Antrag G06: Sexarbeit ist Arbeit!
Sexarbeit differenziert betrachten: Selbstbestimmte
Sexarbeit, Prostitution und Zwangsprostitution
In unserer Gesellschaft denken viele bei “Prostitution” häufig an ein System, das
Menschen dazu nötigt, ihren Körper und sexuelle Handlungen zu verkaufen. Dies ist
jedoch ein Verständnis, das zu kurz greift. Differenziert werden muss zwischen
Zwangsprostitution, die sich dadurch auszeichnet, dass die ausübenden Personen durch
Dritte zur Arbeit gezwungen beziehungsweise genötigt werden und die häufig mit
Menschenhandel einhergeht, zweitens die Prostitution, die sich durch strukturelle
Zwänge, wie etwa finanzielle Probleme, auszeichnet und drittens die Sexarbeit, bei
der die ausübenden Personen autonom für sich entschieden haben dieser Arbeit
nachzugehen. Sexarbeit als Arbeit unterliegt als solche letztendlich immer
ökonomischen Zwängen. Darüber hinaus ist es wichtig, eben diese selbstbestimmte
Sexarbeit zu entstigmatisieren. Allerdings muss hier gesondert darauf hingewiesen
werden, dass der Anteil derer, die selbstbestimmte Sexarbeit durchführen, nicht die
Mehrheit in dieser Branche darstellt. Meist sind dies privilegierte FINTA, die diese
Arbeit ohne jegliche Zwänge durchführen. Der Großteil der Menschen in dieser Branche
sind den Bereichen der Prostitution oder Zwangsprostitution zuzuordnen. Daher muss
dies unter anderen Gesichtspunkten und gesondert betrachtet werden. Eine Lösung wie
das Nordische Modell oder Sexkaufverbot, das lediglich Kund*innen kriminalisiert und
dabei Sexarbeiter*innen außenvorlassen möchte, führt allerdings zu vermehrter
Illegalität und Verdrängung der selbstbestimmten Arbeit und gefährdet so
Sexarbeiter*innen - so ist es in Ländern erkennbar, die diese Regelung eingeführt
haben. Frauen sollen selbstbestimmt entscheiden, ob sie sich für Sex bezahlen lassen
wollen oder nicht, ohne dass sie dafür stigmatisiert werden oder ihre Arbeit nicht
anerkannt wird. Aber selbstbestimmte Sexarbeit existiert im Patriarchat und kann
nicht losgelöst davon betrachtet werden. Dass in unserem patriarchalen System Männer
Besitzansprüche an Frauenkörper einfordern und sie dies erfolgreich dadurch tun,
Frauen für Sex zu bezahlen, ist problematisch. Deshalb müssen wir bei der politischen
Diskussion über Sexarbeit, Prostitution und Zwangsprostitution auch immer die Rolle
der (überwiegend) männlichen Freier berücksichtigen. Denn zur Realität von
Sexarbeiter*innen, Prostituierten sowie Zwangsprostituierten gehört, dass sie
möglichen Übergriffen von Freiern meist schutzlos ausgeliefert sind. Weil sie ihren
Körper für sexuelle Dienstleistungen anbieten, haben sie de facto keine Möglichkeit
strafrechtlich relevante Übergriffe zur Anzeige zu bringen. Auch hier greift abermals
die starke Stigmatisierung zum Nachteil der Sexarbeiter*innen, Prostituierten und
Zwangsprostituierten. Als Jusos wollen wir deshalb problematisieren, dass es am Ende
des Tages eben Sexarbeiter*innen, Prostituierte und Zwangsprostituierte sind, die die
Konsequenzen der Handlungen der Freier, die sich meist eben nicht darum scheren, ob
ihr gegenüber die Arbeit selbstbestimmt durchführt oder nicht, tragen müssen. Ganz
klar steht für uns allerdings fest: Das nordische Modell ist nicht unseres!
