle einnimmt.

In unserem Verband findet der Intersektionale Feminismus immer mehr Gehör, um die verschiedenen Lebensrea­litäten anzuerkennen. Gerade diese Kombination aus verschiedenen Diskriminierungsformen führt im Leben vieler Menschen zu enormen Hürden. Bei der Chance auf Bildung, Wohlstand oder im Alltagsleben, aber auch in unserem Verband und unserer Mutterpartei sind enorme Widerstände zu erkennen. Es ist bemerkenswert, wie homogen un­ser Verband aufgestellt ist, denn die Perspektiven von WoC, Menschen mit Behinderung, Nicht-Akademiker*innen, queeren Menschen und vielen mehr sind häufig unterrepräsentiert und deshalb im Diskurs weniger sichtbar.

Queer politics
Wie der feministische Diskurs meist nur von der Perspektive der weißen hetero cis Frau geprägt ist, ist oft die Debatte um Queer politics geprägt von weißen homosexuellen Männern. Obwohl die Anfänge der LGBTQIA+­Befreiungsbewegung definitiv auf Personen, wie die schwarze Transfrau Marsha P. Johnson, die die Stonewall-Proteste 1969 mit anführte, zurückzuführen ist, werden die Perspektiven und Kämpfe von Queeren People of Co­lor und ihre Mehrfachdiskriminierung im Diskurs oft nicht gehört, wertgeschätzt oder noch schlimmer, wie im Fall der Rezeption der Stonewall-Proteste als irrelevant abgetan. Der Kampf um Gleichstellung in einer patriarchalen und rassistischen Ordnung, stellt sich für BQoC als besonders herausfordernd, denn sie kämpfen nicht nur dort, sondern auch oft in ihren Communitys um Gleichberechtigung. In unserer Bildungsarbeit müssen wir den Kampf der BQoC sichtbar machen.

Intersektionalität ist unsere Verantwortung
Wir als jungsozialistischer Verband haben die Verantwortung, die Lebensrealitäten mehrfach diskriminierter Men­schen anzuerkennen und den prägenden Mechanismen von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus aktiv entge­genzutreten. Das aktive Empowerment und Schaffen safer Spaces für WoC, Queers (of Color) und Menschen mit Behinderung muss unser konkretes Ziel werden. Ebenso müssen diese Gruppen vermehrt in unseren Strukturen repräsentiert werden. Die Zeit ist mehr als reif, dass wir nicht nur Intersektionalitat in unserem politischen Denken einbinden, sondern auch aktiv umsetzen. WoC mussen in unserem Frauenempowerment-und Frauenvernetzungs­strukturen eine großere und feste Rolle spielen, um dem inneren Zwiespalt zwischen dem Antirassistischen und Fe­ministischen Kampf aufzulosen. Dabei müssen WoC auch in unseren Frauenvernetzungsstrukturen ein safer Space bereit gestellt werden.Es 74ist sehr gut, dass immer mehr Frauen im Verband sich vernetzen und empowern. Unsere Juso-“Girl-Gangs“ sollen alle marginalisierten Gruppen mit einschließen und jeder Perspektive Raum geben.

Sozialismus

Weniger Eurozentrismus im Sozialismus
In unserem Verband behandeln wir oft das Thema Sozialismus und das Proletariat. Insbesondere wenn wir über das Proletariat sprechen, muss klar sein, wer das Proletariat ist. Wie auch in vielen anderen Themen der Gesellschaft erfahren migrantische und post-migrantische Realitäten und Lebenssituationen nur wenig Beachtung und Raum so­wohl in der sozialistischen als auch gesamtgesellschaftlichen Erzählung. Uns ist noch viel zu wenig bewusst, welch großen Beitrag Gastarbeiter*innen, ihre Nachkommen und viele andere migrantische Gemeinschaften in unserer Gesellschaft und Wirtschaft geleistet haben und es heute noch tun. Das liegt vor allem daran, dass unsere von struk­turellem Rassismus geprägte Gesellschaft wo sie nur kann Berührungspunkte etwa mit der Kolonialvergangenheit aktiv vermeidet. So gibt es zwar einige Beispiele wo etwa in Lehrplänen wichtige Perspektiven, wie der Kolonialismus oder die Geschichte Deutschlands als Einwanderungsland Berücksichtigung finden, unser Bildungssystem ist stark eurozentrisch und 87weiß geprägt.

