Antrag INI01: Zeitenwende – aber richtig!
Was aus dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine folgt
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde die europäische
Friedensordnung durch den russischen Präsidenten Putin pulverisiert und die nationale
Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine grundsätzlich negiert. Für viele von uns
bleibt das ein tiefer Einschnitt. Ein fast schon selbstverständlich gewordener
Frieden in Europa scheint auf einmal noch brüchiger als nach der russischen,
völkerrechtswidrigen Annektion der Krim. Die Frage, ob wir selbst einmal Krieg
erleben müssen, drängt sich auf einmal auf. Für viele Menschen - auch aus unserem
Verband - die familiäre Wurzeln in Ländern haben in denen bereits länger Krieg
herrscht, war Frieden nie selbstverständlich. Das ist eine Erkenntnis, die uns die
vergangenen Monate begleitet hat. So leben auch die Menschen in der (Ost-)Ukraine
faktisch bereits seit 2014 in einem einseitigen Krieg, seitdem die pro-russische
Regierung die demokratischen Maidan-Proteste mit militärischer Gewalt und gezielter
Desinformation beantwortete.
Mit unfassbarem Mut, einer bewundernswerten Entschlossenheit und Stärke verteidigen
die Ukrainer*innen ihre Freiheit und ihre Souveränität. Unsere Solidarität mit ihnen
bleibt ungebrochen. Es war und bleibt der richtige Schritt der sozialdemokratisch
geführten Bundesregierung das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstverteidigung
der Ukraine durch finanzielle, humanitäre und militärische Hilfe zu unterstützen. Die
Fortsetzung dieses Kurses - auch durch die Lieferung weiterer Waffen - halten wir für
notwendig, geboten und unterstützen wir . sie der Ukraine im Budapester Memorandum
auch von Russland zugesichert worden sind, sowie dem Recht auf freie Bündniswahl.
Schon 2014 war das Ziel der Maidan-Proteste eine engere Anbindung an die EU. 2022 hat
die Ukraine einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt. In diesem Streben, Teil der
EU zu werden, unterstützen wir die Ukraine ebenfalls. Zeitenwende. Anders als andere
in der Sozialdemokratie, sind wir jedoch der festen Überzeugung, dass sie sich
keinesfalls allein auf das Militärische bezieht. Insbesondere die russische
Begründung des Einmarsches in die Ukraine zeigt deutlich, dass es Russland um die
Sicherung eines „kulturellen“ Einflussgebietes geht. Der russische Angriffskrieg
basiert auf Imperialismus und wird genährt von Faschismus, der die Wertigkeit von
Menschen an ihrer nationalen Identität bemisst. Das Recht auf demokratische
Selbstbestimmung wird Menschen in diesen vermeintlich untergeordneten Ländern
abgesprochen. Gleichzeitig dienen Imperialismus und Faschismus für Autokratien wie
Russland dazu, die eigene Herrschaft zu legitimieren und von Repressionen und realen
Problemen im eigenen Land abzulenken. Ähnliche imperialistische Ziele beschreiben
auch andere Autokratien. Sie alle verfolgen dieses Ziel auch mit Hilfe von
Cyberangriffen unter anderem auf Wahlen, massiver Propaganda und mit wirtschaftlichen
Mitteln, die zu einer Abhängigkeit vieler Staaten weltweit geführt hat.
Angesichts dieser umfassenden Bedrohung der Demokratie nach außen wie nach innen,
geht es bei der Zeitenwende um nicht weniger als darum Menschenrechte und Demokratie
national wie global zu verteidigen. Diese Verteidigung erschöpft sich nicht in
militärischen Fragen, sondern hat ebenso globale, wirtschaftspolitische und
innenpolitische Dimensionen. Wer Zeitenwende sagt, muss Zeitenwende meinen. Für uns
ist damit nicht eine Verankerung militärischer Ausgaben im Grundgesetz gemeint.
Als Jungsozialist*innen stellen wir uns dieser umfassenden Debatte. Voraussetzung
dieser Kursbeschreibung bleibt dabei eine selbstkritische Grundhaltung. Denn hätten
wir – auch als Sozialdemokratie – in der Vergangenheit auf Augenhöhe zugehört, hätte
es weder Nord Stream 2 noch eine rein auf den ökonomischen Nutzen ausgerichtete
Haltung gegenüber Putin, die uns blind gegenüber seinen imperialistischen Zielen
gemacht hat, gegeben. Selbstkritisch zu sein, heißt aber auch die eigenen
Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen. Als Jusos waren wir nie pazifistisch. Das
Recht auf Frieden aller Menschen und der Schutz der Menschenrechte sind tiefer
Bestandteil unserer DNA. Als Verband bleiben wir antimilitaristisch.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine erfordert eine Zeitenwende - aber
richtig. Unsere Parameter und Bedingungen dieser Zeitenwende werden wir als
Jungsozialist*innen mit diesem Antrag bestimmen.
Ein neuer, breiter, jungsozialistischer Sicherheitsbegriff
Die Bundesrepublik muss ihre Rolle in Europa und in der Welt neu definieren.
Deutschland muss sich seiner Verantwortung bewusst werden. Zuletzt in der Finanzkrise
zeigte sich sehr deutlich, wie die Deutsche Außenpolitik Krisen im Ausland und einen
erstarkenden Nationalismus befeuern kann. Dies erfordert eine kritische Analyse der
eigenen Position und Entscheidungen innerhalb der deutschen Politik, aber auch
innerhalb der SPD. Die Stimme der jungen Generation muss mehr einbezogen und gehört
werden. Die Situation erfordert unter anderem eine Kritik des Euro- und
Westzentrismus, einen neuen Fokus auf feministische Außenpolitik sowie den Einbezug
von Perspektiven junger Menschen, um eine neue, zeitgemäße Außenpolitik und Rolle
Deutschlands in Europa und der Welt zu definieren und diese auch in alle
internationalen Organisationen zu tragen. In einer globalisierten Welt, in der
Beziehungen neu definiert werden, braucht es einen erweiterten Sicherheitsbegriff,
der über einen Fokus auf das Militär hinausgeht. Nicht nur der Schutz des Individuums
und der Menschenrechte ist dabei entscheidend, sondern auch die Bekämpfung des
Klimawandels und Armuts- und Hungerprävention sowie wirtschaftliche- und
gesellschaftlicher Sicherheit.
Was ist Sicherheit? Sicherheit ist mehr als nur die Abwesenheit von Krieg, Krisen und
Konflikten. Zwar ist die Sicherheit vor Gewalt geschützt zu sein und die körperliche
sowie psychische Gesundheit, Grundlage aller Sicherheit, aber unser Verständnis von
Sicherheit ist mehr als nur militärisch. Vielmehr muss Sicherheit breit gedacht
werden, verschiedene Perspektiven mit einbeziehen und gleichzeitig wehrhaft gegen
Angriffe von innen und außen sein. Ein breiter, jungsozialistischer
Sicherheitsbegriff orientiert sich dabei an Werten. Diese Werte geben uns
Orientierung und ermöglichen eine Positionierung. Werte sind vielfältig und niemals
frei von anderen Einflüssen. Wir orientieren uns an unseren Grundwerten, aber
erkennen an, dass eine konstante Reflexion der eigenen Werte dabei Voraussetzung für
Fortschritt bleibt.
Als sozialistischer Richtungsverband ist für uns klar: Außen- und Sicherheitspolitik
dient in der Regel kapitalistischen Profitinteressen. Das System, welches auf
Ausbeutung und Unterdrückung basiert, gilt es zu überwinden. Insbesondere in Hinblick
auf die Profitinteressen von Ländern des globalen Nordens, die die Länder des
globalen Südens ausbeuten. Sicherheit bedeutet, finanzielle Sicherheit und
menschenwürdige Lebensverhältnisse für alle zu schaffen und Ausbeutungsmechanismen
entgegenzuwirken. Wir wollen eine Welt, in der Staaten und Regionen fair und auf
Augenhöhe miteinander agieren. Deutschland und Europa sind in der Pflicht, darauf
hinzuwirken, eine Weltordnung zu erreichen, die kapitalistische
Ausbeutungsmechanismen bekämpft und imperialistischen Bestrebungen ein Modell der
internationalen Verständigung und Konfliktlösung gegenüberstellt.
Als feministischer Richtungsverband ist für uns auch eine feministische Außenpolitik
Teil unseres Selbstverständnisses. Dabei brauchen wir ein jungsozialistisches
feministisches Verständnis von Außenpolitik, um die Zementierung von militärischer
Gewalt und patriarchalen Dominanzen hinter uns zu lassen und ein intersektionales
Verständnis von Sicherheit zu formulieren, das die Perspektiven von marginalisierten
Gruppen miteinbeziehen und die Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt stellt.
Unsere feministische Außenpolitik ist intersektional und antikolonialistisch! Durch
die Berücksichtigung von den Perspektiven und Bedürfnissen marginalisierter
Bevölkerungsgruppen und die Ausrichtung von Sicherheit auf das Individuum statt auf
den Staat möchte unsere feministische Außenpolitik struktureller Ungleichheit und
Machthierarchien, wie der weißen Vorherrschaft oder dem kapitalistischen System
entgegenwirken. Unsere Vorstellung von feministischer Außenpolitik möchte
ausbalancierte Machtdynamiken und erkennt an, dass politische Entscheidungen das
Leben von verschiedenen Menschen unterschiedlich beeinflussen können. Hierbei bezieht
sich unsere feministische Perspektive nicht primär auf die Anerkennung von Frauen
oder FINTA sowie die Durchsetzung der Frauenrechte, sondern versteht sich als ein
Werkzeug zur Analyse und zum Hinterfragen bestehender, mitunter patriarchaler
Machtstrukturen. Wir rücken in unserem feministischen Verständnis besonders die
Klimakrise und die Zivilgesellschaft in den Vordergrund.
Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für unser aller Sicherheit, denn sie zerstört
unsere Lebensgrundlage. Der Globale Norden ist Hauptverursacher der Klimakrise, aber
der Globale Süden leidet vor allem unter den Folgen des Klimawandels. Die Zerstörung
der Lebensgrundlage führt zu Leid und Verteilungskämpfen, die Gewalt und Konflikte
befördern. Dies bedroht vor allem Sicherheit von FINTA und andere marginalisierte
Gruppen. Weiter betreffen die Folgen der Klimakrise vor allem arme Menschen, die auch
nicht Hauptverursacher der Klimakrise sind. Die Klimakrise global zu bekämpfen muss
zentral für unsere Außen- und Sicherheitspolitik sein. Deutschland und die anderen
Industrienationen müssen entsprechend ihrer Verantwortung für die Ursachen der
Klimakrise noch deutlich stärker als bisher auch Verantwortung für die Bekämpfung des
Klimawandels übernehmen und insbesondere Staaten des globalen Südens bei der
Bewältigung der jetzt schon sichtbaren Folgen unterstützen. Gleichzeitig ist klar,
die Klimakrise ist ein globales Phänomen und daraus folgt, dass Klimapolitik nur dann
wirkungsvoll sein kann, wenn alle Staaten darin eingebunden sind. Daher bedarf es
weiterhin internationaler Kooperation und multilateraler Foren, in deren Rahmen sich
auf gemeinsame Strategien und Maßnahmen verständigt wird. Diese aufrechtzuerhalten
und zu fördern erkennen wir als unsere Aufgabe an.
Eine starke und demokratische Zivilgesellschaft trägt maßgeblich dazu bei, dass
autoritären Strukturen vorgebeugt wird und so militärischen Konflikten präventiv
entgegengewirkt werden kann. Wenn die Zivilgesellschaft mehr in politische
Entscheidungsfindungen und internationale Verhandlungen einbezogen werden, so zeigen
Studien, kommen nachhaltigere und friedlichere Lösungen heraus. Es muss anerkannt
werden, dass die Mobilisierung einer feministischen Zivilgesellschaft Triebfeder zur
Bekämpfung patriarchaler und damit undemokratischer Verhältnisse war und ist. Deshalb
nimmt unsere feministische Außenpolitik unter anderen die finanzielle Stärkung von
lokalen Aktivist*innen in den Blick und würdigt damit ihre Errungenschaften. Unsere
feministische Außenpolitik nimmt nicht den Nationalstaat in den Fokus von Sicherheit,
sondern die Zivilgesellschaft und das Individuum. Aus unserer feministischen
Perspektive ist der Nationalstaat ein urpatriarchales Konstrukt. Der Fokus auf die
Zivilgesellschaft bedeutet, dass wir anerkennen, dass Gewalt gegen Zivilbevölkerung
nicht zufällig in Kriegen/Krisen passiert. Ganz im Gegenteil: Angriffe auf die
Zivilbevölkerung (vorrangig gegen durch Kriege im Land gebliebene FINTA) sollen mürbe
machen und dienen so als Kriegsmittel.
Als internationalistischer Richtungsverband stehen wir für eine internationale
Politik auf Augenhöhe, die sich gemeinsam mit unseren internationalen Partner*innen
für eine bessere Welt einsetzt. Insbesondere die Rolle der Bundesrepublik muss dafür
kritisch reflektiert werden. Zu häufig wird in nationalen Kategorien und im
“nationalen Interesse” gedacht, statt das große Ganze zu sehen. So war es maßgeblich
die Austeritätspolitik Deutschlands, welche Griechenland zu einem harten Sparkurs mit
fatalen Folgen zwang, statt eine solidarische Lösung im Sinn der Europäischen Union
zu finden. Trotzdem wollen wir ein faires und soziales Europa schaffen und bekennen
uns zu diesem Ziel. Die Europäischen Union nimmt deshalb eine Schlüsselrolle zur
zwischen- und überstaatlichen Zusammenarbeit ein. Leider bleibt die Bundesrepublik
großer Waffenexporteur in instabile Regionen und stützt damit autoritäre Regime zum
Leiden anderer und für den Profit der eigenen Rüstungsindustrie. Für uns ist deshalb
klar: Die Perspektive deutscher Politik ist eine sehr westliche Betrachtungsweise, in
der die Perspektiven und die realen Lebensumstände außerhalb Westeuropas kaum
Beachtung finden und das, obwohl Deutschland bei der europäischen Politikgestaltung
Verantwortung zukommt. Es ist daher sehr wichtig, dass nicht nur die deutsche Politik
als solche diverser aufgestellt wird, sondern umso mehr als eine privilegierte und im
Grundsatz fehlgeleitete Politik verstanden wird, die oft verhindert, dass
Akteur*innen außerhalb der westlichen Welt in ihren Anliegen ernst genommen werden.
Deutlich wird dies nicht zuletzt durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine,
vor dem etliche osteuropäische Staaten seit Jahren gewarnt haben. Es ist daher
Deutschlands Aufgabe, eine neue Außenpolitik auf Augenhöhe mit allen, insbesondere
den ost- und mitteleuropäischen Partner*innen zu betreiben.
Als antifaschistischer Richtungsverband können nicht weiter die Augen vor Regimen
verschließen, die darauf abzielen, Menschenrechte, Demokratie und freiheitliche Werte
sowie die territoriale Integrität unabhängiger Staaten anzugreifen. Wir wollen, dass
es Europas Aufgabe wird, für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie innerhalb der
eigenen Länder, aber auch international einzustehen – dies kann nur in einer
Vermittler*innen- und Unterstützer*innen-Rolle und einer klaren Position geschehen.
Deutschland muss sich auch hier seiner Verantwortung innerhalb der EU bewusst werden
und mit einer reflektierten, aber entschiedenen Position gegenüber solchen Regimen
und Menschenrechtsverletzungen einzunehmen. Dazu gehört auch eine Reflexion der
eigenen, privilegierten Position und des eigenen Eurozentrismus. Umso wichtiger ist
es deshalb, dass in inter- und multinationalen Abkommen, insbesondere Anti-Waffen-
Abkommen und Anti-Atomabkommen Ergebnisse erzielt werden, die progressive Bewegungen
unterstützen. Darüber hinaus müssen die Antidemokrat*innen innenpolitisch bekämpft
werden, da sie mittlerweile international mit autokratischen Regimen vernetzt sind
und eine gemeinsame demokratiefeindliche Agenda vorantreiben. Das funktioniert nur,
wenn Demokratie wehrhaft ist. Demokratie kann nur in einer solidarischen und
resilienten Gesellschaft wehrhaft sein. Dafür brauchen wir eine Gesellschaft, die
aufklärend gegenüber imperialistischen und menschenverachtenden Ideologien ist. Wir
brauchen Investitionen in die kritische Infrastruktur, aber auch in diversen anderen
Bereichen der Gesellschaft. Und wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, die fähig
ist, sich gegen Antidemokrat*innen zu stellen.
Auch in der europäischen Asylpolitik hat die Bundesrepublik in den letzten Jahren
immer wieder einen regressiven und inhumanen Kurs mitgetragen, um selbst weniger
Geflüchtete aufnehmen zu müssen. Für uns ist klar: Die europäische Grenzpolitik der
Abschreckung und Abweisung ist gescheitert. Sie fordert nicht nur viele Opfer,
sondern bringt weitere Herausforderungen, vor denen Deutschland und die EU ihre Augen
nicht verschließen können und dürfen. Wie gefährlich ein solches Ignorieren und
Nichtstun ist, wird deutlich, wenn autoritäre Staaten diese Planlosigkeit ausnutzen,
wie sie der belarussische Diktator Lukashenko seit Ende 2021, um die EU versucht zu
erpressen. Als Jungsozialist*innen ist Solidarität für uns international, wir
bekennen uns dazu, Grenzen überwinden zu wollen. Die aktuellen Grenzschutz- und
Sicherheitsbehörden sind nicht im Sinne unserer Vorstellung einer solidarischen und
wertebasierten Sicherheits- und Geflüchtetenpolitik. Wir Jusos setzen uns daher für
die Abschaffung von Agenturen wie Frontex ein. Wer Werte nach innen einfordert, muss
diese auch nach außen tragen. Daher muss eine jungsozialistische Sicherheits- und
Geflüchtetenpolitik auch die Schaffung sicherer Fluchtrouten ohne Pushbacks, die
Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine gemeinsame europäische
Seenotrettungsmission sowie eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik auf
europäischer Ebene beinhalten. Sogenannte „Flüchtlingsdeals“ oder ähnliche Abkommen
zur Beschränkung sicherer Fluchtrouten mit angrenzenden Staaten der EU wie
beispielsweise Libyen oder der Türkei lehnen wir ab. Die Abschottung an den Grenzen
einzelner Staaten oder Bündnisse als sicherheitspolitisches Ziel steht konträr zu
unserem Grundsatz der internationalen Solidarität und ist daher nicht Teil unseres
jungsozialistischen Sicherheitsbegriffs. Angesichts der aktuellen Herausforderungen
wie des Klimawandels ist mit mehr Fluchtbewegungen zu rechnen, auf die nicht
restriktiv reagiert werden darf. Eine menschliche Asyl- und Einwanderungspolitik
ermöglicht offene Grenzen und Fluchtrouten, ermöglicht eine solidarische und humane
Aufnahme und eine anschließend schnelle Aufnahme in der Gesellschaft ohne zum
Beispiel Lebens- und Arbeitseinschränkungen. Wir stellen uns gegen die Versuche,
Geflüchtete gegeneinander auszuspielen und setzen uns für Solidarität mit allen
Geflüchteten unabhängig von der Herkunft ein. Abschiebungen und Beschränkungen des
Asylrechts lehnen wir ab. Nicht Geflüchtete machen uns Sorgen, sondern unsichere
Fluchtrouten.
Als Verband, der für Antirassismus einsteht, erkennen wir, dass unser Blick auf
Länder des globalen Südens weiterhin durch postkoloniale Strukturen geprägt ist.
Daher gehört zu einem neuen Sicherheitsbegriff auch die Reflexion von postkolonialen
Strukturen und das Aufbrechen dieser zum Beispiel in der eigenen
Entwicklungszusammenarbeit.
Das Ziel muss es sein, mit kritischem Blick auf strukturelle Vorteile des Globalen
Nordens und ungleiche globale Macht- und Ressourcenverteilungen den Weg für eine
gleichberechtigte Partnerschaft zwischen den Staaten des Globalen Nordens und des
Globalen Südens zu ebnen. Hierbei müssen vor allem die Dekonstruktion von
rassistischen Denkmustern in der Praxis und die kritische Reflexion des Kolonialismus
und seiner Kontinuitäten Teil der historisch-politischen Analyse sein.