Gerade im illegalen Bereich, in dem die Zwangsprostituierten, die diese Arbeit
ausüben, nicht selbstbestimmt sind, sind die psychischen Erkrankungen, wie Sucht,
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen signifikant häufiger
vertreten als in der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig haben diese Menschen einen
deutlich erschwerten Weg ins Hilfesystem oder kommen erst gar nicht dahin. Während
der Corona-Zeit hatten außerdem auch Sexarbeiter*innen und Prostituierte massive
Probleme, sei es durch Einkommensnot oder Berufsverbote mit darauffolgender
unvermeidbarer Arbeit im illegalen Bereich. Deshalb gilt es besonders jetzt, erneut
darauf hinzuweisen, in welchen prekären Situationen sich Sexarbeiter*innen,
Prostituierte und Zwangsprostituierte befinden, und die Gewährleistung einer sicheren
Ausübung dieses Berufs zu fordern und Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte und
Zwangsprostituierte zu verbessern. Sexarbeit, Prostitution und Zwangsprostitution
muss auch aus intersektionaler Perspektive, also der Verschränkung von race, class
und gender, betrachtet werden. Insbesondere in der (Zwangs-)Prostitution kommen
patriarchale, rassistische, koloniale und kapitalistische Verhältnisse zusammen. So
kommen etwa 90% der in Deutschland in der Prostitution tätigen Frauen aus den
ökonomisch benachteiligten Ländern Europas. Frauen, die nicht “nur” unter
patriarchalen Strukturen leiden, sondern zudem auch von Rassismus betroffen oder
ökonomisch stark benachteiligt sind, stehen aufgrund ihrer Diskriminierungen oft
nicht vor einer “freiwilligen Wahl”, sondern haben schlicht wenig andere
Möglichkeiten. Dies betrifft im Kontext der Prostitution häufig Rom*nja und
Sinti*zze. Die Grenzen zwischen Prostitution und Zwangsprostitution können fließend
sein. Diese Überschneidung kolonialer und patriarchaler Strukturen gipfeln
letztendlich indem, was meist als Zwangsprostitution verstanden wird. Einem
Verhältnis in welchem Frauen nach klassischen Definitionen gewaltvoll zur
Prostitution gezwungen werden. Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden, müssen
täglich enorme sexualisierte Gewalt erfahren, weshalb in diesem Fall keineswegs von
einem Arbeits-, sondern viel mehr von einem gewaltvollen Ausbeutungsverhältnis die
Rede sein muss. Aber auch die Sexarbeit ist durch rassistische Strukturen geprägt,
welches sich beispielsweise an der Fetischisierung einer bestimmten
Migrationsvorgeschichte und race, darstellt. Diese Fetischisierungen bestehen auf
rassistischen Zuschreibungen von Stereotypen. Dementsprechend müssen Sexarbeit,
Prostitution und Zwangsprostitution auch immer intersektional gedacht werden.
Unser Ziel als Jusos ist es, diese Arbeit, wie jede andere auch, bestmöglich zu
unterstützen und Sexarbeiter*innen, Prostituierte und Zwangsprostituierte zu
schützen. Wir müssen Sexarbeiter*innen helfen, die diese Arbeit nicht zwanglos
ausüben können und verschiedene Hilfsangebote schaffen. Die Selbstbestimmung des
eigenen Körpers sollte immer unabdingbar sein - dabei dürfen Menschen, die diese
Arbeit als ihren Beruf ansehen, nicht ausgeschlossen werden.
Wir wollen alle Sexarbeiter*innen adäquat unterstützen und schützen und deshalb steht
für uns fest:
Wir fordern einen Ausbau der finanziellen Förderung von Programmen, die
Sexarbeiter*innen, die freiwillig diesen Beruf ergreifen, begleiten.
Im Bereich der Sexarbeit gibt es Programme wie z.B. von Hydra e.V., die Treffen und
Beratungen organisieren, um die Menschen auf ihren Beruf vorzubereiten. Hier besteht
die Möglichkeit, sich offen und ohne Scham über schon bereits gemachte Erfahrungen
auszutauschen und zu lernen, wie man sich schützen kann. Es ist unabdingbar, dass in
diesem Bereich eine stärkere und bessere Vernetzung stattfinden kann. Deshalb ist
eine staatliche Förderung solcher Programme sinnvoll und sollte finanziell ausgebaut
werden.