Unsere Sicherheitsbehörden sind nicht frei von strukturellem Rassismus.
Nicht erst seit der Debatte um die Racial-Profiling-Studie wird klar, dass die Reproduktion von rassistischen Denk­mustern in staatlichen Institutionen stattfindet. Die weiße Mehrheitsgesellschaft verleugnet Mikroaggressionen, die BPoC alltäglich erleben. Ohne konkreten Verdacht werden migrantisch gelesene Menschen gehäuft kontrolliert und beschuldigt – das Handeln seitens der Sicherheitsbehörden stellt BPoC unter Generalverdacht und verhärtet und legitimiert durch ihr eigenes Handeln das rassistische Denken in der Gesellschaft. Die Erzählung der Sicherheitsbe­hörden, dass Morde, Attacken und Übergriffe auf BPoC „Einzelfälle“ seien, muss enden. Eine Aufarbeitung und Reform im Sicherheitsapparat muss schnellstmöglich stattfinden. Dafür muss man zunächst die rassistischen Strukturen klar benennen, statt sie zu verneinen; Fälle in den eigenen Reihen lückenlos aufklären und Konsequenzen ziehen.

Identität als Spielball rechtskonservativer Politik
Noch immer werden die Debatten von Nationalkonservativen gesteuert; es ist bewusst die Rede von einem „Heimat­ministerium“ statt Integration. Über ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen haben einen Migrationshin­tergrund und immer wieder wird das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft instrumentalisiert. Die Optionspflicht zwingt BPoC sich zu entscheiden; es spricht BPoC ab, Teil der deutschen Gesellschaft zu sein. Eine deutsche Staats­angehörigkeit ist kein alleiniger Garant gelungener Integration und eine doppelte Staatsbürgerschaft ist kein Indiz dafür, dass man sich nicht der deutschen Gesellschaft zugehörig fühlt. Die Optionspflicht entwurzelt Millionen von Menschen. Die Optionspflicht entwurzelt Millionen von Menschen und sollte deswegen abgeschafft werden. 

Antifaschismus

AntiFa ist nicht AntiRa
Wir wollen das innerverbandliche Verständnis dafür stärken, dass Antirassismus nicht mit Antifaschismus gleichzu­setzen ist, auch wenn sie im unmittelbaren Zusammenhang zueinanderstehen. Der Kampf gegen Faschismus stellt dabei nur einen Teil des Kampfes gegen Rassismus dar. Antirassismus ist für BPOC ein alltäglicher Kampf, dem sie sich nicht entziehen können. BPOC sind Rassismus ständig ausgesetzt, auch außerhalb von faschistischen Strukturen.

Rassismus umfasst Ideologien und Praxisformen auf der Basis der Konstruktion von Menschengruppen als Abstammungs-und Herkunftsgemeinschaften, denen kollektive Merkmale zugeschrieben werden, die implizit oder explizit bewertet und als nicht oder nur schwer veränderbar interpretiert werden. Diese Rassismen finden sich in jedem gesellschaftlichen Raum wieder.

Alltagsrassismus ist keine Bagatelle
Besonders der sogenannte Alltagsrassismus ist hierbei zu nennen, bei dem die soziale Praxis und die Denkschema­ta einer größeren sozialen Gruppe dann als rassistisch zu bewerten sind, wenn ein „Wir“ konstruiert und aus dieser Position die Andersartigkeit der Wertung „unserer“ Normalität gegenüber den „Anderen“ machtvoll äußert oder prak­tiziert wird, mit der Folge, dass die so Kategorisierten ausgeschlossen werden. Dieser befindet sich auch außerhalb faschistischer Strukturen und ist mit derselben Entschlossenheit zu bekämpfen wie Faschismus als solcher.