Eine jungsozialistische sogenannte Entwicklungszusammenarbeit muss deshalb aus
verschiedenen Perspektiven kritisch sein mit der Entstehung und der Praxis der
sogenannten Entwicklungszusammenarbeit, wie sie heute betrieben wird. Die zentralen
Elemente dieser kritischen Auseinandersetzung ist das in Frage stellen des
vorherrschenden Entwicklungsbegriffs. Hierbei müssen wir eine intersektional
feministische Perspektive entwickeln, die die Kontinuität von (post-)kolonialen
Machtverhältnissen einbezieht, die Vision wie wirtschaftliche Entwicklung aussehen
soll und wie sie ökologisch nachhaltig zu gestalten ist, definiert und eine Abkehr
vom Paternalismus beinhaltet. Wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit müssen
machtkritisch auf Augenhöhe neugestaltet werden. Für die Hilfen vor Ort braucht es
mehr als Gelder und Nahrung. Global fehlt es FINTA-Personen an Hygieneartikeln und
Unterstützung bei der Care-Arbeit. Dadurch werden FINTA strukturell benachteiligt.
Unsere feministische Außenpolitik bezieht alle Personen ein und konzentriert sich auf
die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Zivilbevölkerung und ihrer
marginalisierten Gruppen. Dabei spielt die Gesundheitspolitik eine besondere Rolle.
Das schließt ein, dass unsere feministische Außenpolitik sich um eine bessere
Gesundheitsversorgung für FINTA bezüglich der reproduktiven Gesundheit inklusive
zugänglicher Verhütungen und Abtreibungen bemüht. Sie strebt zu dem an, dass mehr
FINTA im Bereich der globalen Gesundheit in Führungspositionen repräsentiert werden.
Zudem strebt sie an, dass die Priorisierung zur Verwendung von WHO Geldern
tatsächlich im Kampf gegen gesundheitliche Notstände eingesetzt wird, anstatt an
Projekte im Globalen Norden gekoppelt zu sein.
Als antimilitaristischer Richtungsverband setzen wir uns für eine Welt ohne Krieg,
Gewalt und Waffen ein. Allerdings ist uns mit Hinblick auf die Ukraine bewusst, dass
militärische Mittel notwendig sind. Trotzdem bedeutet das eben nicht, dass wir
Antimilitarismus und friedenspolitische Ansätze aufgeben. Wir sehen Diplomatie als
Mittel zur dauerhaften Verständigung und gewaltfreie Konfliktlösung weiterhin als den
besten Weg an, um sich für eine friedliche Welt einzusetzen. Friedenspolitik muss
mittel- sowie langfristig verstärkt, ausgebaut und priorisiert werden. Damit geht
auch eine gerechte und gut ausfinanzierte Entwicklungspolitik einher. Um all das zu
erreichen, bedeutet Zeitenwende auch Selbstreflexion. Denn Sicherheitsbedürfnisse
wurden in der bisherigen Politik vernachlässigt und Sicherheit einseitig definiert.
Mit einem breiten Sicherheitsbegriff müssen Implikationen für unsere Wehrhaftigkeit,
unsere Handelspolitik sowie unsere Frieden- und Entwicklungspolitik folgen. Die
Implikationen dürfen weder blinden Pazifismus verfallen, der im Endeffekt den
Imperialist*innen, den Faschist*innen und den Antidemokrat*innen in die Hände spielt,
noch dürfen sie die strukturellen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die
zur aktuellen Krise beigetragen haben, vernachlässigen, sondern müssen diese vielmehr verändern.
Unsere Grundwerte formen unseren Sicherheitsbegriff. Sie geben uns Orientierung und
ein Verständnis von Sicherheit außerhalb einer reinen militärischen
Betrachtungsweise, die wir ablehnen. Aus unserem jungsozialistischen
Sicherheitsbegriff folgen Handlungsnotwendigkeiten. Im Bereich der Wehrhaftigkeit,
der Handelspolitik und der sogenannten Entwicklungszusammenarbeit.
Wehrhaftigkeit
Waffenlieferungen:
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt jedoch, dass Waffenlieferungen zur
Verteidigung gegen Imperialismus oder Faschismus sogar notwendig sein können. Daher
bekennen wir uns weiterhin zu unserer antimilitaristischen Überzeugung, halten es
jedoch für nötig diese stärker als bisher auszudifferenzieren. Nicht nur militärische
Waffen und der mediale Kampf über die Deutungshoheit sind Waffen im Krieg, sondern
auch schlimmste physische und psychische Gewalt gegen FINTA. So sind es systematisch
geplante, angeordnete öffentliche Massenvergewaltigungen wie 1992 in Bosnien oder im
Kosovo, die regelmäßig in anderen Konfliktgebieten eingesetzt werden - so auch z.B.
durch das russische Militär in der Ukraine. Diese Verbrechen ebenso wie die Gewalt
gegen Zivilist*innen als Kriegswaffe sind seit dem Bosnienkrieg international als
Kriegsverbrechen anerkannt und werden seit 2002 als Verbrechen gegen die
Menschlichkeit gewertet. Und doch ist klar, dass ohne eine feministische Analyse von
Außenpolitik die kritische Reflexion patriarchaler Machtdimensionen fehlt. So wird
sexualisierte Gewalt in Kriegen und Konflikten aus verschiedenen, aber nicht minder
patriarchalen Beweggründen als Waffe eingesetzt. Einerseits versuchen Täter ihre
meist rassistische Vorstellung der Übermacht des eigenen Volkes gebärfähigen FINTA
durch aufgezwungene Schwangerschaften aufzuoktroyieren. Andererseits findet sich in
der sexualisierten Gewalt ein Ausdruck der Entmenschlichung und Objektifizierung von
FINTA, die meist als Besitz eines anderen Mannes, der als Feind verstanden wird, in
den Augen der Täter passendes Opfer sind. Außerdem wird sexualisierte Gewalt als
Demoralisierungsstrategie und zur psychologischen Kriegsführung angewendet. Dadurch
wird deutlich, dass sexualisierte Gewalt in Kriegen und Konflikten systematisch und
angeordnet zum Leid von FINTA, eingesetzt wird. Damit stellen FINTA und junge Mädchen
eine vulnerable Gruppe dar. Vulnerabel definieren wir als Begriff für eine Gruppe,
die sich systemischer Gewalt nicht entziehen kann.
Nach unserer feministischen Außenpolitik ist der Schutz von FINTA und
marginalisierten Gruppen elementar. Wir kämpfen dafür, dass Folter,
Unterdrückungsmechanismen, sexualisierte Gewaltverbrechen und andere
Menschenrechtsverletzungen als Kriegsverbrechen anerkannt werden und strenger
verfolgt und bestraft werden. Dabei ist unsere Vorstellung einer feministischen
Außenpolitik nicht mit einem pazifistischen Verständnis gleichzusetzen. Besonders der
aktuelle russische Angriffskrieg auf die Ukraine beweist einmal mehr: Die
Widerstandsfähigkeit von Demokratien gegenüber Autokratien und Diktaturen verlangt
leider auch eine militärische Wehrhaftigkeit. Als Jusos haben wir uns dafür entschieden, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu
unterstützen und dabei Kriterien an die Frage, ob Waffenlieferungen nötig sind,
angelegt. Sie stehen in keiner Rangfolge, sind zur Orientierung da und sind auf den
Einzelfall anzuwenden. Bei der Beurteilung berücksichtigen wir, ob der militärische
Angriff einseitig stattfindet, ob sich der militärische Angriff gegen einen
demokratischen, souveränen Staat oder gegen eine*n gefährdeten und demokratischen
nicht-staatlichen Akteur*in, wie es bei den Kurd*innen der Fall ist, richtete sowie
ob der militärische Angriff eine Bevölkerungsgruppe in ihrer Existenz gefährdet.
Außerdem fließt in die Beurteilung mit ein, ob der Angriff im Widerspruch zum
Völkerrecht steht, ob zivile Personen und Infrastruktur bewusst angegriffen werden
und ob systematische Menschenrechtsverletzungen sowie Vertreibungen zu befürchten
sind. Zusätzlich berücksichtigen wir, ob alle diplomatischen Mittel bereits
ausgeschöpft sind beziehungsweise dies nicht zu einem Ende des Konflikts führt und ob
alle weiteren Sanktionsmöglichkeiten bereits ausgeschöpft sind oder nicht alleine zum
Ende des Konflikts führen. Abschließend spielt es für uns eine Rolle, ob die
Vereinten Nationen handlungsfähig sind.
Klar bleibt für uns, dass Waffenlieferungen – sollten sie notwendig werden – mit
diplomatischen Mitteln und Sanktionen einhergehen. Wir differenzieren dabei nicht
pauschal zwischen den verschiedenen Waffentypen, aber bleiben natürlich bei einer
klaren Ablehnung von ABC-Waffen (atomare, biologische und chemische). Zusätzlich
benötigen Dual-Use-Güter einer gesonderten Betrachtung. Es ist im Einzelfall anhand
unserer Kriterien zu entscheiden, ob die militärische Verwendung als Waffe dem Ziel
der Friedenssicherung hinreichend bedingt. Debatten darüber, ob vom Völkerrecht
gedeckte Waffenlieferungen uns zur Kriegspartei machen, lehnen wir ab.
Nicht nur im Fall vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine müssen wir
feststellen, dass sich die Lage ankündigte. Grundsätzlich verstehen wir es deshalb
als legitim, wenn im Sinne einer Androhung möglichen Aggressor*innen zu verstehen
gegeben wird, dass in einem Falle eines völkerrechtswidrigen Übergriffs
Waffenlieferungen beabsichtigt werden. Wichtig bleibt: Vorschnelle Waffenlieferungen
sind - schon allein aufgrund unseres Anspruchs einer feministischen Außenpolitik und
unseres Verständnisses von Antimilitarismus - natürlich nicht unser Weg. Eine
tatsächliche Lieferung in diesen Fällen sollte also erst im Falle des Angriffs und im
Einklang mit unseren Kriterien ausgeführt werden. Durch die zuvor rechtzeitig
geführte nötige Debatte über Waffenlieferungen soll jedoch vermieden werden, dass im
Falle eines Angriffskrieges zu langsam gehandelt wird. Die mögliche Waffenlieferung
kann also in diesem Sinn logistisch vorbereitet werden, wenn sich für eine solche
Androhung entschieden werden. Deshalb fordern wir gerade in Hinblick auf den
russischen Angriffskrieg in der Ukraine, dass die Bundesregierung die Ukraine
weiterhin diplomatisch, wirtschaftlich und militärisch intensiv sowie fortlaufend
unterstützt.