Wir fordern eine Förderung der Entstigmatisierung des Berufs und einer aktiven
Aufklärungsarbeit
Ein großer Teil der Bevölkerung schließt Menschen mit diesem Beruf aus Teilen des
gesellschaftlichen Lebens aus, hat Vorurteile und stigmatisiert diese Menschen. Des
Weiteren sollten Menschen, die aussteigen wollen, Unterstützung, auch gesetzlich,
gegen Diskriminierung erhalten. Es ist immer noch der Fall, dass ehemalige
Sexarbeiter*innen, Prostituierte und Zwangsprostituierte große Lücken in ihrem
Lebenslauf bei Bewerbungen in Kauf nehmen, weil sie wissen, dass sie keine Ausbildung
oder einen Job bekommen, wenn sie angeben, was sie beruflich gemacht haben. Die
gesellschaftliche Entstigmatisierung und Akzeptanz selbstbestimmter Sexarbeit, würde
also auch bedeuten, dass Menschen selbstbestimmt aus diesem Beruf aussteigen können
und nicht dadurch fürchten müssen, keine Anstellung im Anschluss zu finden.
Wir fordern die stärkere finanzielle, materielle und personelle Förderung von
Programmen für Aussteiger*innen aus der Zwangsprostitution, Prostitution und
Sexarbeit im Rahmen von Notunterkünften und niedrigschwelligen Beratungsstellen.
Ebenfalls ist es eine wichtige Aufgabe, allen Menschen, die diese Arbeit nicht mehr
machen wollen oder nie machen wollten, schnelle und einfache Möglichkeiten zu bieten,
aus der Prostitution bzw. Sexarbeit auszusteigen. Hierfür gibt es bereits vorhandene
Strukturen, die erweitert und staatlich gefördert werden sollten. Beratungsstellen
helfen dabei den Sexarbeiter*innen, Prostituierten und Zwangsprostituierten
Bewerbungen zu formulieren, sie zu schützen und vor potenzieller Gewalt abzuschirmen.
Auch hier wird deutlich das Strukturen wie Frauen*häuser ausgebaut und die Platzzahl
erhöht werden muss. Die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention, wie wir Jusos
sie schon lange fordern, würde demnach auch für Sexarbeiter*innen, Prostituierte und
Zwangsprostituierte, die sich für einen Ausstieg entscheiden positive Folgen haben.
Die Beratungsstellen begleiten diese Menschen oft über einen langen Zeitraum, weshalb
mehr geschulte Sozialarbeiter*innen in diesem Bereich benötigt werden. Organisationen
wie z.B. Olga e.V. (Unterstützung primär bei Drogenabhängigkeit von Frauen*) oder
Hydra e.V. sind sehr nah und niedrigschwellig bei Sexarbeiter*innen, Prostituierten
und Zwangsprostituierten und können so besser eingreifen und unterstützen. Häufig ist
es so, dass eine lange Begleitung notwendig ist, weshalb es umso wichtiger ist
Strukturen wie Notunterkünfte, niedrigschwellige Beratungen und Zukunftsperspektiven
staatlich zu fördern und die vorhandenen Strukturen auszubauen und zu fördern.
Wir fordern eine Änderung des Prostitutionsgesetzes (ProstG), sodass die
Eigenständigkeit und Selbstständigkeit von Sexarbeiter*innen stärker herausgestellt
und gefördert wird.
2016 wurde das Prostitutionsgesetz novelliert. Das neue Prostitutionsschutzgesetz
sieht u.a. eine Kondompflicht, eine Registrierung und regelmäßige
Gesundheitsuntersuchungen vor. Einige dieser eingeführten Erneuerungen wie etwa die
Kondompflicht halten wir durchaus für sinnvoll. In einer Überarbeitung soll
allerdings differenziert evaluiert werden, welche Maßnahmen tatsächlich die
Sexarbeiter*innen unterstützen und schützen und, welche in eine gefährdende und
stigmatisierende Richtung gehen. Das Gesetz weist allerding Mängel aus. So fehlt
bspw. eine klare Differenzierung zwischen selbstständig ausgeführter Arbeit
(einzelner oder Zusammenschlüsse von Sexarbeiter*innen) und Sexarbeit über
“Zwischenhändler*innen”. Dabei sollte der Fokus darauf liegen, selbstständige
Arbeitsmodelle bzw. selbstständig organisierte Gruppen zu fördern. In der Konsequenz
kann das Geschäftsmodell nur als durch Sexarbeiter*innen selbst organisiertes weiter
bestehen. Sexarbeiter*innen, Prostituierte und Zwangsprostituierte müssen außerdem
Anspruch auf Sozialleistungen erhalten.