Rassismus ist mithin ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen, in der rassifizierte Gruppen hierarchisch festgeschrieben sind. Dem liegt der Gedanke inne, dass Menschen aufgrund bestimmter phänotypischer Merkmale einen niedrigeren Wert für die Gesellschaft mit sich bringen. Diese Stereoty­pisierung ist gesamtgesellschaftlich tief in unser ganzes System eingraviert. Weiß gelesene Personen werden als In­dividuum betrachtet, während BPoC als Stellvertreter*innen einer ganzen Gruppe gesehen werden, wobei es meist negative Attribute sind, die mit der Herkunft in Verbindung gebracht werden. Auch diesem Stereotype Threat ge­nannte Teil rassistischen Verhaltens ist mit Entschlossenheit entgegenzutreten.

Unsere Verbandsarbeit ist antirassistisch
Unser Ziel ist es, Rassismus genauso wie den Faschismus zu entblößen und bekämpfen. Rassismus ist facettenreich und oft subtil. Wir sehen uns bei Rassismus damit konfrontiert, dass rassistische Denkmuster in allen gesellschaft­lichen Schichten, teilweise sogar unbewusst, weit verbreitet sind. Daher braucht es auch innerverbandlich 134ein verstärktes Bewusstsein, um antirassistische Strukturen zu etablieren, um somit auch außerhalb des Faschismus liegende rassistische Verhaltensweisen abzubauen.

Es gilt den wachsenden Aggressionen gegenüber Minderheiten eine klare Haltung und Praxis der Solidarität mit den Betroffenen entgegenzusetzen und gemeinsam für den Schutz der Menschenwürde sowie Demokratie und Vielfalt einzutreten.

Neben der antifaschistischen Arbeit müssen hierbei mehr Optionen und mehr Bilder geboten werden, Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben, Herkünften, Körpern muss mehr Entscheidungsmacht eingeräumt werden. Dabei reicht es nicht, BPoC sichtbarer zu machen. Sie müssen auch hinter den Kulissen mitarbeiten können. Nur so trägt man zu einer strukturellen Veränderung bei, die BPoC tatsächlich fördert.

Viele Jusos stellen sich jede Woche dem wieder erstarkenden Faschismus entgegen. Das ist von großer Bedeutung, denn Antifaschismus und Antirassismus ist ein Kampf, der gemeinsam geführt werden muss., der gemeinsam geführt werden muss. Uns ist jedoch wichtig, dafür zu sensibilisieren, dass Antirassismus neben Antifaschismus trotz Über­schneidungen eigenständige Ansätze hat, die es nicht zu vernachlässigen gilt. Antirassimus soll in unserem Verband endlich derselbe Stellenwert zugerechnet werden, wie dem Antifaschismus. Hierbei soll auch die besondere Rolle des Antisemitismus nicht unerwähnt bleiben. Antisemitismus kommt in allen Bevölkerungsschichten und -gruppen vor und exkludiert Jüdinnen* und Juden auf besondere Art und Weise, welche unter den Definitionsmerkmalen des Ras­sismus nicht entscheidend erfasst werden können. Jüdische Genoss*innen sollen dabei in unserem Verband nicht unsichtbar gemacht und eine Partizipationsmöglichkeit zur Vernetzung ermöglicht werden.

Internationalismus

Kolonialismus und unsere Verantwortung
Wie viele andere europäische Länder muss auch Deutschland Verantwortung übernehmen für seine kolonialistische und imperialistische Vergangenheit und ihre Folgen bis heute. Ab 1884 bis zum Ende des ersten Weltkriegs kolo­nisierte das damalige Deutsche Reich zahlreiche Gebiete in Afrika und im Asien-Pazifik-Raum. Dabei wurden der einheimischen Bevölkerung wichtige Ressourcen gestohlen und sie oftmals durch Zwangsarbeit ausgebeutet. Wi­derstand begegnete die deutsche Kolonialherrschaft mit brutaler Gewalt, wie der Völkermord an den Herero und Nama in Namibia 1904-1908 (bis zu 100.000 Tote) oder die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes in Tansania 1905-1908 (250.000-300.000 Tote) belegen. Dieses Handeln des Deutschen Reichs wurde vor Ort und zu Hause mit rassistischen und kolonialen Diskursen und Narrativen legitimiert, welche die Kolonisierten abwertete und ihnen die Menschenwürde nahm.