Investitionen in eine resiliente Gesellschaft:
Ebenfalls ist mit dem Begriff der Zeitenwende eine Debatte über die Ausrüstung der
Bundeswehr entstanden. Wir erkennen an, dass eine wehrhafte Bundeswehr mit einer
sachgemäßen Ausrüstung notwendig ist und dafür Investitionen in diese getätigt werden
müssen. Gleichzeitig lehnen wir das vom Bundestag beschlossene Sondervermögen von 100
Milliarden ab. Wir sind der Überzeugung, dass eine Erhöhung der Investitionen die
Probleme der Bundeswehr insbesondere im dringend reformbedürftigen Beschaffungswesen
nicht lösen wird. Notwendige Erhöhungen des Verteidigungshaushaltes sollten nicht
über Instrumente erfolgen, die dauerhaft das Haushaltsrecht des Parlaments
untergraben und das Grundgesetz einseitig für militärische Zwecken verändert. Die
Ableitungen, die sich aus der Zeitenwende ergeben müssen, sind wesentlich umfassender
als ein willkürlich gesetzter Militärtopf in unserem Grundgesetz. Stattdessen muss
der Haushalt genutzt werden, um den massiven Investitionsbedarf in der Gesellschaft
zu ermöglichen. Die Schuldenbremse steht dabei massiv im Weg und engt die finanz- und
investitionspolitischen Spielräume künstlich ein.
Unsere Vorstellung einer effektiven Sicherheitspolitik beinhaltet eine resiliente
Gesellschaft und Wehrhaftigkeit nach innen, für die weitere Investitionen in Bereiche
wie Bildung, Gesundheitssystem, Umwelt- und Klimaschutz und die öffentliche
Infrastruktur notwendig sind. Und auch der Schutz vor Cyberangriffe und Angriffe auf
die kritische Infrastruktur sind für eine resiliente Zivilgesellschaft besonders
relevant, wie durch das Bahnchaos in Norddeutschland und den BSI-Skandal in den
letzten Wochen sehr deutlich wurde. Die Investitionen können dazu beitragen, dass
Sicherheitsprobleme wie im Falle von Energieabhängigkeit gar nicht erst auftreten
oder vorgesorgt wird, wenn es zum Beispiel um Resilienz gegen autokratische Politik
geht. Nur eine resiliente Gesellschaft die Demokratie nach außen wie nach innen
stärkt, ist fähig, in Krisensituationen Zusammenhalt zu erzeugen und solidarisch zu
sein. Nur eine resiliente Gesellschaft kann Fake-News und Desinformationskampagnen
erkennen und dekonstruieren, statt auf diese hineinzufallen. Ebenfalls steht für uns
auch Diplomatie und die sogenannte Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund. Hier
dürfen keine Mittel gekürzt werden, sie müssen in diesen Zeiten der Krisen erhöht
werden.
Deshalb fordern wir:
Die EU soll sich bei der UN dafür einsetzen, dass dort ein internationaler
Regelkatalog zu Cyber-Angriffen auf digitale Infrastrukturen entwickelt wird.
Reform der Bundeswehr
Nichtsdestotrotz stellt sich umso dringender die Frage nach der Reform der
Bundeswehr. Dazu gehört, dass die Bundeswehr eine angemessene Ausrüstung erhält, die
an die aktuellen hochtechnologischen Bedarfe und neuen Herausforderungen wie der
Cybersicherheit orientiert ist. Ebenfalls muss der aktuell noch maroden
Personenausrüstung eine besondere Priorität eingeräumt werden. Dass Soldat*innen sich
bei Einsätzen ihre Ausrüstung selbst kaufen müssen oder in der Ausbildung die zu
lernenden Geräte nicht funktionieren, darf kein Zustand mehr sein. Als sinnvolle
Fokussierung bei der Beschaffung von Ausrüstung sehen wir die Bündnisverteidigung an,
da diese aktuelle sehr gefordert ist und das in Zukunft ebenfalls sein wird.
Investitionen in die Ausrüstung der Bundeswehr sind also notwendig, aber müssen
klaren Prioritäten folgen. Außerdem muss die Beschaffung von Ausrüstung mit einer
Reform des aktuell sehr ineffizienten Beschaffungswesens einhergehen. Korruption
müssen endlich der Vergangenheit angehören. Bereits bestehende Verträge und bisher
getätigte Käufe müssen auf ihre Effizienz überprüft und wenn nötig rückgängig gemacht werden. Auch die Chancen der Digitalisierung müssen hier genutzt werden, um endlich
langwierige Prozesse und Ineffizienz zu beenden. Aber nicht nur das
Beschaffungswesen, sondern die Struktur der Bundeswehr an sich gehört reformiert. Im
Rahmen der kritischen Reflexion über die bestehenden Strukturen der Bundeswehr
betrachten wir auch die Tatsache, dass gemessen an der Gesamtbevölkerung Ostdeutsche
mit 60 Prozent innerhalb der Bundeswehr deutlich überrepräsentiert, aber mit
steigenden Dienstgraden drastisch unterrepräsentiert sind. Die Bundeswehr hat auch
ein Problem mit Rechtsextremismus, das wurde durch die Vielzahl an aufgedeckten
rechtsextremen Netzwerken besonders deutlich. Mitglieder der Bundeswehr dürfen
niemals mehr in der Lage sein, einen gewaltvollen Staatsstreich zu planen und dafür
Waffen zu horten. Für uns ist klar: Aktuell hat die Bundeswehr ein Problem mit
Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Betroffenen und
denjenigen, die Soldat*innen, die dagegen vorgehen, können sich unserer Solidarität
gewiss sein. Wer diesen Pflichten nicht nachkommt, gehört nicht in den Staatsdienst
und erst recht nicht in die Bundeswehr. Insbesondere aus einer feministischen,
antirassistischen und antisemitismuskritischen Perspektive müssen die Fälle lückenlos
und mit allen Konsequenzen aufgeklärt werden. Um diesen rechten Strukturen
entschieden entgegenzutreten, fordern wir eine Ausweitung der Sicherheitsüberprüfung
von Bewerber*innen noch vor Einstellung in die Bundeswehr. Eine weitere wichtige
Präventionsmaßnahme zur Verhinderung von rechtsextremistischen Tendenzen und
Entwicklungen in der Bundeswehr ist die politische Bildung der Truppe. Aber auch
andere Strukturen müssen verändert werden. Zu oft folgen die Ausbildung und das Leben
in der Bundeswehr patriarchalen und rassistischen Denkmustern, die gerade für FINTA,
queere Menschen und BIPOC die Bundeswehr zu etwas bedrohlichem machen. Sexistische
Anfeindungen und sexuelle Übergriffe müssen in der Truppe ausnahmslos geahndet
werden. Auch Diskriminierung von queeren Angehörigen der Bundeswehr muss weiter
abgebaut werden und eine entsprechende Aufklärung und Sensibilisierung in allen
Bereichen der Bundeswehr stattfinden. Um ein langfristig tolerantes Klima zu
etablieren, sollen alle Führungskräfte verpflichtende Fortbildungen zu Vielfalt und
Antidiskriminierung besuchen. Kritik an diesen Verhaltensweisen verstummt zu oft
durch fehlende Meldestellen oder bewusste Patronage. Die Bundeswehr muss aber für
alle Menschen zugänglich und diskriminierungsfrei sein! Neben den internen Strukturen
müssen auch Auslandseinsätze kritisch reflektiert werden. Das scheinbar grenzenlose
Versagen des Afghanistan-Einsatzes hat uns schmerzhaft vor Augen geführt, dass hier
Reformbedarf besteht. Noch immer sind nicht alle Ortskräfte aus Afghanistan geholt
wurden: regimekritische und progressive Aktivist*innen wurden bei den Evakuierungen
oftmals im Stich gelassen, noch immer werden die langjährigen Kritiker*innen des
Einsatzes ignoriert, noch immer Leiden vulnerable Gruppen unter der Terrorherrschaft
der Taliban. Das ist eine Schande, weshalb hier schnell Konsequenzen gezogen werden
müssen. Diese Strukturreformen werden eine enorme Kraftanstrengung erfordern, die
aber in einer ganz klaren Vision münden können: Der Einführung der Europäischen
Armee. Die nationalen Kompetenzen der Einzelarmeen sollen auf das Europäische
Parlament übertragen werden, um hier eine wirkliche demokratische und europäische
Verteidigungspolitik zu schaffen, die die nationalen Armeen ersetzt und eine
europäische Solidarität im Falle eines Angriffs sicherstellt. Damit schaffen wir auch
ein gemeinsames Beschaffungswesen und sorgen für Abrüstung in den Einzelstaaten.
Gerade der Krieg in der Ukraine hat nämlich gezeigt, wie wichtig ein funktionierendes
und gemeinsames europäisches Vorgehen ist. Uns ist dabei bewusst, dass das Vorhaben
einer Europäischen Armee Zeit in Anspruch nimmt, nicht unkritisch gesehen wird und
sich die Frage nach anderen Verteidigungsbündnissen stellt. Trotzdem erkennen wir an,
dass es aktuell einen Bedarf für ein Verteidigungsbündnis wie der NATO gibt. Eine
Herausforderung in der Umsetzung sehen wir in den aktuellen undemokratischen
Tendenzen der EU und den wachsenden autokratischen Tendenzen in vielen
Mitgliedsstaaten. Hier sind dringend Reformen notwendig, die die EU demokratischer
machen. Zum Beispiel, in dem das Europäische Parlament endlich gestärkt und ein
gemeinsames europäisches Wahlrecht eingeführt wird. Außerdem muss das
Einstimmigkeitsprinzip endlich vollständig abgeschafft werden, um zu verhindern, dass
einzelne Länder wichtige Maßnahmen blockieren, so wie es bei Ungarn in den letzten
Jahren der Fall war. Auch bei der Schaffung der Europäischen Armee setzten wir die
gleichen Maßstäbe wie bei der Bundeswehr an. Aus einer feministischen,
antirassistischen und antisemitismuskritischen Perspektive heraus heißt das, dass wir
patriarchale, rassistische und antisemitische Strukturen gar nicht erst entstehen
dürfen und bei Fällen solcher Art konsequent eingeschritten werden muss. Dafür sind
entsprechende Strukturen zu schaffen. Eine patriarchale Kultur hat ebenso wenig einen
Platz in der Europäischen Armee. Abschließend muss das Modell einer Europäischen
Armee auch mit unseren Partner*innen gerade im Hinblick auf Euro- und Westzentrismus
diskutiert werden, um hier Missverständnissen vorzubeugen. Klar ist: Die Europäische
Armee ist kein Projekt der Aufrüstung oder um Angriffskriege zu führen! Außerdem ist
sie kein koloniales oder eurozentristisches Projekt!