Wir fordern die Förderung und den Ausbau von professioneller therapeutischer
Begleitung im Bereich der Sexarbeit und Prostitution.
Dieser Beruf ist, auch wenn selbstbestimmt, psychisch belastender als viele andere
Berufe. Die häufigen Grenzüberschreitungen, die stattfinden können, müssen
aufgearbeitet werden. Deshalb sollten es spezielle Begleitmöglichkeiten geben, die
Sexarbeiter*innen niedrigschwellig in Anspruch nehmen können. Eine Integration von
Psycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und approbierte Psychotherapeut*innen, die auf
diesen Bereich spezialisiert sind, sollte in den Beratungs- und Vernetzungsstellen
etabliert werden. Dabei sollten flächendeckend mehrsprachige Beratung und auch
barrierefreie Kommunikation, beispielsweise in Form der Gebärdensprache, angeboten
werden. Damit könnten Situationen, in denen Grenzen überschritten wurden,
beziehungsweise Arbeit, der nicht selbstbestimmt nachgegangen wird, besser
aufgearbeitet und begleitet werden. Durch therapeutische Maßnahmen können
Sexarbeiter*innen ebenfalls lernen, mit kritischen Situationen umzugehen.
Wir fordern die Erweiterung und Förderung eines niedrigschwelligen Zugangs zur
Gesundheitsprävention von vulnerablen Gruppen.
Die bestehende Testpflicht für Sexarbeiter*innen wurde von vielen Sexarbeitsverbänden
kritisch gesehen. Dies liegt darin begründet, dass eine Pflicht unterstellt, dass
Sexarbeiter*innen zwingend alle Krankheiten hätten, was zur Stigmatisierung der
Personen und des Berufs beiträgt. Professionell ausgeführte Sexarbeit findet meist in
stark kontrollierten Kontexten statt, in welchen die Sexarbeiter*innen selbst ein
hohes Bewusstsein für Hygiene und gesundheitliche Vorsorge haben. Zudem sind sie die
einzige Berufsgruppe, bei der diese Art der Testpflicht besteht, was bereits eine
Unterstellung und Diskriminierung in sich darstellt.
Durch weniger professionalisierte Bereiche der Sexarbeit treten sexuell übertragbare
Krankheiten allerdings immer noch häufiger auf als anderswo.
Um die bestehende Testpflicht für Sexarbeiter*innen zugänglicher und
diskriminierungsfreier zu gestalten, ist eine Umgestaltung der Maßnahmen notwendig.
Dafür braucht es die Möglichkeit, sich in regelmäßigen Abständen kostenlos präventiv
bei Hausärzt*innen oder Gynäkolog*innen testen lassen zu können. Sexarbeiter*innen
sollen Zugang zu regelmäßigen (Selbst-)Tests haben, um sowohl sich selbst schnell
testen zu können, als auch potenzielle Kund*innen. Dabei müssen alle
Testmöglichkeiten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren sollten
regelmäßige ‚Gesundheits-CheckUps‘ auch bei Hausärzt*innen oder Gynäkolog*innen
gemacht werden können und nicht nur wie so häufig in gesonderten Stellen. Die
allgemeine Absonderung durch das Prostituiertenschutzgesetz berücksichtigt nicht den
Fall einer völlig eigenständigen Arbeit, sondern drängt die Menschen wieder in eine
Opferrolle.
Neben der direkten Testung der Sexarbeiter*innen ist es unabdingbar, auch die
Gesamtbevölkerung regelmäßig zu testen. Eine selbstverständliche und kostenlose
Testung bei den üblichen ärztlichen Check-Ups führt neben der Entdeckung von
Infektion auch zu einer massiven Entstigmatisierung von sexuell übertragbaren
Erkrankungen.
Ziel unseres politischen Handelns und Tuns, als Jungsozialist*innen, ist die
Überwindung des Patriarchats und des Kapitalismus, die ausbeuterische Strukturen
ermöglichen und begünstigen. Die im den voraus genannten Maßnahmen leisten einen
wichtigen Beitrag dazu, eine rein selbstbestimmte Sexarbeit zu ermöglichen und sicher
zu gestalten. Klares Ziel ist, dass Sexarbeit nur freiwillig ausgeübt wird. Wer dies
aber tut, verdient vollständige gesellschaftliche Akzeptanz, keine Benachteiligung
und eine vollständige Entstigmatisierung.