Wir müssen anerkennen, dass rassistische und koloniale Denkstrukturen und Handlungsmuster in der deutschen (und europäischen) Gesellschaft leider auch nach dem Ende der Kolonien bis heute fortbestehen. Erstens ist die ko­loniale Vergangenheit unseres Landes und die damit verbundenen Verbrechen gesellschaftlich immer noch nicht umfassend aufgearbeitet. Dieser Mangel an eigener Vergangenheitsbewältigung wirkt sich nicht nur negativ auf das Leben von vor allem Schwarzen Menschen und People of Color in Deutschland aus. Er hat – zweitens – auch Fol­gen für unsere Außenpolitik, in der besagte rassistische und koloniale Denkstrukturen und Handlungsmuster immer wieder auftauchen. Das zeigt sich nicht nur in der Art und Weise, wie Deutschland Forderungen seitens der Herero und Nama zur Aufarbeitung des Völkermords begegnet. Es zeigt sich auch allgemeiner in unserer Entwicklungs-und Migrationspolitik.

“Wär‘ ich nicht arm, wärst du nicht reich” Die Akteur*innen aus dem globalen Norden verschaffen sich immer wei­ter Kontrolle über die Ressourcen und die Finanzmärkte der Länder im globalen Süden. Instrumente, die teilweise dazu genutzt werden, können z.B. der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank (WB) und diverse Institu­tionen der Europäischen Union. Die einseitige Wirtschaftspolitik kann zur Folge haben, dass international agierende Konzerne ihre Interessen in den ärmeren Ländern dieser Welt schamlos durchsetzen können und undenkbare Profite erzielen durch niedrige Lohn-und Sozialstandards und Verursachung irreparabler Umweltschäden.

Entwicklungszusammenarbeit Wir wollen uns weiterhin mit Entwicklungszusammenarbeit kritisch auseinanderset­zen. EZ muss für uns stets in Zusammenarbeit und auf Augenhöhe mit der Bevölkerung vor Ort geschehen und sensibel sich damit auseinandersetzen, dass ein ungleiches Machtverhältnis besteht. Antirassismus muss auch hier ansetzen und es darf den Ländern kein westliches System aufgedrückt werden. Außerdem sehen wir, dass EZ nur gelingen kann, wenn das Wirtschaftssystem sich ändert und nicht auf einer Ausbeutung des globalen Südens fußt, sondern ein gleichberechtigter Zugang ermöglicht wird.

Klimawandel als Fluchtursache anerkennen
Vor allem der Punkt der Klimaflucht muss hierbei viel mehr zu Bewusstsein kommen. Das ausbeuterische und Res­sourcen zerstörende Treiben der Industriestaaten wird primär die Länder des globalen Südens betreffen. Dort führen schon heute die Auswirkungen in Form von Dürre, Hitze und Überschwemmungen dazu, dass Millionen Menschen ihrer Heimat und Lebensgrundlage beraubt werden und sich die Situation immer weiter zuspitzt. Somit sind die Ver­lierer*innen unseres Lebensstils die Menschen des globalen Südens, die paradoxerweise eigentlich die Mehrheit der Menschheit darstellen.

Internationalismus über Europa hinaus
Die Frage, der wir uns nun stellen müssen, ist, in welchem Verhältnis wir, die sich als internationalistischer Verband verstehen, zu dieser Ordnung stehen. Die Verantwortung, die wir gegenüber dem globalen Süden haben, ist immens und dennoch müssen wir Wege der Zusammenarbeit finden, die einen gemeinsamen Prozess auf Augenhöhe und Selbstbestimmung zum Ziel haben und nicht koloniale Denkstrukturen in vermeintlich guter Absicht reproduzieren.

Organisiert euch!

Aus Fragezeichen Ausrufezeichen machen!
Aus den genannten Punkten ergeben sich für uns Jusos Arbeitsaufträge, denen sich im Rahmen des nächsten Arbeits­programmes angenommen werden sollte, die verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Perspektive von BPoC und explizit WoC stets einzubinden. Um diesem facettenreichen Themenfeld gerecht zu werden, benötigt es daher langfristig ge­eignete Debattenräume, die sich diesen Themen annehmen. Innerhalb dessen soll erarbeitet werden, inwiefern wir die antirassistische Perspektive berücksichtigen, wenn wir über unsere Grundwerte diskutieren.