Deshalb fordern wir:
Eine Reform des Beschaffungswesens der Bundeswehr. Diese umfasst:
Eine unabhängige Instanz, die ebenfalls als Anlaufstelle für Soldat*innen dienen
soll, die etwaiges Fehlverhalten von Vorgesetzten im Dienst ernsthaft und ohne
Rücksicht auf etablierte Strukturen und mögliche Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb
der Bundeswehr verfolgt, aufklärt und ahndet.
Die Einführung der Europäischen Armee und die gleichzeitige Abschaffung der
nationalen Armeen mit folgenden Schritten:
Zivilschutz:
Zivilschutz Bei der Frage von Sicherheit muss auch der Zivilschutz als Teil des
Bevölkerungsschutzes in den Blick genommen werden. Veraltete oder fehlende Alarm- und
Warnsysteme und falsch genutzte WarnApps führen dazu, dass eine effektive Warnung der
Bevölkerung kaum möglich ist. Das Fehlen von Investitionen führt dazu, dass das
System Bevölkerungsschutz an seine Grenzen geraten ist. Feuerwehren,
Hilfsorganisationen, THW und die Träger der lokalen Katastrophenschutzeinheiten
müssen umfassend finanziert werden, sowohl in ihrer Ausstattung, als auch in der
Ausbildung ihrer Helfer*innen. Die rein militärische Ausrichtung des Sondervermögens
ist eine verpasste Chance, besonders mit Blick darauf, dass die Bundesregierung
plant, den Zivilschutzhaushalt im nächsten Jahr drastisch zu kürzen. Dieses Signal
geht in die völlig falsche Richtung! Ein richtiges Signal ist eine Neustrukturierung
des Systems, die Schaffung einer funktionierenden Warninfrastruktur sowie
Investitionen in die Träger des Bevölkerungsschutzes. Alle Investitionen sollten dem
Ziel dienen, den Bevölkerungsschutz endlich mit den Standards und Anforderungen des
Europäischen Zivilschutzmechanismus vereinbar zu machen.
Daher fordern wir:
Werte- und regelbasierte Handelspolitik
Ausgangslage
Die neoliberale Idee, dass gegenseitige Abhängigkeit durch wechselseitige
Handelsbeziehungen und die damit einhergehenden Wohlstandsgewinne allein Friede und
internationale Verständigung fördert, ist spätestens mit dem Angriff Russlands auf
die Ukraine gescheitert. Handel führt weder per se zu Frieden, noch zu einer
automatischen Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse mit den
Handelspartner*innen.
Handel führt zwar grundsätzlich zu Wohlstandsgewinnen. Die Bedingungen zu denen
gehandelt wird, entscheiden aber darüber, wem diese zu Gute kommen. Eben diese
Bedingungen, insbesondere die Preise legen fest, ob bei Handelsbeziehungen zwischen
unterschiedlich starken Partner*innen die schwächere Seite profitieren kann oder in
ihrer Entwicklung gehemmt wird. Die Entscheidung, mit welchen Ländern Handel
getrieben wird führt zu einer Stabilisierung bestehender Verhältnisse in den
jeweiligen Ländern im Guten wie im Schlechten und zu Wohlstandsgewinnen bei der
jeweilig ökonomisch dominanten Klasse der jeweiligen Länder. Unsere Handelspolitik
soll dabei soweit möglich dazu beitragen, dass es auch innerhalb der Länder der
Handelspartner*innen zu einer gerechten Verteilung der Wohlstandsgewinne kommt.
Handelspolitik kann niemals wertfrei sein. Die Globalisierung geht mit einer
zunehmenden Verflechtung der einzelnen Volkswirtschaften einher. Ein Zurück in eine
Zeit, in der wirtschaftliche Autarkie der Nationalstaaten durch eine merkantile
Handelspolitik das Ziel ist, ist dabei ebenso wenig wünschenswert wie die Fortsetzung
der neoliberalen Freihandelspolitik der letzten Jahrzehnte. Stattdessen muss sich
Handelspolitik einordnen in ein außenpolitisches Gesamtkonzept und nach demokratisch
festgelegten Regeln erfolgen. Sie soll der Förderung unserer sozialistischen
Vorstellung dienen.
Sozialistische, wertebasierte Handelspolitik
Die Frage, der Durchsetzung welcher Werte unsere Handelspolitik und die unserer
internationalen Partner*innen dienen soll, ist eng mit der Frage verknüpft, auf
welche Bereiche Handelspolitik Einfluss nehmen kann. Aus den Beobachtungen der
letzten Jahre lässt sich folgern, dass Handelspolitik insbesondere auf die Förderung
von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit, der Sicherung von
Beschäftigung, der Reduzierung von CO2-Emissionen, und der Förderung der
wirtschaftlichen Entwicklung von Ländern des globalen Südens dienen kann.
Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit und Gleichstellung
Intensive Handelsbeziehungen steigern die wirtschaftliche Abhängigkeit von anderen
Ländern, stabilisieren potentiell die bestehenden politischen und wirtschaftlichen
Verhältnisse der Handelspartner*innen und erhöhen deren Wirksamkeit als Druckmittel
im Fall internationaler Konflikte. Auch wenn Handel mit Autokratien zu kurzfristigen
Wohlstandsgewinnen beitragen kann, lehnen wir es ab, dafür in Kauf zu nehmen, sich in
die politische Abhängigkeit autokratischer Länder zu begeben und unterdrückerische
politische Systeme durch Handel zu stabilisieren.
Diese Feststellungen machen es erforderlich, Länder anhand dieser Kriterien zu
kategorisieren und abhängig davon intensive oder eingeschränkte Handelsbeziehungen
mit ihnen zu befördern. Eine politische Kategorisierung muss an die Stelle eines
internationalen Handels treten, der sich allein an Gesichtspunkten der Profitabilität
der Handelsbeziehungen für die einzelnen Unternehmen orientiert.
Aus der Beobachtung der letzten Jahre fest, dass eine zu schnelle Öffnung sich
entwickelnder Volkswirtschaften für den freien Handelsverkehr ohne Zölle und
nichttarifäre Handelshemmnisse häufig dazu geführt hat, dass diese Länder dadurch in
ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeworfen wurden und die weiter entwickelnden
Volkswirtschaften einseitig profitiert haben. Dies gilt es zu verhindern, eine
bedingungslose Freihandelspolitik zwischen unterschiedlich starken Partne*innen kann
nicht in unserem Interesse sein. Gleichzeitig muss vermieden werden, dass sich ein
exklusiver Club aus miteinander Handel treibenden Volkswirtschaften entwickelt.
Gerade sich entwickelnden Volkswirtschaften, in denen sich eine positive Entwicklung
nicht nur in Bezug auf wirtschaftliche Kennzahlen, sondern auch in bezug auf
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit abzeichnet, muss es möglich sein, abhängig von
ihren wirtschaftlichen Entwicklungen, auch ihre Handelsbeziehungen mehr und mehr zu
vertiefen. Wandel durch Annäherung" und "Wandel durch Handel" als Konzepte einer
Verstärkung positiver Entwicklungen. Unser Konzept verstehen wir als eine
Weiterentwicklung dieser Konzeption, da sie anerkennt, dass dort wo eine
Verschlechterung der menschenrechtlichen Situation, eine Erodierung demokratischer
Gesellschaften oder autoritäre Entwicklungen bereits passieren, nicht durch
verstärkten Handel aufgehalten werden. Eine Kategorisierung darf deshalb nicht als
hartes Schema verstanden werden, sondern als Orientierungsrahmen, auf Basis dessen
eine politische Entscheidung bezogen auf den Einzelfall getroffen wird, wie die
handelspolitischen Beziehungen zu dem infrage stehenden Land ausgestaltet werden.
Als solchen Orientierungsrahmen, schlagen wir folgende Kategorisierung vor:
Enge Handelspartner*innen sind dabei die Länder der EU, ebenso wie demokratisch
gefestigte Staaten, mit einem funktionierenden Rechtsstaat, der Menschenrechte,
insbs. auch die Gleichheitsrechte seiner Bürger*innen garantiert, sich
völkerrechtsfreundlich verhalten und die wirtschaftlich vergleichbar stark sind. Die
wirtschaftliche Stärke gilt es dabei relativ und nicht absolut zu erfassen.
Handelspartner*innen sind Länder, die grundsätzlich demokratisch verfasst sind, einen
vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleisten, sich völkerrechtsfreundlich verhalten
und sich grundsätzlich zu einer friedlichen Weltordnung und Konfliktlösung im Rahmen
internationaler Organisationen wie der UN bekennen.
Eingeschränkte Handelspartner*innen sind Länder, die keine demokratische Verfassung
aufweisen, keinen oder einen nur sehr eingeschränkten Grundrechtsschutz gewährleisten
und von denen jedoch keine völkerrechtswidrigen Aggressionen für andere Länder
ausgehen.
Keine Handelspartner*innen, sind Autokratien und Diktaturen, die weder Menschenrechte
achten, noch rechtsstaatlich verfasst sind und von denen völkerrechtswidrige
Aggressionen ausgehen. Während mit letzterer Kategorie in Absprache mit unseren
internationalen Partner*innen keinen Handel stattfinden soll, wird mit
eingeschränkten Handelspartner*innen in kleinerem Umfang nur solcher Handel
betrieben, der in Konfliktfällen schnell beschränkt oder ausgesetzt werden kann, ohne
dass dies die eigene Volkswirtschaft nennenswert beeinträchtigt. Mit
Handelspartner*innen wird Handel in größerem Umfang betrieben, aber ohne, dass dieser
aufgrund seiner Bedeutung für Lieferketten oder Energieerzeugung nicht zumindest
mittelfristig eingeschränkt werden könnte. Im Verhältnis zu engen
Handelspartner*innen ist es das Ziel, Handelshemmnisse weitgehend zu beseitigen,
Handelsbeziehungen zu verfestigen und gegenseitig die Resilienz der eigenen
Lieferketten zu befördern. Gleichzeitig sollen staatlich kritische Infrastrukturen
unter keinen Umständen Bestandteil der Handelspartnerschaft mit eingeschränkten
Partner*innen oder Autokratien und Diktaturen darstellen.
Gleichstellung
Wir verfolgen auch mit unserer Handelspolitik explizit gleichstellungspolitische
Ziele. Unsere bisherige Handelspolitik fördert insbesondere industrielle Branchen in
denen FINTA stark unterrepräsentiert sind. Zudem wurden besonders arbeitsintensive
Industriebranchen in den letzten Jahrzehnten in Volkswirtschaften mit sehr geringen
Arbeitsstandards ausgelagert, in denen diese Tätigkeiten vor allem von FINTA
verrichtet werden. Wir wollen mit unserer Handelspolitik beide Entwicklungen
bekämpfen, indem wir uns einerseits innerhalb unseres Handelsraums, andererseits
entlang unserer Lieferkette für hohe Arbeitsschutzstandards und auskömmliche Löhne
einsetzen. Dafür wollen wir vor allem die handeltreibenden Unternehmen in die Pflicht
nehmen. Zudem lehnen wir CO2- Kompensationsprojekte des Globalen Nordens im Globalen
Süden, die zur Herbeiführung der eigenen Klimaneutralität angerechnet werden,
vehement als neokoloniales Instrument ab. Darüber hinaus ist die Gleichstellung von
Männern und FINTA für uns auch ein allgemeines Menschenrecht. Deshalb geht das
Schutzniveau dieses Gleichheitsrechts auch maßgeblich für uns in die oben
beschriebene Kategorisierung mit ein.
Sicherung von guter Beschäftigung
Sowohl die Lieferengpässe während Covid als auch die Lieferausfälle in der Folge des
russischen Angriffs am 24.02.2022 auf die Ukraine haben gefährliche Abhängigkeiten
insbesondere der europäischen und deutschen Industrie von einigen wenigen
zuliefernden Unternehmen in bestimmten Ländern und von ausländischen Energieimporten
insbs. Aus Russland gezeigt. Zur Sicherung von Beschäftigung muss politisches Ziel
die energiepolitische Unabhängigkeit und der Aufbau resilienter Lieferketten sein.
Außerdem lehnen wir es ab, dass die Verlagerung von Produktionskapazitäten zur
Umgehung von arbeitsrechtlichen Standards und zum Lohndumping genutzt wird.
Stattdessen soll unsere Handelspolitik international höhere Löhne, bessere
Arbeitsbedingungen, Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit fördern.
Deshalb fordern wir:
Den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung.
Den Umstieg auf klimaneutrale industrielle Produktionsverfahren durch durch eine
konsequente Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien statt fossiler
Energieträger.
Eine Transformation hin zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft zur
Bekämpfung des Klimawandels sowie zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung
in Ländern des Globalen Südens
Diversifizierung von Lieferant*innen von Vorprodukten, sodass eine
Unabhängigkeit von eingeschränkten Handelspartnern sichergestellt ist.
- Aufbau von schnell skalierbaren Produktionsstandorten strategisch wichtiger Vorprodukte in der EU und gemeinsam mit engen Handelspartner\*innen und eine Diversifizierung von Lieferketten.
- Mindeststandards für internationalen Handel, die sich an den SDGs, den Kernarbeitsnormen der International Labour Organization, Gewerkschaften und
Empfehlungen orientieren Empfehlungen orientieren
Klimapolitik und Handelspolitik
Genauso wenig wie Handel dazu genutzt werden soll, Arbeits- und Sozialstandards zu
umgehen, muss Carbon Leakage - also das bloße Abwandern von CO2-Emmissionen in andere
Länder - verhindert werden, wenn die Pariser Klimaziele eine Chance auf Einhaltung
haben sollen. Unternehmen dürfen nicht die Möglichkeit haben, die CO2-Steuer oder das
Emissionshandelssystem durch Verlagerung der Produktion von Vorprodukten zu umgehen.
Der CO2-Verbrauch entlang der gesamten Wertschöpfungskette muss vollständig
nachvollzogen werden können und transparent gemacht werden. Auch im Rahmen der
Rohstoffbeschaffung muss nachvollzogen werden, woher die Rohstoffe stammen und
inwieweit die Beschaffung Entwaldung voraussetzte oder natürliche CO2-Senken negativ
beeinträchtigt. Darüber hinaus gilt es, den Wasserverbrauch entlang der Lieferketten
insbesondere in Ländern mit geringen Wasservorkommen zu minimieren.
Wir streben kürzere Transportwege und eine Stärkung lokaler Produktion zur
Minimierung der CO2-Emissionen entlang der Transportwege an.
Wir bekennen uns positiv zu dem Konzept der Klimatransformationsfonds, durch die
Länder, die sich für den Erhalt ihrer natürlich CO2-Senken einsetzen, finanziell von
den industrialisierten Ländern dafür kompensiert werden, dass sie diese Aufgabe im
Sinne des Weltklimas übernehmen.
Handelspolitik und Entwicklungszusammenarbeit
Die Bedingungen unter denen Handel zwischen ökonomisch ungleichen Partner*innen
stattfindet, entscheiden darüber, wie die Wohlstandsgewinne aus dem wechselseitigen
Handel verteilt werden. Dabei gibt es positive Beispiele wie die Entwicklung der
sogenannten "südostasisatischen Tigerstaaten", die von internationalem Handel stark
profitieren konnten und negative Beispiele wie der Export von subventionierten
Agrarprodukten aus der EU, die die eigene Agrarproduktion in vielen afrikanischen
Staaten zerstört oder in ihrer Entwicklung stark gehemmt hat.
Wesentlich dafür, ob Länder in ihrer Entwicklung durch internationalen Handel
profitieren ist, ob es den ökonomisch schwächeren Ländern überlassen bleibt, die
Bedingungen unter denen sie Handel treiben und welche Branchen sie dem
internationalen Handel öffnen, selbst festzulegen oder ob ihnen, wie bei etlichen
afrikanischen Ländern, diese Bedingungen durch internationale Organisationen wie die
WTO, die Weltbank oder benachteiligende Freihandelsabkommen aufgezwungen werden.
Insbesondere in Nord-Süd-Abkommen zwischen westlichen Ländern und Ländern der
Südhalbkugel wurden postkoloniale Macht- und Ausbeutungsverhältnisse reproduziert.
Wir erachten die Freigabe von Patenten als wirksames Mittel, um insbesondere die
industrielle Entwicklung von sich entwickelnden Ländern zu stärken.
Deswegen bleiben wir bei unserer Ablehnung von Freihandels- und Investitionsabkommen
mit ökonomisch schwächeren Ländern. Industrialisierte Länder wie Deutschland dürfen
weder über internationale Organisationen noch unmittelbar aus ihrer ökonomischen
Stärke Zwang ausüben, ihre Märkte unbegrenzt zu öffnen. Alle Länder müssen die
Freiheit haben, die Kriterien, zu denen sie Handel treiben, eigenständig festzulegen.
In den letzten Jahren beobachten wir vermehrt, wie insbesondere China seine
Entwicklungspolitik dafür nutzt, Schwellenländer durch Kreditvergabe in seine
wirtschaftliche Abhängigkeit zu bringen und sich dadurch Absatzmärkte und Rohstoffe
zu sichern. China nutzt ein Vakuum, dass durch die Schwäche internationaler
Institutionen wie der Weltbank und Entwicklungsbank entstanden ist, für seine
merkantilistische Politik.
Instrumente unserer Handelspolitik
Freihandels- und Investitionsabkommen
Die Erfahrungen mit Freihandels- und Investitionsabkommen sind mehrheitlich negativ.
Insbesondere die Nord-Süd-Abkommen haben sich als einseitiges Mittel der Ausbeutung
sich entwickelnder Länder erwiesen und wir setzen uns weiterhin für ihre Abschaffung
ein.
Wir lehnen Investitionsschutzklauseln ab.
Investitions- und Handelsabkommen sind starre völkerrechtliche Vereinbarungen, die in
aller Regel nicht oder nur mit unzureichender Mitwirkung der demokratischen
Institutionen der jeweiligen Länder angepasst werden können. Sie dienen dabei
tendenziell einseitig der Durchsetzung einer neoliberalen Freihandelsdoktrin.
Stattdessen setzen wir auf demokratische Rechtssetzung zur Aufstellung von Regeln, zu
denen wir Handel treiben.
Ein begrenzter Anwendungsbereich für Handelsabkommen zur Festsetzung gemeinsamer
Standards oder Festlegung abgestimmter Zölle mit engen Handelspartner*innen kann
verbleiben.
Internationale Organisationen
Grundsätzlich begrüßen wir Jusos internationale Organisationen als Möglichkeit,
Herausforderungen staatenübergreifend und losgelöst von rein nationalen Interessen zu
bewältigen. Insbesondere die Welthandelsorganisation hat sich in der Vergangenheit
als einseitiges Instrument zur Durchsetzung von Interessen der industrialisierten
Länder zu Lasten sich entwickelnder Länder herausgestellt. Wir wollen die WTO zu
einer Agentur für Handelsfragen bei der UN umbauen, die transparent bei der Klärung
von Handelsstreitigkeiten hilft.
Weltbank und Entwicklungsbank gilt es im Sinne einer gerechten Einbindung aller
Mitgliesstaaten umzubauen und als supranationale Institutionen der
Entwicklungspolitik zu stärken, ohne dass die Unterstützung an die Öffnung der
heimischen Märkte für den internationalen Handel geknüpft wird.
Regelbasierte Handelspolitik
Statt starrer Investitionsabkommen setzten wir uns für eine regelbasierte
Handelspolitik durch Rechtsetzung der bestehenden demokratischen Institutionen ein.
Dabei sehen wir insbesondere die EU in der Aufgabe, Kriterien festzulegen, auf Basis
derer die Bewertung erfolgt, wie intensiv mit anderen Ländern Handel getrieben werden
soll.
Das Lieferkettengesetz stellt regelungssystematisch eine mögliche Blaupause einer
alternativen Möglichkeit der Regulierung von Handelsbeziehungen abseits von
Freihandelsabkommen oder der WTO dar. Wir setzen uns dafür ein, dass alle Unternehmen
stärker als im bisherigen Lieferkettengesetz und bewährt mit härteren Sanktionen, zur
Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards orientiert an den ILO-Bestimmungen
verpflichtet werden.