Wir müssen darauf achten, dass die Themen auch in der zukünftigen Verbandsarbeit eine Rolle spielen. Beispiels­weise könnten die Bundesprojekte durch ein weiteres zum Thema Rassismus ergänzt werden, ein zusätzliches Empowerment-Programm für BPoC könnte im Wechsel zum Frauen-Empowerment eingeführt werden und eine ste­tige Vernetzungsmöglichkeit für BPoC sollte geschaffen werden.

Konkrete Vorschläge zur Implementierung und Umsetzung unserer antirassistischen Verbandsarbeit werden nach Abschluss der erstmaligen BPoC-Vernetzung detaillierter erarbeitet und werden beim Prozess des kommenden Ar­beitsprogramms berücksichtigt.

Antirassismus bedeutet nicht nur gegen Faschist*innen zu sein, sich Hass und Hetze entgegenzustellen und ist nicht immer mit Antifaschismus gleichzusetzen. Antirassismus muss sich in jedem unserer Grundwerte wiederfinden, da­mit gewährleistet werden kann, dass sich die Lebensrealität und die Probleme von BPoC angenommen wird.

Auf Probleme Aufmerksam machen
Als Jusos ist es uns wichtig, jedem Menschen in einer angenehmen Atmosphäre frei von Diskriminierung Raum zur politischen Selbstentfaltung zu bieten. Daher gibt es auf allen Bundesveranstaltungen ein Awareness-Team, dessen
Mitglieder als Vertrauenspersonen fungieren und das sich dem Unwohlsein von Teilnehmenden annimmt, die sexis­tisches Verhalten von anderen Teilnehmenden oder Außenstehenden erfahren haben. Doch macht Diskriminierung da keinen Halt: In einem mehrheitlichen weißen Verband ist leider die Realität, dass BPoC immer noch Antirassismus erweitert werden. Des Weiteren soll darauf geachtet werden, dass auch BPoC Teil von Awareness-Teams sind.

Bildungsarbeit und Reflexion allein reichen nicht!
Es ist kein Geheimnis, dass BPoC aufgrund der in diesem Antrag schon ausführlich analysierten strukturellen Ge­gebenheiten aktiv gefördert und empowert werden müssen. Beispielsweise ist der SPD-Parteivorstand weit davon entfernt, die selbst beschlossene Zielvorgabe von 15 Prozent Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte einzu­halten, gleichzeitig sind noch in einigen Juso-Verbänden BPoC unter-oder gar nicht repräsentiert. So sollten wir Jusos, als progressiver Verband, mit gutem Beispiel vorangehen und im Juso-Bundesvorstand sowie in den Landes-und Be­zirksverbänden BPoC und vor allem WoC Platz in ihren Vorständen einräumen, aber auch im Allgemeinen diese gezielt ansprechen, ermutigen und fördern.

Wie in dem aktuell beschlossenen Arbeitsprogramm richtig festgestellt, gelingt es dem Verband noch nicht ganz, die Diversitat unserer Gesellschaft auch in den eigenen Reihen abzubilden. Insbesondere BPoC sind in unseren Struktu­ren fast uberall stark unterrepräsentiert. In manchen Verbandsteilen gelingt die Reprasentanz aktuell besser als in anderen.

F*ck your racism!
Deutschland ist ein Einwanderungsland, denn ein Viertel der hier lebenden Menschen hat einen Migrationshinter­grund. Auch die Jusos müssen ihre Strukturen für Menschen mit Migrationsgeschichte weiter öffnen.

Dieser Antrag versteht sich als ein erster Anstoß der Debatte. Viele angesprochene Aspekte bedürfen ausführlicher Analysen, denn in unserer Gesellschaft sowie unserem Verband stehen wir gerade am Anfang einer aktiven Diskurs­verschiebung, in der BPoC nicht mehr hinnehmen werden, dass nur über sie und nicht mit ihnen gesprochen wird. Die Aufarbeitung von Rassismus im Alltag sowie auf institutioneller Ebene ist mehr als dringend erforderlich.