Lieferkettengesetze müssen dabei mit effektiven Monitoringmechanismen ausgestattet
sein, sie müssen den Betroffenen wirksame Klagemechanismen einräumen und die
Unternehmen auch zivilrechtlich in die Haftung nehmen. Dabei ist auf den Einbezug von
Gewerkschaften dringend zu achten, auch sie müssen die Möglichkeit haben, bei
entsprechenden Klagestellen die Einhaltung der entsprechenden Standards einzuklagen
Zudem müssen den Unternehmen vergleichbar mit dem Lieferkettengesetz ebenfalls zur
Einhaltung von Mindeststandards bei der CO2-Emission entlang ihrer Lieferkette
verpflichtet werden, ihnen Transparenzpflichten auferlegt und die Rohstoffbeschaffung
auf Kosten von Entwaldung oder der Zerstörung natürlicher CO2-Senken ausgeschlossen
werden.
Direktinvestitionen
Zum Aufbau strategisch wichtiger Produktionsstandorte von notwendigen Vorprodukten
ist es im Kontext eines internationalen Marktumfelds erforderlich, auf Basis einer
strategischen Planung vornehmlich innerhalb der EU staatliche Direktinvestitionen zum
Aufbau entsprechender Kapazitäten im Sinne einer Resilienzreserve vorzunehmen. Dabei
muss ausgeschlossen bleiben, dass diese Investitionen den Renditeinteressen privater
Eigentümer*innen zu Gute kommen.
Tarifäre- und nichttarifäre Handelsbeschränkungen
Grundsätzlich lehnen wir Zölle als protektionistische Maßnahme im Verhältnis
entwickelter Industrieländer ab. Jedoch sehen wir tarifäre Handelsbeschränkungen etwa
zur Internalisierung externer Effekte wie etwa im Rahmen der Einführung des CO2-
Ausgleichs als begrüßenswert an. Zudem können Zölle auch im Verhältnis zu
eingeschränkten Handelspartner*innen zur Anwendung kommen, um das
Gesamthandelsvolumen oder gezielt den Handel in einzelnen Branchen zu beschränken
oder vollständig auszuschließen.
Nichttarifäre Handelsbeschränkungen sind für uns ein wichtiges Instrument zur Wahrung
von Produktstandards. Im Verhältnis zu engen Handelspartner*innen setzen wir uns für
eine Harmonisierung bei hohem Schutzstandard ein.
Insbesondere für Länder des globalen Südens ist es von herausragender Wichtigkeit,
dass ihnen nicht durch den Druck industrialisierter Länder die Möglichkeit genommen
wird, ihre Volkswirtschaft als Ganzes oder einzelne Branchen vor der Konkurrenz des
Weltmarkts zu schützen und damit die eigene Entwicklung zu fördern.
Sanktionen
Wirtschaftssanktionen sind ein legitimes Mittel, um außenpolitischen Druck zu
erzeugen. Auch vollständige Handelsboykotte sind ein mögliches Mittel, den Druck zu
steigern, wenn zielgenaue Maßnahmen nicht wirken. Zunächst sollen jedoch stets
zielgenaue Maßnehmen den Vorrang erhalten, die das Ziel verfolgen, das Gros der
Zivilbevölkerung vor negativen Auswirkungen zu schützen und insbesondere, diejenigen
in den Blick nehmen, die die faktische Verantwortung für politische
Entscheidungsprozesse tragen. Um die Auswirkungen auf die eigene Volkswirtschaft
erträglich zu gestalten, ist eine vorausschauende Handelspolitik notwendig, um die
eigene wirtschaftliche Abhängigkeit von potentiellen Sanktionsadressat*innen zu
senken. Gleichzeitig wissen wir, dass nicht alle bestehenden internationale
Sanktionen und Handelsboykotte unseren Ansprüchen entsprechen. Bestehende Sanktionen
müssen deshalb regelmäßig überprüft werden, sowohl auf ihre Auswirkungen, als auch
auf das Fortbestehen ihrer Begründung.
Die Sanktionierung soll dabei in enger Absprache mit unseren Partner*innen erfolgen.
Wir fordern gleichzeitig unsere Partner*innen in verschiedenen Bündnissen auf, von
unilateralen Sanktionen abzusehen und gemeinsame Wege zu gehen.
Patentschutz
Wir setzen uns für eine Lockerung des Patentschutzes ein. Insbesondere bei
Arzneimitteln, medizinischen Vorprodukten, aber auch bei technischen Entwicklungen
muss der Patentschutz ausgesetzt oder stark verkürzt werden. Davon würden
insbesondere Länder des globalen Südens profitieren
Binnennachfrage und Leistungsbilanzen
Wir streben ausgeglichen Leistungsbilanzen zur Stärkung der Binnennachfrage und
Verminderung der Abhängigkeit von Exporten an. Dafür wollen wir durch staatliche
Ausgaben die Nachfrage erhöhen.
Keine Sicherheit ohne Frieden und globale Zusammenarbeit!
Die akuten, sich wechselseitig verstärkenden Krisen des Kriegs in der Ukraine, der
globalen Nahrungsmittelversorgung, der gestörten industriellen Lieferketten, der
Corona-Krise und der Inflation wirken wie ein Katalysator für die Dauerkrisen, die
uns dauerhaft global bedrohen: Armut, Hunger und die einsetzende ökologisch-
atmosphärische Katastrophe. Alle diese Krisen haben ihre Wurzel im Kapitalismus. Nur
durch die Überwindung des Kapitalismus können wir sie langfristig beenden. Globale
Gerechtigkeit und internationale Zusammenarbeit sind unsere zentralen Ziele für einen
internationalen Sozialismus. Antimilitarismus und Entwicklungspolitik können diese
Ziele nicht umfassend erreichen und konfrontieren uns mit den Widersprüchen der
kapitalistischen Weltordnung.
Globale Solidarität statt „Entwicklungspolitik“
Der Begriff der „Entwicklung“ ist im internationalistischen Kontext bereits für sich
genommen problematisch. Er steht in der Tradition einer dominierenden und
diskriminierenden hegemonialen Machtausübung der Nationalstaaten des Globalen
Nordens. Der Begriff der „Entwicklung“ weist damit bis heute auf weiterhin
existierende (post-)koloniale Strukturen hin. Die real existierenden
„Entwicklungszusammenarbeit“ basiert vielfach auf dem Grundsatz: „Unser Geld, unsere
Bedingungen“. Einen solchen Grundsatz kann nur haben, wer fälschlich glaubt, beim
kapitalistisch erbeuteten Wohlstand des Globalen Nordens handele um „verdientes“
Kapital, das auf rechtmäßig angeeigneten Ressourcen beruhe. Der ebenfalls
problematische Begriff der „Hilfe“ kann und sollte sich nur auf die Nothilfe in
Katastrophensituationen beziehen, nicht auf ein dauerhaftes Verhältnis zwischen
souveränen Staaten. Eine Entwicklungspolitik im sozialistischen Sinn kann aufgrund
dieser Tatsachen nur eine solche sein, die im Sinne einer globalen Solidarität der
Arbeiter*innen zur geschwisterlichen Vermehrung des Wohlstands dient.
Deshalb fordern wir:
Eine kritische Aufarbeitung der Begriffe „Entwicklung“ und „Hilfe“
Eine Vermehrung des Wohlstands der Arbeiter*innen aller Staaten durch das
Prinzip der Solidarität
Solidarisch und feministisch durch die Krisen
Die immer noch akute Corona-Pandemie führt nicht nur zu imminenter Übersterblichkeit
und Leid, sondern verschärft auch strukturell Armut und Wirtschaftskrisen. In dieser
Situation ist eine weitere Mangelversorgung durch die fehlenden Getreideexporte aus
der Ukraine entstanden. Am stärksten sind von dem Ausfall mit Ägypten, Indonesien,
Bangladesh, Pakistan und Tunesien Staaten aus der MENA-Region und Südasien betroffen.
Hunger- und Gesundheitskrisen bedrohen immer in besonderem Maße FINTA. So sind Frauen
im Globalen Süden viel seltener gegen Covid-19 geimpft, während sie gleichzeitig ca.
70% des Gesundheits- und Sozialpersonals stellen, das Notfälle bekämpft. Und auch in
ihren Familien sind Frauen weiterhin meist zuständig für die gesundheitliche
Versorgung von Kindern und älteren Menschen. Hier besteht eine Verbindung dazu, dass
FINTA häufiger unter den Folgen der immer stärkeren Erhitzung der Atmosphäre leiden.
Während die Klimakrise insgesamt ärmere Menschen im globalen Süden viel härter
trifft, obwohl sie diese Krise nicht verursacht haben, liegt es hauptsächlich in der
Verantwortung von FINTA, die Katastrophenversorgung sowie die notdürftigen
Anpassungsmöglichkeiten gegenüber diesen Gefahren für ihre Familien vorzunehmen. Die
Perspektiven der Menschen aus Ländern des Globalen Südens und dort insbesondere von
FINTA werden immer noch zu wenig mitgedacht in Anstrengungen der Diplomatie und
Entwicklungszusammenarbeit – auch, weil das Bewusstsein und die Praxis einer
feministischen, antirassistischen, anti-kolonialistischen und anti-klassistischen
Außenpolitik noch immer wenig verbreitet ist. Für uns ist klar: Krisen begegnen wir
solidarisch als Teil der Weltgemeinschaft. Doch diese Weltgemeinschaft wird
wirtschaftlich dominiert durch Staaten und Konzerne des globalen Nordens sowie einer
besitzenden Klasse vorwiegend weißer Männer und rechtlich dominiert durch ein
Völkerrecht, das von Männern für Männer geschaffen wurde. Auf dem Weg zum Sozialismus
brauchen wir daher eine feministische, anti-kolonialistische, antirassistische,
antisemitismuskritische und anti-klassistische Außenpolitik, die einerseits im
Bereich der Diplomatie, insbesondere auch in der überlebenswichtigen Klimadiplomatie
eine intersektionale Repräsentation gewährleistet. Zum anderen brauchen wir eine
Politik der globalen Solidarität, für deren Verwirklichung unter den real
existierenden Verhältnissen der Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit mit massiv
größeren finanziellen Mitteln ausgestattet werden muss, begleitet von einem
kritischen Infragestellen unserer eigenen entwicklungspolitischen Institutionen und
Prinzipien in Deutschland und der EU. Zum anderen muss speziell die EU mit ihrer
Überversorgung bei Getreide und als einer der größten Exporteur*innen dieses
Rohstoffs der Welt maßgeblich zu einer ausreichenden Versorgung der Staaten im
globalen Süden beitragen. Denn wir werden wir niemals akzeptieren, dass die
Grundversorgung mit Nahrungsmitteln im Globalen Süden strukturell so stark von den
politischen Verhältnissen im Globalen Norden abhängt. In allen Bereichen unserer
internationalistischen Politik wirken wir darauf hin, diese fundamental untragbaren
Verhältnisse zu überwinden.
Deshalb fordern wir:
Eine feministische, anti-rassistische, antisemitismuskritische, anti-
kolonialistische und anti-klassistische Außenpolitik
Eine Diplomatie und ein Völkerrecht, in denen diese Prinzipien inhärenter
Bestandteil sind
Die Erhöhung des Budgets für Entwicklungszusammenarbeit bei gleichzeitigem
Infragestellen der dahinterstehenden Institutionen und Prinzipien
Umfassende gegenseitige Hilfe zur Nahrungsmittelversorgung in der akuten Krise
Die strukturelle Veränderung derjenigen Verhältnisse, die zu
Nahrungsmittelunsicherheit im Globalen Süden führen
Multipolarität fördern – die Unterdrückten nie vergessen
Der Angriffskrieg sorgt zugleich für einen verschärften Konflikt um Einflussnahme im
globalen Süden. Allen voran Russland und China nutzen die Tatsache aus, dass viele
Führungseliten in Staaten des globalen Südens sich im Ukrainekrieg nicht auf eine
Seite stellen wollen. Sie haben es deshalb leicht, die Verantwortung für die
wirtschaftlichen Folgen des Krieges den westlichen Staaten anzurechnen und sich im
Globalen Süden als „Retter*innen in der Not“ durch Kredite und Infrastruktur
Abhängigkeiten zu erkaufen. Die EU begegnet dieser Gefahr durch Gegenmaßnahmen. Diese
Maßnahmen sind allerdings häufig bewusst auf die ökonomisch und militärisch relativ
stärkeren Staaten gerichtet, da diese die stabileren und politisch wichtigeren
Verbündeten sind. Hierdurch entsteht die Gefahr, dass diejenigen Menschen aus dem
Blickfeld geraten, die in Staaten von geringerem sicherheitspolitischem Interesse
unterdrückt werden. Deshalb dürfen wir im Zuge unserer Außenpolitik nie die
Interessen der Unterdrückten aus dem Blick verlieren, auch wenn sicherheitspolitische
Interessen eine immer stärkere Rolle spielen. Selbstverständlich darf auch der
gegenwärtige Konflikt nicht dazu führen, dass wir in Denkmuster verfallen, denen
zufolge es ‘Einflusszonen’ gibt, die es zu erhalten oder auszubauen gibt
Deshalb fordern wir:
Die Bedürfnisse unterdrückter Menschen auch in einer Zeit erhöhter sicherheitspolitischer Interessen nie aus dem Blick zu verlieren
Verschuldung und Spekulation beenden
Die Verschuldung der Staaten des globalen Südens erhöht sich immer weiter. Das stellt
vor allem deswegen ein Problem dar, weil die Währungen vieler dieser Staaten
offiziell oder inoffiziell abhängig vom Dollar sind und sie den Großteil ihrer
Schulden bei Fonds und privaten Investor*innen haben. Während Sri Lanka bereits seine
Insolvenz erklären musste und die Regierung gestürzt wurde, stehen auch
bevölkerungsreiche Staaten wie Bangladesh, Ghana, Nigeria und Argentinien kurz vor
der Pleite. Gleichzeitig stehen viele EU-Staaten als ehemals zentrale Akteur*innen
des Kolonialismus tief in der Schuld des Globalen Südens, ohne in angemessener Form
Entschädigungs- oder Reparationszahlungen geleistet oder auch nur die Verbrechen
politisch ausreichend anerkannt zu haben. Solche Schuldanerkenntnisse und Zahlungen
sind zentrale Voraussetzungen nicht nur für eine Aufarbeitung der
Kolonialvergangenheit in der Außenpolitik im Allgemeinen, sondern auch für den Abbau
der Verschuldung des Globalen Südens gegenüber dem Globalen Norden. Post-
Kolonialistische Politik reicht bis in die heutige Zeit, wie vor allem das Beispiel
der sog. Structual Adjustment Programs (SAPs) zeigt. Die SAPs waren seit den 1980er-
Jahren von IWF und Weltbank als kurzfristige Programme zur Stabilisierung hoch
verschuldeter Staaten gedacht, für deren Erhalt die Staaten im Gegenzug einen
umfassenden neoliberalen Umbau durch Liberalisierung, Privatisierung und
Flexibilisierung von Arbeitsmarkt, Sozialstaat und öffentlichen Institutionen
akzeptieren mussten. Aufgrund der verheerenden Wirkung auf die Gesellschaften wurden
die Programme ab den späten 1990er-Jahren in ihrer Härte abgemildert, aber noch in
der Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2008 blieben die Prinzipien der SAPs im Grunde
erhalten. Diese Form von neoliberalen Angriffen auf Wirtschaft und Gesellschaft
insbesondere des globalen Südens unter dem Deckmantel von Marktorientierung und
Effizienz lehnen wir ab. Stattdessen fordern wir, dass sich Bundesregierung und
andere EU-Staaten im Rahmen des „Pariser Clubs“ der Gläubiger*innenstaaten für
umfassende Schuldenerlasse und ein multilaterales Verhandlungsteam auf Seiten der
Schuldner*innenstaaten einsetzen. Außerdem wollen wir schärfere Regeln für den
Finanzmarkt aufstellen, um währungsgetriebene und kurzfristige Spekulationen privater
Fonds und Investor*innen in den Ländern des Globalen Südens zu unterbinden und zu
verhindern, dass diese Staaten durch kurzfristigen Kapitalabzug in die Insolvenz
getrieben werden. Zur nachhaltigen Bekämpfung von Krisen fordern wir Unterstützung
für den Aufbau von regionalen Währungsfonds und Entwicklungsbanken, die die
Abhängigkeit von Gläuber*innenstaaten des globalen Nordens reduzieren.
Deshalb fordern wir:
Eine Währungspolitik für die Vielen
Die Situation wird durch die Versuche der industrialisierten Länder des globalen
Nordens verschärft, die dortige Inflation zu bekämpfen. Getrieben von Forderungen aus
konservativen und neoliberalen Kreisen hat nach den Notenbanken der USA und
Großbritanniens nun auch die europäische Zentralbank erstmals nach einem Jahrzehnt
wieder den Leitzins erhöht. In der Folge wird die Geldanlage in den USA und der EU
für Spekulant*innen wieder attraktiver. Diese ziehen ihr Kapital aus dem Süden ab und
bringen es zurück in den globalen Norden. Während bereits zu bezweifeln ist, dass
diese Geldpolitik das Problem der mangelnden Rohstoffe und Arbeitskraft im Norden
lösen kann, sorgt sie im Globalen Süden für Not, für die Erosion politischer Systeme
und in der Folge zu einer weiteren Gefahr für die globale Sicherheit. Deshalb wollen
wir politisch darauf hinwirken, dass die EZB die Erhöhungsschritte des Leitzinses
rückgängig macht und keinesfalls den Leitzins weiter anhebt.
Zur Abfederung globaler Währungsungleichgewichte halten wir außerdem an unserer
Forderung einer globalen Austausch- und Reservewährung fest. Eine solche globale
Währung für die Abwicklung von Ungleichgewichten zwischen lokalen Währungen wurde
bereits 1946 auf der Konferenz von Bretton Woods unter der Bezeichnung „Bancor“ von
John M. Keynes vorgeschlagen. Damals wurde sie vor allem aus Machtinteressen großer
Währungsräume des Globalen Nordens abgelehnt, insbesondere von den USA. Um die Macht
großer Währungssysteme gegenüber der demokratischen und ökonomischen Unabhängigkeit
kleinerer Währungen zu brechen, fordern wir heute die Realisierung einer solchen
Weltwährung. Weil uns bewusst wird, wie eng (post-)kolonialistische Realitäten und
Währungsspekulationen heute in unseliger Weise verflochten sind, dürfen die
Institutionen und Strukturen einer solchen Weltwährung nicht zur Aufrechterhaltung
oder Verstärkung von bestehenden Ungerechtigkeit beitragen. Der richtige Rahmen kann
daher nur durch eine Verankerung bei der Weltbank geschaffen werden, die wiederum
stärker demokratisch durch die UN kontrolliert werden muss.
Deshalb fordern wir:
Antimilitarismus in Zeiten des Krieges
Der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine scheint uns als
internationalistische Linke auf den ersten Blick vor einen Zielkonflikt zu stellen.
Als Antifaschist*innen und Kämpfer*innen für globale Gerechtigkeit stehen wir
kompromisslos gegen den Angriffskrieg ein und sind in der Pflicht, die Ukraine
solidarisch in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen. Als Jusos verstehen wir uns aber
auch in der Tradition des Antimilitarismus. Der drohenden Gefahr von aufkeimender
Kriegsbegeisterung zum Vorteil kapitalistischer und diktatorischer Interessen sind
wir uns aufgrund unserer Wurzeln in der Arbeiter*innenjugendbewegung in besonderer
Weise bewusst. Unser Ziel bleibt stets eine Welt der sozialistischen
Geschwisterlichkeit zwischen den Arbeiter*innen, ohne Waffen und ohne Krieg. Doch
genau für dieses Ziel müssen wir uns heute konsequent gegen Gewalt, Imperialismus und
Faschismus stellen. Das russische Regime unter Führung ihres autokratischen
Machthabers darf nicht erfolgreich damit sein, eine europäische Demokratie zu
unterjochen. Eine stärkere Verbreitung von Waffen und anderen Rüstungsgütern wird
dennoch immer unseren Widerstand erfahren. Auch weiterhin setzen wir uns für globale
Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen im
Rahmen multilateraler Vereinbarungen ein. Nach dem Scheitern des INF-Vertrags und der
aktuellen rhetorischen Eskalation im Rahmen des Angriffskriegs auf die Ukraine
bekennen wir uns umso stärker zum Atomwaffensperrvertrag. Schon lange fordern wir die
vollständige Abschaffung aller Atomwaffen. Deswegen begrüßen wir die Initiative zu
einem Atomwaffenverbotsvertrag, der ein vollständiges Verbot von Entwicklung,
Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung und Einsatz von
Atomwaffen vorschreibt. Der Vertrag wurde bereits von über 90 Staaten ratifiziert und
unterliegt einem Verhandlungsmandat der UN.
Deshalb fordern wir: